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Politik

Biden und Putin: Teilen und herrschen

Killian Bayer
16. Juni 2021

Nach einem absoluten Tiefpunkt der Beziehung haben sich US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin zu einem persönlichen Gespräch getroffen. Grund dafür war nicht zuletzt China.

Schweiz l Biden und Putin treffen sich in Genf
Biden und Putin haben sich in Genf getroffenBild: Patrick Semansky/AP/picture alliance

"Ich glaube, Biden will wirklich Zeit mit Putin und den Übersetzern in einem Raum verbringen, um besser zu verstehen, was Putin antreibt und wo die wirklichen Probleme liegen", sagte US-Außenpolitikexperte und "Time"-Kolumnist Ian Bremmer vor dem Gespräch. "Das ist sehr wichtig für ihn. Daher kommt seine Empathie. Wenn Biden eine Superkraft hat, dann ist es das."

Im Februar hatten die Beziehungen zwischen den beiden Atommächten einen 30-jährigen Tiefpunkt erreicht. Biden hatte Putin einen Mörder genannt. Die Empörung in Moskau war groß. Doch dann kam die plötzliche Kehrtwende – ein persönliches Gespräch auf neutralem Boden in der Schweiz wurde geplant.

Joe Biden ist auf Europareise. An diesem Mittwoch trifft er sich in Genf mit Wladimir Putin. Bild: Brendan Smialowski/AFP/Getty Images

Allianzen gegen China schmieden

Die USA streben eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland an. Vor allem wegen China, sagt Raimund Krämer, Professor für Internationale Politik an der Universität Potsdam. "Das Hauptaugenmerk der Europareise von Biden dient dem übergeordneten Ziel, Allianzen gegen China zu schmieden. Das sieht man sowohl am G7-, NATO- und EU-Gipfel als auch an dem Treffen mit dem russischen Präsidenten."

Die Liste möglicher Themen für das Gespräch zwischen Biden und Putin war lang: Abrüstungsverträge, der Ukraine-Konflikt, Syrien, das iranische Atomprogramm, Libyen, Afghanistan. Hinzu kommen: Menschenrechtsverletzungen, die Unterdrückung der freien Presse und Opposition in Russland, regierungsnahe Hackerangriffe und schließlich die Entführung der Ryanair-Maschine durch Russlands Verbündeten Belarus. Ein Thema stand nicht auf der Agenda, obwohl es zum Fokus der amerikanischen Außenpolitik geworden ist: China.

Der G7-Gipfel in Cornwall bildete den Auftakt von Bidens Europareise. Höhepunkt ist sein Treffen mit Putin in Genf.Bild: Patrick Semansky/AP/picture alliance

Er glaube zwar nicht, dass Biden und Putin direkt über China sprechen würden, sagt Bremmer vor dem Gespräch der beiden Staatschefs gegenüber der DW. "Aber ich stimme zu, dass die USA auf der globalen Bühne China als Hauptantagonisten sehen und das wiederum die amerikanische Strategie in Bezug auf Russland beeinflusst."

Die USA wollen vor allem Ruhe mit Russland

Die fortschreitende Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China spitzte sich kurz vor Bidens Europareise zu: Drei Tage vor dem G7-Gipfel gaben die USA bekannt, ein Handelsabkommen mit Taiwan zu beschließen - für China eine Provokation. Zwei Tage vor dem Gipfel verabschiedete der US-Senat ein 244 Milliarden schweres Gesetzespaket, um Chinas technologische Dominanz zu bekämpfen. Und einen Tag vor dem Gipfel gab US-Verteidigungsminister Lloyd Austin dem Pentagon vor, sich militärisch auf China zu fokussieren.

"Biden mag Putin nicht. Und er denkt auch nicht, dass Russland von unglaublichem strategischen Wert sei. [...] Ich glaube aber, dass die Realität der amerikanisch-chinesischen Beziehungen [...] bedeutet, dass wir lieber keine großen Probleme mit den Russen hätten", sagt Bremmer.

Ein US-Marineverband im Südchinesischen Meer (Juli 2020). Die Spannungen wegen des chinesischen Machtanspruchs in der Region nehmen zu. Bild: U.S. Navy/Jason Tarleton/abaca/picture-alliance

Ralf Fücks, Direktor des Zentrums Liberale Moderne, sieht das ähnlich: "Im Hintergrund ist China präsent, das ist völlig klar." Die USA hätten kein Interesse an einer Eskalation des Konflikts mit Moskau, so der Russlandexperte. "Das ist für sie eigentlich nur eine Nebenauseinandersetzung, die sie stört in dem Versuch, ihre strategische Position gegenüber Peking zu festigen. Und umgekehrt ist es für Putin eine strategische Option, die Zusammenarbeit mit China auszubauen, das passiert ja schon."

"Zu viel Nähe zu China ist für Russland eine Gefahr"

Seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 haben Moskau und Peking ihre bilateralen Beziehungen vertieft. Eine direkte Folge der westlichen Sanktionen war das Wegbrechen eines erheblichen Teils von ausländischen Direktinvestitionen in Russland. Der Versuch, sich als Ausgleich nach China zu orientieren, war nur zum Teil erfolgreich. Seit Jahren stagniert die russische Wirtschaft. Realeinkommen sinken, während der Frust in der Bevölkerung wächst.

Russland versucht, am wirtschaftlichen Wachstum Chinas teilzuhaben. Neue Pipelines Richtung China werden gebaut. Gleichzeitig liefert Russland den Chinesen moderne Waffensysteme, die sie nicht aus dem Westen bekommen. "Russland hilft den Chinesen beim Aufbau eines militärischen Satellitenabwehrsystems. Da ist man aber schon sehr vorsichtig, weil man natürlich am Ende auch nicht will, dass die Chinesen militärische Technologie, welche die Russen entwickelt haben, einfach kopieren und dann unabhängig werden", sagt die Russlandexpertin Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Russische Truppen beim Manöver auf der annektierten Halbinsel Krim (April, 2021). Der Ukraine-Konflikt bleibt einer der Hauptstreitpunkte zwischen den Vereinigten Staaten und Russland.Bild: Russian Defense Ministry Press Service/AP/picture alliance

Es sei die autoritäre Gemeinsamkeit, die Putin an die Seite Xi Jinpings treibe, sagt Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne. "Es gibt faktisch eine neue Internationale autoritärer Mächte, die einen gemeinsamen Gegner in der liberalen Demokratie und der liberalen Weltordnung sehen. Russland fürchtet China mehr, als das es in China einen strategischen Partner sehen würde."

Auf der Wippe der Machtpolitik

"Zu viel Nähe zu China ist für Russland eine Gefahr", sagt Victoria Zhuravleva, Leiterin der Nordamerika-Studien am Primakov Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau. Die Vereinigten Staaten könnten für Russland ein Gegengewicht zu China bilden, zwischen denen man sich bewegen könne, so die Politikwissenschaftlerin. "So könnte man zwischen diesen beiden Mächten balancieren."

Es ist diese Position - auf der Wippe der Machtpolitik - die Russland offenbar sucht. Man sieht sich als ein Zentrum von vielen, in einer multipolaren Welt. "Die Lieblingsposition Russlands ist nach wie vor als eine Art Vermittler, zwischen Asien und dem Westen. Diese Vermittlerrolle ist heute eine Illusion, auch weil China sie Russland kaum einräumen wird," sagt Prof. Katharina Bluhm, Leiterin des Osteuropa-Instituts an der Freien Universität Berlin.

Chinas Staatschef Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau 2019. Russland versucht seit der Ukraine-Krise, die wirtschaftlichen Beziehungen zu China auszubauen.Bild: picture alliance/AA/Kremlin Press Office

Yawei Liu ist China-Experte vom US-Thinktank Carter Center. "Was die chinesische Regierung über das Treffen denkt, wissen wir natürlich nicht", sagt er. In den sozialen Medien beobachtet Liu aber eine wachsende Unruhe unter chinesischen Akademikern. "Ich glaube, Bidens Entscheidung, Putin zu treffen, bereitet den Chinesen Sorge. Ich denke, das ist ein schlauer Schachzug. Die USA werden es als zunehmend schwierig empfinden, mit Russland und China gleichzeitig umzugehen. Also lautet das Motto: teilen und herrschen."

Biden will ein klares Signal senden

Nicht alle Experten sehen die Konfrontation mit China als Hauptmotivation für Bidens Gipfeltreffen mit Putin. Kristine Berzina vom German Marshall Fund sagt, der Hauptzweck von Bidens gesamter Europareise sei eine Solidaritätsbekundung gegenüber den Verbündeten der USA. Russland werde als eine destabilisierende Kraft wahrgenommen. "Es wird eine Priorität sein zu signalisieren, dass die USA nicht weiter Russlands zunehmend bedrohliches und kriegerisches Verhalten [...] akzeptieren werden", sagt Berzina.

Die Russlandexpertin Torrey Taussig von der Harvard Kennedy School sieht das ähnlich: "Die Vereinigten Staaten fokussieren sich zwar primär auf China, sie sind sich aber bewusst, dass Russland fähig ist, erhebliches Chaos anzurichten und dabei die westlichen Demokratien in Europa und Amerika zu destabilisieren."

Russische Interkontinentalrakete auf dem Roten Platz in Moskau. Russland und und die USA besitzen die weltweit größten Atomwaffenarsenale.Bild: Getty Images/AFP/N. Kolesnikova

Im Bereich der Rüstungskontrolle gibt es auch gemeinsame Interessen. Laut Taussig ist hier der größte Fortschritt zu erwarten. Biden will mehr Rüstungskontrolle, und Russland kann sich aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage kein Wettrüsten mit Washington leisten. Auch in Syrien sei eine Kooperation möglich, sagt Sarah Pagung. Russland suche im Westen Geld für Investitionen. Die USA möchten wiederum mehr Einfluss in Syrien.

"Putin hat nichts zu verlieren"

Doch die Differenzen überwiegen. Im Hinblick auf die Ukraine oder Menschenrechtsverletzungen in Russland sei keine Einigung wahrscheinlich. Für Putin ist die bloße Einladung zu einem Treffen bereits ein großer innenpolitischer Erfolg, sagt Pagung: "Das wird in den russischen Medien natürlich auch so dargestellt, dass es eine Art Anerkennung des russischen Großmachtstatus ist."

Putin habe demnach nichts zu verlieren bei dem Treffen. Biden hingegen müsse seine Positionen gegenüber Russland kristallklar formulieren und russisches Fehlverhalten benennen, um einen Erfolg verbuchen zu können.