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Politik

Teherans Straßenkinder schutzlos gegen Coronavirus

11. März 2020

Wegen der rasanten Ausbreitung des Coronavirus fordert die iranische Regierung alle Bürger auf, zu Hause zu bleiben. Für die Straßenkinder gibt es aber keine Pläne.

Iran Teheran Coronavirus
Bild: picture-alliance/AA/F. Bahrami

Das wichtigste persische Fest "Nouruz" steht vor der Tür. Aber dieses Jahr ist alles anders. Am 21. März feiern die Iraner den Beginn des Frühlings. Das ist traditionell eine Zeit für Reisen, Verwandtenbesuche, Einkäufe. Jetzt aber sei die Stimmung in Teheran geradezu gespenstisch, berichten DW-User aus Teheran. Wegen der rasanten Ausbreitung des neuartigen Coronavirus hat die Regierung in Teheran alle Bürger aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Der Iran ist momentan eines der am stärksten betroffenen Länder.

Aber nicht alle haben ein Zuhause, in dem sie bleiben können. "Die Straßenkinder müssen weiter arbeiten, egal, wie heftig das Land von der Epidemie getroffen ist", sagt Amir Hussein Bahari der Nichtregierungsorganisation "Schützt die Straßenkinder".

Leere Straßen in Teheran wegen Corona-EpidemieBild: Isna

Keine Festtagsstimmung

Laut Angaben des Arbeitsministeriums ist im Iran knapp eine halbe Million Kinder im Alter zwischen neun und 17 Jahren auf der Suche nach Arbeit. Wie viele von ihnen in Teheran leben, wissen nicht einmal die Behörden. Meist stammen sie aus armen Familien und arbeiten als billige Arbeitskräfte für kleine Produktionsbetriebe, als Straßenverkäufer oder als Müllentsorger.

Jedes Jahr Mitte Februar haben sie besonders viele Aufträge. Kurz vor dem ältesten und wichtigsten iranischen Fest "Nouruz" („Neuer Tag"), das dieses Jahr am 20. März gefeiert wird, sind die Basare in Teheran voller Menschen. Sie kaufen kleine Geschenke oder Blumen, lassen sich größere Einkäufe nach Hause tragen oder suchen Hilfe für den großen Neujahrsputz - normalerweise. Aber nicht in diesem Jahr. Die Angst vor dem Virus hält die Menschen fern. 

Straßenhändlerin in Teheran wartet vergeblich auf KundenBild: picture-alliance/AA/F. Bahrami

Massiver Anstieg an Infektionen befürchtet

Die Zahl der Infizierten liegt nach Behördenangaben vom Mittwoch (11.03.2020) bei 8.042, mindestens 291 Menschen starben an den Folgen der Lungenkrankheit COVID-19. Die wirkliche Zahl dürfte weitaus höher sein. "Die Patienten sterben und werden beerdigt, ohne auf das Coronavirus getestet worden zu sein", berichtet Parlamentsabgeordneter Gholam Ali Jafarzadeh der nordiranischen Provinz Gilan. Gilan liegt 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Teheran am Kaspischen Meer und ist das beliebteste Reizeiziel im Iran. Sein Parlamentskollege, der neu gewählte Abgeordnete Mohammad Ali Ramesani, ebenfalls aus Gilan, sowie zwölf weitere Politiker und hochrangige Beamte, sind bereits an der Infektion gestorben.

Das iranische Gesundheitsministerium geht davon aus, dass die Epidemie in den kommenden zwei Wochen ihren Höhepunkt erreichen werde. Minoo Mohraz, Professorin für Infektionskrankheiten an der Medizinischen Universität Teheran, rechnet damit, dass sich 40 Prozent der rund 80 Millionen Iraner mit dem Virus infizieren würden. Das Sars-CoV-2 infiziert im Iran Männer, Frauen und Kinder offenbar gleich häufig. Aber die Auswirkungen seien sehr unterschiedlich. So erkrankten Kinder seltener, können aber das Corona-Virus verbreiten, ohne sich krank zu fühlen, sagt Mohraz.

(Archiv) NGOs verteilen Geschenke an die Straßenkinder zum Yalda-Fest, der längsten Nacht des Jahrs am 21. DezemberBild: ISNA

Kein Schutz für Straßenkinder

"Bis jetzt vermissen wir leider jegliche Schutzmaßnahmen für die sozialschwachen Gruppen wie die Straßenkinder", sagt Aktivist Bahari. "Zum Beispiel gibt es keine Stellen, wo diese Kinder Handschuhe oder Desinfektionsmittel bekommen können. Es gibt auch kein Zentrum oder Krankenhaus, wo diese Kinder und ihre Familien im Notfall behandelt werden können. Viele von ihnen haben keine Krankenversicherung."

 

In der Hauptstadt Teheran gehören Straßenkinder zum traurigen Stadtbild - in einer sehr jungen Gesellschaft mit einem Durchschnittsalter von unter 30 Jahren. Viele Bürger nehmen sie gar nicht mehr wahr. Die iranische Regierung hatte in den letzten 35 Jahren mehr als 20 verschiedene Projekte für den Schutz und die Unterstützung von Straßenkindern vorgestellt, die allesamt im Sande verlaufen sind. Wirkungsvolle Arbeit wird nur von NGOs geleistet, die sich mit Spenden finanzieren.

(Archiv) Ein Straßenkind verkauft im Iran Blumen am StraßenrandBild: IRNA

Freiwillige Helfer überlastet

Bahari und seine Kollegen haben in den letzten Wochen Aktionen in benachteiligten Stadtteilen in Teheran durchgeführt, um die Straßenkinder über die Ansteckungsgefahr zu informieren und Desinfektionsmaterial zu verteilen. "Auf die Auftraggeber, die diese Kinder beschäftigen, haben wir wenig Einfluss", sagt Bahari. "Abgesehen davon ist die Zahl dieser Kinder so hoch, dass wir uns - realistisch gesagt - nicht um alle kümmern können. Viele Kinder sind momentan psychisch stark belastet, vor allem weil sie keinen Zugang zu zuverlässigen Informationen haben."

Die von iranischen Behörden veröffentlichten Informationen waren lange Zeit widersprüchlich und verharmlosend. Das Kommunikationsministerium hat jetzt immerhin eine Karte online gestellt, die die Bürger von Teheran über die Ansteckungsgefahr in verschiedenen Stadtteilen informieren soll.

Am stärksten gefährdet sind die Stadtteile im Zentrum und Süden Teherans. Dort ist die Bevölkerungsdichte hoch, die Einkommen sind niedrig. Genau dort leben die Straßenkinder, die oft mit ihren Familien auf der Suche nach einem besseren Leben nach Teheran gezogen sind.

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