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Politik

Teheran vor Tausenden Corona-Toten?

9. März 2020

Iran ist eines der am stärksten vom neuen Coronavirus betroffenen Länder außerhalb Chinas. Koordinierte Maßnahmen sind nicht erkennbar, stattdessen gibt es widersprüchliche Zahlen und Beschuldigungen Richtung USA.

Leere Straßen in Teheran wegen Corona-Epidemie
Leere Straßen in der iranischen Hauptstadt Teheran am Montag (09.03.20)Bild: Isna

Die staatliche iranische Fluggesellschaft Iran Air setzt bis auf weiteres ihre Flüge nach Europa aus. "Aus uns noch unbekannten Gründen hat es seitens der europäischen Länder Beschränkungen für Iran-Air-Flüge gegeben", sagte ein Sprecher der zivilen Luftfahrtbehörde am Sonntag. Deswegen habe Iran Air entschieden, bis auf weiteres alle Flüge nach Europa auszusetzen. Die Fluggesellschaft führe aber Verhandlungen, um diese Beschränkungen umgehend wieder aufzuheben, so der Sprecher weiter. Passagiere aus dem Iran wurden bislang in zwölf Ländern positiv auf das neuartige Coronavirus getestet.

Derzeit Reisestopp in die EU Bild: picture-alliance/dpa/M. Mainka

Teheran vor massivem Anstieg von Infektionen?

Dabei hat die Reisezeit im Iran noch nicht richtig angefangen. Die beliebteste Reisezeit beginnt kurz vor dem Frühlingsanfang Mitte März. Besonders die Einwohner der Hauptstadt Teheran (Titelbild) nutzen die zweiwöchigen Ferien rund um den Frühlingsbeginn, der auch das iranische Neujahr markiert, für Urlaubsreisen.

Bis zu diesem wichtigsten iranischen Fest am 20. März würden sich 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung Teherans mit dem Coronavirus infiziert haben, schätzt Masoud Mardani. Der Leiter des nationalen Forschungszentrums für Infektionskrankheiten gab diese Prognose am vergangenen Donnerstag ab. Für eine Stadt mit offiziell 8,9 Millionen Einwohner hieße das 2,5 bis 3,5 Millionen infizierte Personen. Bei einer Sterberate von zwei Prozent würden allein in der Hauptstadt 50.000 bis 70.000 sterben. Tags darauf ruderte Mardani allerdings zurück: Er habe nicht die Zeit bis zum Frühlingsanfang gemeint und sich nicht allein auf Teheran bezogen.

Desinfektionsteam in einem Teheraner EinkaufsviertelBild: picture-alliance/AP Photo/E. Noroozi

Widersprüchliche Zahlen und halbherzige Maßnahmen

Die staatlichen Medien im Iran sind zurzeit voll von Interviews mit Experten, deren Aussagen sich widersprechen. Irans religiöse und politische Führer hatten die Behörden aufgefordert, "gute Nachrichten" zu verbreiten. Deswegen passen die offiziellen Angaben nicht zu den Informationen, die zufällig ihren Weg in die Medien finden. Zum Beispiel ist die offizielle Zahl der Todesopfer des Corona-Virus binnen 24 Stunden um 49 auf 194 gestiegen, wurde am Sonntag gemeldet. 6566 bestätigte Infektionsfälle seien bislang in der Islamischen Republik insgesamt gezählt worden, hieß es von offizieller Seite weiter.  

Demgegenüber sollen allein in der Provinz Gilan nordwestlich von Teheran bereits 200 Menschen am Coronavirus gestorben sein. Das sagte der Gesundheitsbeauftragte der Provinz, Mohammad Hussein Gorbani, dem Nachrichtenportal Bashgah Khabarnegaran Javan (The Young Journalists Club - YJC) am Sonntag. Kurz darauf wurde das Interview von der Webseite genommen. Dann wurde Gorbani von der Nachrichtenagentur Farsnews interviewt, die den Hardlinern nahe steht. Dort korrigierte er sich: "Die Zahl der Todesfälle bezieht sich auf Menschen, die in den letzten 16 Tagen generell an Atemwegserkrankungen gestorben sind, nicht am neuartigen Coronavirus." Farsnews fragte nicht nach, warum auf einmal so wie Menschen in der Provinz am Kaspischen Meer an Atemwegserkrankungen gestorben sind.

Seit dem 4. März wurde in mehreren Städten in Gilan wegen der rasanten Ausbreitung des Erregers die höchste Alarmstufe ausgerufen und die Zufahrtswege für Reisende aus dem Süden gesperrt. Die vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet aufgeführte Stadt Ghom südlich von Teheran, wo das Virus zuerst auftrat, wurde nicht unter Quarantäne gestellt, was sich als frühzeitige Maßnahme angeboten hätte.

Hohe Politiker unter Infizierten und Toten

Unter den Todesopfern befinden sich auch hochrangige Politiker und Funktionäre, wie die konservative Abgeordnete Fatemehr Rahbar aus Teheran und Mohammad Mirmohammadi, Berater vom Revolutionsführer Chamenei und Mitglied des Schlichtungsrates. Auch ein früherer Botschafter Irans in Syrien soll unter den Verstorbenen sein. Eine Reihe weiterer Politiker und Funktionäre befindet sich unter Quarantäne.  

Hamad Jalali Kashani, ein Twitter-Aktivist und Dokumentarfilmmacher, der vor der Parlamentswahl behauptet hatte, der Corona-Ausbruch sei erfunden worden, um die Wähler zu erschrecken und die Teilnahme an Wahlen zu verringern, ist ebenfalls nach Ansteckung mit dem Virus gestorben. 

Marktszene aus der Provinz Gilan vor einem Jahr. Jetzt ist auch dort die Virus-Gefahr besonders hoch. Bild: picture-alliance/NurPhoto/R. Fouladi

Aus Sorge vor einer weiteren Verbreitung des Virus unter Politikern wurde das Parlament vergangene Woche bis auf weiteres geschlossen. Medienberichten zufolge sind inzwischen 23 iranische Abgeordnete an Covid-19 erkrankt. Die Politiker wollten aus Angst vor einer Ansteckung die Öffentlichkeit meiden, berichtete das iranische Staatsfernsehen. Eine Million Beamte aber muss weiterhin normal zu Arbeit gehen.

Unterdessen versucht Hossein Salami, Chef der iranischen Revolutionsgarden, die USA für die Virus-Epidemie verantwortlich zu machen. "Es könnte sich um einen Angriff der USA mit biologischen Waffen handeln", sagte Salami am Donnerstag. Der Iran befinde sich in einem biologischen Krieg. "Doch auch diesmal werden wir gewinnen, auch im Kampf gegen das Virus. Die USA müssen wissen: Wenn sie das Virus verbreitet haben, wird es wieder zu ihnen zurückkehren."

 

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