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PolitikAsien

Teheran schätzt Kontakt zu den Taliban

31. Januar 2021

Bei Gesprächen mit der radikal-islamischen Taliban-Führung im Iran war man sich einig in der Schuldzuweisung: Die anhaltende Gewalt in Afghanistan gehe auf das Konto der USA.

Iran Taliban Anhänger in Teheran
Kundgebung von Taliban-Anhängern in Teheran (Archiv)Bild: Farraru

"Die US-Strategie unterstützt die Fortsetzung von Gewalt und Krieg zwischen afghanischen Gruppen innerhalb des politischen Spektrums", erklärte Ali Shamkani, Sekretär des Hohen Nationalen Sicherheitsrats des Iran, bei Gesprächen mit einer Delegation der Taliban. Das berichtet die iranische Nachrichtenagentur IRNA.

Abdul Ghani Baradar, der Leiter des politischen Büros der Taliban, machte seinerseits klar: "Wir trauen den USA nicht und werden jede Gruppe bekämpfen, die Söldnerdienste für die USA leistet." Die US-Regierung unter Ex-Präsident Trump habe sich im Übrigen nicht konstruktiv im Sinne ihres Abkommens mit den Taliban verhalten, das nach langwierigen Verhandlungen im Februar 2020 in Doha unterschrieben worden war.

Abdul Ghani Baradar, Leiter des politischen Büros der TalibanBild: picture-alliance/dpa/TASS/S. Fadeichev

Gespräche zwischen den Taliban und dem Iran sind inzwischen zwar nicht mehr ungewöhnlich, doch selbstverständlich sind sie auch nicht. Nicht immer waren die Beziehungen der beiden Seiten so eng wie jetzt. Im Gegenteil: Vor einigen Jahren standen sich die beiden Akteure noch als offene Feinde gegenüber. So hätte der Iran im Jahr 1998 beinahe einen militärischen Feldzug gegen die Taliban gestartet. Diese hatten zuvor im Verein mit pakistanischen Kämpfern in der nordafghanischen Stadt Masar-i Scharif elf iranische Zivilisten getötet, darunter mehrere Diplomaten.

Neuen Partner gesucht und gefunden

Und noch im Jahr 2001, nach den Terroranschlägen vom 11. September in Washington und New York, unterstützte der Iran die USA in deren Kampf gegen die Taliban. Die Amerikaner verfolgten damals den für die Anschläge verantwortlichen Al-Kaida-Chef Osama bin Laden bis nach Afghanistan, wo er sich mit Duldung der Taliban aufhielt. Dies nahmen die USA zum Anlass, das Regime der Taliban in Afghanistan gemeinsam mit afghanischen Kämpfern zu stürzen.

Die Taliban kämpften jedoch weiter gegen die westlich gestützte neue Regierung in Kabul und gegen die afghanische Armee und ihre NATO-Verbündeten. Finanziert wurden die Extremisten unter anderem von Saudi-Arabien und später, nach der US-Invasion in den Irak 2003, von privaten fundamentalistischen Stiftungen. Erst als der Druck der USA auf das saudische Königreich und ihre engsten Verbündeten in der Region zunahm, unterband die Regierung in Riad den Geldfluss. Daraufhin suchten die Taliban einen neuen Partner: den Iran.

Schiitisch-sunnitisches Zweckbündnis

Anfangs sprach nicht viel für die neue Partnerschaft. Schon konfessionell waren beide Seiten denkbar weit voneinander entfernt. Der Iran sieht sich als Schutz- und Führungsmacht der Schiiten, die Taliban hingegen stehen für eine radikale sunnitische Deutung des Islam. Inzwischen spiele dieser Gegensatz aber keine Rolle mehr, sagt Hamidreza Azizi von Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

"Im Gegenteil, es hat sich gezeigt, dass auf beiden Seiten ein stark pragmatischer Ansatz vorherrscht. Aus iranischer Sicht sind die Taliban schlicht zu einflussreich, als dass sie sich ignorieren ließen. Umgekehrt halten die Taliban an ihren radikalen Überzeugungen zwar fest. Aber sie lassen auch die Bereitschaft erkennen, eine politische Rolle zu spielen. Das zeigt sich auch in den Gesprächen mit den USA über die Zukunft von Afghanistan. Dies veranlasst wiederum den Iran, Kontakt zu den Taliban zu halten." 

Atomanlage im iranischen FordoBild: AFP/Atomic Energy Organization of Iran/HO

Dies gilt umso mehr, als sich die Konfrontation mit den USA seit der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch die Trump-Administration 2018 verhärtet hat. "Auch aufgrund dieser Entwicklung will man in Teheran die Kontakte nach Afghanistan nicht verlieren", sagt Azizi. Diese hinderten die iranische Regierung allerdings nicht, auch diplomatische Beziehungen zur regulären Regierung in Kabul zu pflegen.

"Die iranische Führung ist offenbar der Ansicht, dass ihre Interessen ohne Kontakte zu allen verschiedenen Parteien und Akteuren in Afghanistan aufgrund möglicher Verschiebung des Machtgefüges in der Zukunft gefährdet sein könnten", so Azizi weiter.

Gemeinsame Front gegen den IS

Aus diesem Grund haben sich Vertreter des Iran und der Taliban bereits wiederholt zu Gesprächen getroffen. Und nicht nur das: Der Iran versorgt die Taliban auch mit Waffen. Dies hatte nach Berichten des Polit-Magazins "War on the Rocks" der iranische Spitzenpolitiker Ali Shamkani gegenüber der afghanischen Regierung im Dezember 2018 auch eingeräumt. "Nur leichtere Waffen, kein Kriegsgerät." Die Waffen dienten dazu, die Sicherheit der Taliban in der iranisch-afghanischen Grenzregion zu erhöhen, sagte Shamkani damals.

In der Region sind zahlreiche Schmuggler unterwegs. Es kommt immer wieder zu irregulären Grenzübertritten. Ebenso halten sich dort konkurrierende radikalsunnitische Gruppierungen wie die Jundullah auf.

Den Iran und die Taliban verbindet eine Reihe gemeinsamer Interessen. Beide arbeiten auf einen Rückzug des US-Militärs aus Afghanistan hin, beide bekämpfen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), die auch in Afghanistan Fuß gefasst hat. "Der Iran ist besorgt, dass die Fortsetzung der derzeit instabilen Situation in Afghanistan dem IS und anderen radikalen Gruppen mehr Handlungsspielraum geben und damit die Sicherheit der iranischen Ostgrenzen gefährden könnte", sagt Hamidreza Azizi. Daher sehe Teheran die Notwendigkeit, die afghanische Regierung und die Taliban zu einem Kompromiss zu drängen.

Friedenskonferenz zwischen USA, Afghanistan und Taliban im Februar 2020 in DohaBild: DW/A. Farahmand

Kuscheln mit Taliban nicht populär

Dasselbe Ziel verfolgt auch die US-Regierung. Das Streben nach einer nationalen Friedenslösung war Bestandteil des im Februar 2020 erzielten Abkommens mit den Taliban. Allerdings hat angesichts der andauernden Gewalt die neue US-Regierung unter Joe Biden durchblicken lassen, das unter Trump geschlossene Abkommen auf den Prüfstand stellen zu wollen. Das könnte den geplanten vollständigen Abzug des US-Soldaten aus Afghanistan auf unbestimmte Zeit verzögern. Die kriegerischen Äußerungen auf dem Teheraner Treffen könnten auf eine solche Entwicklung gemünzt sein.

Dass ein Schulterschluss Teherans mit den Taliban bei der iranischen oder der afghanischen Bevölkerung auf Begeisterung stoßen könnte, bezweifelt Iran-Experte Azizi von SWP. "Der Ansatz mag zwar den Sicherheitsinteressen Iran dienen und seinen Einfluss in Afghanistan bewahren, geht jedoch auf Kosten eines ernsthaften Imageschadens bei der eigenen Bevölkerung." Und angesichts der fortgesetzten gewalttätigen Aktionen der Taliban in Afghanistan seien auch dort die meisten Leute gegen Beziehungen der Gruppe zum Iran.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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