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Politik

Teheran vor finanziellem Abgrund

5. Juni 2020

Irans wachsende finanzielle Schwierigkeiten geben Spekulationen über eine mögliche Änderung seines außenpolitischen Kurses Auftrieb. Allerdings dürfte die Konfrontation mit der Trump-Regierung bestimmend bleiben.

Iran Kachiran Nähmaschinenherstellung
Fabrik in der iranischen Stadt QazivnBild: picture-alliance/dpa/A. Taherkenareh

Ende Mai trat Mohammed Kasemi, Direktor des Wissenschaftlichen Dienstes des iranischen Parlaments, mit düsteren Prognosen vor die Abgeordneten. Gehe es im Außenhandel weiter abwärts wie bisher, warnte er, müsse sich die Regierung im laufenden Jahr auf ein Haushaltsdefizit von 44 Milliarden US-Dollar einstellen.

Es müsse sich etwas ändern, deutete er an. Seit 2011 wachse die Wirtschaft kaum mehr, und das werde absehbar so bleiben. Schuld daran seien die US-Sanktionen, allerdings nicht nur. Es gebe auch interne Missstände. Darum brauche es Transparenz, Wettbewerbsfähigkeit und eine Steuerreform. Auf ein Ende der Sanktionen könne man nicht hoffen. "Iran sollte überdenken, wie es seine Reaktion auf die Sanktionen gestalten soll", so Kasemi.

Der geistliche Führer Ali Chamenei propagiert eine "Ökonomie des Widerstands"Bild: Imago Images/Zuma Wire/Iranian Supreme Leader Office

"Ökonomie des Widerstands"

Seine Einschätzung unterscheidet sich von der des geistlichen Führers Ali Chamenei, der eine "Ökonomie des Widerstands" propagiert, zuletzt am 27. Mai in einer Botschaft an das iranische Parlament. Das ist nicht mehr als ein Durchhalteappell, aus Sicht Chameneis aber offenbar ausreichend zur Bewältigung der Krise.

Allerdings verzeichnet die iranische Volkswirtschaft das dritte Jahr in Folge ein kräftiges Minus. So ging das Bruttoinlandsprodukt dem deutschen Wirtschaftsinformationsdienst GTAI zufolge im laufenden Jahr um sechs Prozent zurück. Die Inflationsrate dürfte für 2020 bei 34 Prozent liegen (2019: 41 Prozent), die Arbeitslosenquote liegt bei 16,3 Prozent. Die Staatsverschuldung lag 2019 bei 30,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Rest-Export an Gas und Öl eingebrochen

Gleichzeitig gehen die Einnahmen aus dem Export von Erdöl und -gas zurück. Besonders ins Gewicht fällt dabei China, das als letzter bedeutender Importeur iranischen Öls die Einfuhren unter dem Eindruck der US-Sanktionen gedrosselt hat. Einem Bericht des Wirtschaftsdienstes Argus zufolge importierte China im März dieses Jahres nur noch 60.000 Barrel täglich aus dem Iran - fast 90 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

Auch in die Türkei, bislang ebenfalls ein verlässlicher Partner, gingen die Exporte zurück. Im Mai dieses Jahres schrumpften die türkischen Erdgasimporte aus dem Iran im Vergleich zum Vorjahresmonat um 15 Prozent. Zudem wurde durch einen Anschlag - wahrscheinlich durch eine mit der kurdischen Separatistenbewegung PKK verbundene Gruppe - eine wichtige Pipeline beschädigt. Diese will Ankara offenbar nicht mehr reparieren, da es Gaslieferungen aus Russland erhält. Außerdem hat die Türkei laut dem US-Sender Radio Farda ihre Erdgasimporte aus den USA um das Dreifache erhöht.

Raffinerie in der iranischen Stadt AsalouyehBild: picture-alliance/AP Photo/E. Noroozi

Teure Unterstützung Irans für Assad

Fraglich ist, ob der Iran sich in dieser Situation den kostspieligen Ausbau seiner Einflusssphäre - Stichwort "schiitischer Halbmond" - leisten kann. Das größte Engagement entfaltet der Iran in Syrien, wo er das Assad-Regime unterstützt. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge hat die Regierung in Teheran zwischen 30 und 105 Milliarden US-Dollar in diesen Krieg investiert, heißt es in einer Studie der Denkfabrik Atlantic Council in Washington.

Zwar hat Teheran mit dem Assad-Regime Verträge über die Beteiligung am Wiederaufbau Syriens geschlossen. Ob diese sich in der erwarteten Dimension aber umsetzen lassen, ist zweifelhaft. Es sei unwahrscheinlich, dass der Iran von Wiederaufbauprojekten profitieren werde, bevor die Sanktionen gegen das Assad-Regime aufgehoben würden, so die Studie. Und schließlich werde sich der Iran einem harten Wettbewerb stellen müssen, sobald zum Beispiel China ebenfalls vom Wiederaufbau Syriens profitieren wolle.

Syriensmachthaber Assad mit dem geistlichen Führer des Irans Chamenei (r.) am 25.02.2019 in TeheranBild: Leader.ir

Teures Engagement Saudi-Arabiens im Jemen

Nicht nur der Iran wird sich fragen, ob sich die gewaltigen Ausgaben für die Erhaltung und den Ausbau von Einflusssphären rechnen. Der Rivale Saudi-Arabien steht vor dem gleichen Problem: Im Jemen kämpft er an der Spitze einer Koalition von regionalen Verbündeten gegen die schiitischen Huthis, die wiederum vom Iran unterstützt werden. Einer Schätzung der US-Zeitschrift "National Interest" zufolge hat Saudi-Arabien bis zum Jahr 2018 rund 100 Milliarden US-Dollar in diesen Krieg gepumpt. Dieser erweist sich jedoch für Riad als vollkommenes Desaster.

Insofern, schreibt die Iran-Expertin Azadeh Zamiriad von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, könnte beiden Staaten - Iran und Saudi-Arabien - an einer Belegung des Konflikts im Jemen durchaus gelegen sein. "Eine Verständigung zwischen Iran und Saudi-Arabien auf regionale Einflusszonen könnte sich stabilisierend auf den Golf und auch die weitere Region auswirken." 

Zwar würden die bestehenden Konflikte nicht unmittelbar gelöst. Aber die Zeichen stünden auf Entspannung. Im besten Fall könnte sich Saudi-Arabien sogar als Mittler zwischen Iran und den Vereinigten Staaten anbieten.

Offiziell gelenkter Protest gegen US-Präsident Trump im Iran im November 2019Bild: Getty Images/AFP/A. Kenare

Das könnte Auswirkungen auf die gesamte Region haben, so Zamiriad weiter. Im Syrien-Konflikt etwa könnte Saudi-Arabien seinen Widerstand gegen die Teilnahme Irans an internationalen Foren zur Beilegung des Konflikts aufgeben. "Eine Konfliktlösung läge dann zwar noch immer in weiter Ferne, aber internationale Verhandlungen könnten hierdurch an Substanz gewinnen", schreibt Azadeh Zamiriad in einer SWP-Studie.

Warten auf US-Präsidentschaftswahlen

Allerdings ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Es gebe zwar gibt einige Anzeichen, dass der Iran bestimmte Verhaltensweisen ändern könnte, heißt es in einer Analyse der Denkfabrik "American Security Project". Größere politische Veränderungen seien 2020 allerdings unwahrscheinlich. Die Regierung in Teheran fürchte, ihre Legitimität zu verlieren, sollte sie unter den US-Sanktionen ganz oder auch nur in Teilen einknicken. Nach derzeitigem Stand dürfte Iran das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den USA im kommenden Herbst abwarten, bevor es seine Strategie grundlegend überdenkt. Die politische Not ist aus Sicht der Regierung in Teheran offenbar größter als die ökonomische.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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