Birgit Minichmayr
16. Juni 2009Es ist das Jahr der Österreicher. Bei den Filmfestspielen in Cannes hat Christoph Waltz für seine Darstellung eines SS-Offiziers in Quentin Tarantinos Film "Inglourious Basterds" gerade eine Goldene Palme als bester Darsteller bekommen. Drei Monate zuvor durfte sich die Kollegin Birgit Minichmayr bei der Berlinale einen Silbernen Bären abholen. Die aus Pasching bei Linz stammende 32jährige Aktrice war schon in den Tagen vor der Bärenverleihung im Februar für ihre herausragende Leistung in dem Film "Alle Anderen" als Favoritin gehandelt worden. Jury, Kritik und Publikum waren einhellig begeistert.
Großer Durchbruch mit "Alle Anderen"
Birgit Minichmayr ist zweifellos die Schauspielerin der Stunde. "Alle Anderen" läuft jetzt in den deutschen Kinos an, der Film wurde auf Festivals im In- und Ausland ausgezeichnet. Und das hat er vor allem seinen beiden Hauptdarstellern zu verdanken - Birgit Minichmayr und Lars Eidinger spielen überzeugend und eindringlich ein Paar in der Krise während eines Sardinien-Urlaubs. Auch auf den deutschen und österreichischen Bühnen wird Birgit Minichmayr derzeit gefeiert und mit Preisen ausgezeichnet.
Schon vielfach prämiert
Dabei sind Ehrungen nichts Neues für die Schauspielerin. Schon im Jahre 2001 wurde sie als "Shooting Star" der Berlinale vorgestellt, für ihre Bühnenengagements erhielt sie in den vergangenen Jahren unter anderem den "Nestroy-Theaterpreis" und den "Ulrich Wildgruber-Preis". Birgit Minichmayr ist also trotz ihrer jungen Jahre keine Newcomerin mehr, doch einer breiten Öffentlichkeit dürfte sie erst jetzt zu einem Begriff werden. Ein "Silberner Bär" und der Bundesstart von "Alle Anderen" in vielen Kinos haben eben eine andere Öffentlichkeitswirkung als Auftritte in den Theatern der Republik.
Auseinandersetzung mit Charakteren
Was macht die Schauspielerin nun so besonders? Warum wird Birgit Minichmayr plötzlich überall porträtiert und interviewt? Die Antwort ist wohl einfach. In "Alle Anderen" füllt sie erstmals eine Hauptrolle im Kino aus, eine Rolle zudem, in der sie in fast jeder Einstellung des Films zu sehen ist, sämtliche Nuancen psychologisch nachvollziehbar darstellen kann. "Ich krieche geradezu in die Charaktere hinein", hat sie einmal in einem Interview über ihre Arbeitsweise gesagt, "weil ich sie verstehen möchte. Erst wenn ich sie wirklich verstehe, kann ich sie so spielen, dass die Zuschauer gepackt werden. Und darum geht es mir immer. Ich möchte den Zuschauer packen, ganz und gar."
Rauchige Stimme
Und dieses "Packen der Zuschauer" gelingt ihr mit einer unglaublichen Intensität - auf der Bühne wie vor den Kameras. Das fängt schon bei der Stimme an. Das rauchige Timbre - nach eigener Aussage auf die vielen Zigaretten zurückzuführen - ist ein Markenzeichen der Minichmayr. Mehr sogar noch als die österreichische Sprachfärbung, die kann die Schauspielerin auch ablegen - je nachdem, ob sie zu der Rolle passt oder eben nicht.
Temperamentvoller Schmollmund
Dass man Birgit Minichmayr so schnell nicht vergisst, hat aber auch mit ihrem Äußeren zu tun. Rote Haare, viele Sommersprossen, Schmollmund, ein oft verschlafen wirkender Blick, kleine Augen, etwas katzenhaftes im Ausdruck - Birgit Minichmayr entspricht keinem herkömmlichen Schönheitsideal. Doch das verkaterte, verschlafene kann auch von einer Sekunde zur Anderen verschwinden, wenn sie in ihrer Rolle explodiert, das Innere nach Außen kehrt. Die Österreicherin ist eine unglaublich temperamentvolle Schauspielerin, die schreien kann und brüllen, sich verausgabt, manchmal bis zur Schmerzgrenze.
Große, kleine Rollen
Schon vor zehn Jahren war sie erstmals im Kino zu sehen, als Brechts Tochter in dem Film "Abschied - Brechts letzter Sommer". Seither trat sie in vielen kleineren Rollen auf, war eine der Sekretärinnen in "Der Untergang", in Tom Tykwers "Das Parfüm" die Mutter des Mörders Grenouille, zuletzt hatte sie in der schwarzen Komödie "Der Knochenmann" einen bemerkenswerten Auftritt. Demnächst kann man sie auch in Michael Hanekes Cannes-Sieger "Das weiße Band" in einer kleinen Rolle bewundern.
Im Theater schon länger ein Schwergewicht
Am Theater ist sie längst ein Star. Als Absolventin des Max Reinhard-Seminars debütierte sie im Burgtheater in Wien als Hure in Schnitzlers "Reigen". Dort ist sie seit kurzem auch wieder festes Ensemblemitglied. Als Narr in Shakespeares "König Lear" feierte sie vor zwei Jahren einen Triumph in ihrer Heimat. In Berlin war sie in den vergangenen Jahren immer wieder an der Volksbühne zu sehen. Und im Admiralspalast war sie eine vielbewunderte Polly in der "Dreigroschenoper" ihres Mentors Klaus Maria Brandauer.
Silberner Bär mit Folgen
Ihre ursprüngliche Angst in Deutschland nur immer als "die österreichische Schauspielerin" gesehen zu werden, dürfte sie spätestens in diesem Jahr abgestreift haben. Dass Birgit Minichmayr zu den führenden Charakterdarstellerinnen hierzulande zählt, daran kann niemand mehr ernsthaft zweifeln - spätestens nachdem man sie in der bärenstarken Rolle in "Alle Anderen" gesehen hat.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Marcus Bösch