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Telegram - der umstrittene Messengerdienst

28. August 2024

Nach der Festnahme von Telegram-Gründer Durow in Paris fürchtet Russlands Opposition um eine ihrer wichtigsten Kommunikationsplattformen. Auch andere Protestbewegungen nutzen Telegram. Doch der Dienst hat seine Tücken.

Icon des Messengerdienstes Telegram auf einem Smartphone-Display
Über 900 Millionen Nutzer weltweit - der Messengerdienst TelegramBild: Marcello Casal Jr/Agencia Brazil/dpa/picture alliance

Iran 2017/2018. In der Provinzstadt Maschhad kommt es zu Protesten - gegen Korruption, Misswirtschaft und steigende Lebensmittelpreise. Innerhalb weniger Tage breiten sich die Unruhen erst auf ein Dutzend weitere Städte, dann auf das ganze Land aus. Nur mühsam bekommt das Regime in Teheran die Demonstranten wieder unter Kontrolle.

Thailand 2020. An den Universitäten des Landes regt sich Widerstand gegen die Militärregierung mit dem damaligen Premier Prayut Chan-o-cha. Diese hatte zuvor eine oppositionelle Partei aufgelöst. Die Proteste nehmen dramatisch an Fahrt auf und führen bis Oktober zu einem landesweiten "schweren Notstand".  

Belarus 2020. In dem seit Jahrzehnten autokratisch regierten Land stehen Präsidentschaftswahlen an. Als Machthaber Lukaschenko seine Wiederwahl verkündet, weiten sich die Demonstrationen zu Massenkundgebungen aus, die monatelang anhalten.

Anonyme Konten, unbegrenzte Gruppengrößen

Alle diese - und zahlreiche weitere - Protestbewegungen haben eines gemeinsam: Sie wurden maßgeblich über Telegram organisiert.

2013 vom nun in Frankreich inhaftierten Russen Pawel Durow gegründet, hat sich der Messengerdienst zu einem der weltweit beliebtesten sozialen Netzwerke entwickelt.

Wurde mittlerweile in Frankreich festgenommen: Telegram-Chef Pawel DurowBild: Tatan Syuflana/AP Photo/picture alliance

Über 900 Millionen Menschen nutzen Telegram, das sich dafür rühmt, seine Inhalte noch weniger zu regulieren als andere Messengerdienste. Die App ist auch bei extrem langsamem Internet weiter nutzbar - etwa, wenn Netzgeschwindigkeiten staatlich gedrosselt werden.

Zudem lassen sich Gruppen mit bis zu 200.000 Teilnehmenden erstellen - womit auch große Menschenmengen schnell mobilisiert werden können.

Und: Das Netzwerk verspricht seinen Nutzenden einen besonders hohen Grad an Anonymität. Zwar müssen User sich mit einer Handynummer registrieren, danach aber lässt sich ein Benutzername anlegen, der genutzt werden kann, ohne dass man dafür anderen Chatteilnehmern seine Nummer preisgeben muss. All diese Funktionen machen Telegram für bestimmte Gruppen besonders interessant.

Fake News, Propaganda, Extremismus

Dazu gehören nicht nur Oppositionelle in Autokratien. Ab 2020 erhielt die Plattform auch regen Zulauf von Coronaleugnern.

Nach der vorübergehenden Schließung der überwiegend für die Verbreitung rechter Inhalte genutzten Plattform Parler fanden viele Rechtsextreme und -populisten hier ihre neue Onlineheimat. Zahlreiche Fake News- und Desinformationskampagnen finden hier statt.

Warum soziale Netzwerke Putins Propaganda verbreiten

03:44

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Und Telegram zieht auch Cyberkriminelle an - dem festgenommenen Pawel Durow wird unter anderem vorgeworfen, dass seine Onlineplattform illegale Bandenkriminalität ermögliche, nicht gegen die Verbreitung von kinderpornografischem Material vorgehe und Straftaten verschleiere.

Und so führte die Verhaftung Durows zu der durchaus skurrilen Situation, dass sich die russische Regierung - die zahlreiche Kanäle auf Telegram betreibt - ebenso lautstark darüber empörte wie ranghohe Vertreter der russischen Opposition. Georgij Alburow, ein langjähriger Wegbegleiter des mittlerweile verstorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny, sprach gar von einem "schweren Schlag gegen die Meinungsfreiheit".

Gravierende Sicherheitslücken

Dabei ist die Plattform gar nicht so sicher und anonym, wie viele ihrer Nutzenden denken - im Gegenteil.

"Sie können in Security-Kreisen reden, mit wem Sie wollen: Jeder wird Ihnen erzählen, dass Telegram, was die Vertraulichkeit der Inhalte angeht, anderen Messengern deutlich unterlegen ist", sagt Jürgen Schmidt, Leiter heise security beim deutschen IT-Newsportal heise online.

Anders als etwa bei den Messengerdiensten Whatsapp oder Signal seien die Nachrichten in Telegram standardmäßig nämlich nicht Ende-zu-Ende, also auf dem ganzen Weg vom Absender bis zum Empfänger, verschlüsselt. 

Standardmäßig sind Nachrichten bei Telegram nicht von Endgerät zu Endgerät verschlüsseltBild: Thomas Trutschel/photothek/imago

"Telegram selbst kommuniziert da teilweise ein wenig seltsam", erklärt Schmidt gegenüber der DW. "Sie reden davon, dass sie alle Nachrichten verschlüsseln, meinen damit aber nur, dass die Nachricht auf dem Weg vom Endgerät zum Server verschlüsselt ist. Auf dem Server werden die Nachrichten entschlüsselt und liegen dort im Klartext vor."

"Datenschutz-Albtraum"

Zwar lässt sich auch eine Komplettverschlüsselung einstellen, dies ist allerdings gar nicht so einfach - und geht auch nicht für jede Art von Chat.

"Das heißt im Prinzip: Alles, was sie im Normalbetrieb über Telegram schreiben, liegt auf deren Servern, und Durow und sein Team haben Zugriff auf diese Informationen", so Schmidt, der den Messenger in einem seiner eigenen Artikel einmal als "Datenschutz-Albtraum"bezeichnet hat.

Wo aber die Server des Unternehmens stehen, auf denen laut Schmidt so viele Informationen unverschlüsselt lagern, ist nicht bekannt - und somit auch nicht, wer womöglich noch darauf zugreifen kann. Telegram selbst macht dazu keine Angaben. 

Systematische Flucht vor Strafverfolgung?

Nur: Warum ist gerade Telegram dann bei so vielen anti-autokratischen Protestbewegungen so beliebt?

"Eine technische Erklärung gibt es dafür nicht", meint Schmidt - und vermutet ganz andere Beweggründe: "Anders als bei den meisten anderen Messengern gibt es bei Telegram keinen US-amerikanischen Hintergrund, bei dem man immer glaubt, dass die 'böse' NSA den Finger drauf hat."

Stattdessen werde die Firma von einem Russen geleitet, "der auch noch zusätzliche Glaubwürdigkeit dadurch bekommen hat, dass er eben aus Russland ausgewandert ist, um sich dem Druck des dortigen Regimes zu entziehen."

Seinen offiziellen Firmensitz hat Telegram mittlerweile in Dubai. Wo die Server des Unternehmens stehen, ist unbekanntBild: KARIM SAHIB/AFP

Wechselnde Firmensitze

Auffällig ist jedoch auch, dass Durow es danach mit seiner Firma nirgendwo lange ausgehalten hat. Den Telegram-Hauptsitz verlegte er erst nach Berlin, dann folgten London, Singapur und zuletzt Dubai.

"Natürlich", sagt IT-Experte Schmidt, "kann man spekulieren, dass er sich so dem Zugriff durch Strafverfolgungsbehörden entziehen wollte. Bis jetzt wurde ein Wohnsitz in Dubai auch von vielen Telegram-Nutzern gerne als Punkt gesehen, der ihn vertrauenswürdiger macht, weil er für eine Strafverfolgung aus Deutschland und den USA eben schlecht zugänglich ist."

Aber auch das, sagt Schmidt, habe für die Nutzenden mitunter einen gravierenden Haken. "Sie haben keinerlei Möglichkeit, gegenüber Telegram irgendwelche Rechte durchzusetzen", so Schmidt.

Dies sei von der Onlineplattform ganz bewusst so arrangiert. "Das kann man - wenn man sich im Visier der Strafverfolgungsbehörden sieht - positiv werten, das kann aber durchaus auch ein Nachteil sein, wenn man zum Beispiel irgendwelchen Betrügern zum Opfer fällt." 

All das lässt für den IT-Experten von heise online nur einen Schluss zu: "Ich persönlich würde für alles, was irgendwie vertraulich ist, um Telegram einen großen Bogen machen."

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik