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Musik

Beczala: "Habe den schwierigen Weg genommen"

Rick Fulker
2. August 2018

Seine Premiere als Lohengrin in Bayreuth wurde von Publikum und Kritikern umjubelt. Im Anschluss sprach der polnische Tenor mit der DW über die Herausforderung, ein Festival zu singen - und die politische Lage in Polen.

Bayreuter Festspielen 2018, Lohengrin
Bild: Bayreuther Festspiele/E.Nawrath

Deutsche Welle: Glückwunsch zur Premiere in der Titelrolle von "Lohengrin" bei den Bayreuther Festspielen! Wie kam das Engagement zustande?

Piotr Beczala: Es hatte einen längeren, dann einen sehr kurzen Vorlauf. Bereits 2015 studierte ich die Rolle zusammen mit dem Dirigenten Christian Thielemann ein. Zunächst wollten wir einige Aufführungen in Dresden machen, sozusagen als Vorbereitung dafür, dass ich hier in Bayreuth bei der 2018er Produktion auftrete. Dann fiel die Wahl ein paar Monate später auf einen anderen Sänger.

Nun, gerade dreieinhalb Wochen vor der Premiere - genau sieben Minuten bevor ich die Bühne bei einer Aufführung vom "Land des Lächelns" in Zürich betrat - zeigte mein Telefon an, dass Thielemann mich erreichen wollte. Er bat mich, die Rolle von Lohengrin in Bayreuth zu übernehmen. Ich sagte, "ich habe einfach keine Zeit". Am anderen Tag schickte er mir Dutzende von Kurznachrichten, und wir fingen an, ernsthaft darüber nachzudenken. Ich musste Termine umstellen und Auftritte absagen. Es ging doch schließlich um Bayreuth - und dabei noch um die Hauptrolle zur Eröffnung. So eine Chance kommt nur einmal im Leben, und ein Tenor sollte sie wahrnehmen.

Thielemann rief Sie an, weil der andere Sänger kurzfristig mit der Begründung abgesagt hatte, er sei der Rolle nicht gewachsen. War das einfach eine ehrliche Aussage und ein Zeichen von künstlerischer Integrität?

Für so eine Entscheidung war die Zeit reichlich fortgeschritten, zumal er noch nie auf Deutsch gesungen hatte. Man muss schon ein paar Monate früher wissen, ob man es schafft oder nicht.

Was war Ihr erster Eindruck von der Bühne im Festspielhaus?

Ich war schon früher einmal da. Aber nach sechs Stunden Autofahrt von Wien stand ich da plötzlich auf der Bühne mit Chor, Beleuchtung und allem drum und dran. Es war stressig, aber auch ein ganz besonderer Moment. Dieses Haus kann man mit keinem anderen vergleichen, denn hier dreht sich alles um Wagner. Jedes Chormitglied, jeder Orchestermusiker kennt jede Note. 

Lohengrin als ElektrotechnikerBild: Bayreuther Festspiele/E. Nawrath

In dieser Produktion mit Bühnenbild und Kostümen von Neo Rauch und Rosa Loy erscheint Lohengrin nicht als glänzender, zauberhafter Held aus einem fernen Märchenland, sondern als Mechaniker, vielleicht als Elektriker. Wie ist das zu deuten?

Nun, wenn Sie mal zu Hause ein Problem haben und fünf Tage auf einen Techniker oder einen Elektriker warten müssen, wird er Ihnen auch wie ein Held vorkommen. Man soll nicht so genau daran deuteln oder zu sehr über die Insektenflügel nachdenken, die die Hauptfiguren tragen. Wagner lässt die Handlung zwar in Brabant spielen, aber als alte deutsche Sage, nicht als Historiendrama. Es liegt immer ein Hauch von Geheimnis in der Luft.

Die Akustik im Bayreuther Festspielhaus ist legendär. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Da ich in vielen verschiedenen Sälen und Theatern singen muss, habe ich gelernt, Akustik zu ignorieren. Aber hier ist die Akustik wirklich besser als irgendwo sonst. Wenn man anfängt zu singen, hat man das Gefühl, dass die Stimme ins Auditorium ganz frei hinausströmt. In anderen Opernhäusern muss man über das Orchester hinweg singen, das zwischen Sänger und Publikum platziert ist. In Bayreuth, mit dem verdeckten Orchestergraben, ist es dagegen reiner Luxus.

Es gibt viele großen Wagner-Rollen für Tenöre: etwa Siegmund, Siegfried, Tannhäuser und Tristan. Aber in der Oper "Lohengrin" ist jeder wirklich ganz auf den Tenor fokussiert.

Die Rolle hat Wagner auch ganz besonders angelegt. Anfangs singt er nicht viel, dafür sehr hoch. Dann kommt er fast zwei Stunden lang gar nicht vor - bis gegen Ende des zweiten Akts, wo er etwa eine halbe Stunde lang singt. Danach wieder eine Stunde Pause - und erst dann beginnt die Rolle wirklich. Der dritte Akt von "Lohengrin" ist für den Tenor fast wie eine ganze italienische Oper.

Neo Rauchs Bühnenbild ist ganz in Blau gehüllt, die Protagonisten auchBild: Bayreuther Festspiele/E.Nawrath

Haben Sie jetzt Blut geleckt und wollen Sie nun auch andere Wagnerrollen singen und nicht nur den Lohengrin?

Eigentlich nein. Die Heldentenor-Rollen bei Wagner brauchen einen härteren stimmlichen Einsatz. Ich möchte aber meine lyrische Qualität so lang wie möglich beibehalten. In den kommenden drei Jahren stehen mir mehr als 20 Lohengrin-Auftritte bevor, und ich hoffe, dass ich neue Ideen für die Rolle finden kann.

Nach Ende des Kalten Krieges tauchten viele fabelhafte osteuropäische Musiker plötzlich auf - zumindest aus westeuropäischer Perspektive betrachtet, denn eigentlich waren sie schon immer da. Dauert es für einen Sänger aus Osteuropa immer noch länger, bis er auf den großen Bühnen der Welt erscheint?

Nicht mehr heutzutage. Heute gibt es natürlich keine Reiseeinschränkungen mehr. Es hängt aber immer noch davon ab, wie ein Sänger geschult wird, wie er sich vorbereitet. Russische, tschechische und polnische Sänger fangen meist mit russischem, tschechischem und polnischem Repertoire an. Als ich meine Karriere 1992 begann, habe ich mich aber gezielt auf Mozart und auf das französische und italienische Repertoire konzentriert. Ich wollte nicht in den slawischen Bereich abgelegt werden. Das wäre für mich zwar einfacher gewesen, aber ich habe lieber den schwierigen Weg genommen.

Wie wird eigentlich die deutsche Kultur momentan in Polen gesehen?

Sie wird unter anderem ausgeklammert. Ein Beispiel: Es war das erste Mal in der Geschichte der Bayreuther Festspiele, dass zwei polnische Tenöre in Hauptrollen vorkamen, aber niemand aus der polnischen Regierung ist gekommen. Sie haben nicht einmal eine Postkarte geschickt. Und vor ein paar Monaten erhielt ich einen europäischen Kulturpreis in Dresden, zusammen mit dem Schauspieler Daniel Brühl und mit Fürst Albert. In den polnischen Medien hat das keiner beachtet.

Das sagt schon alles: Polen ist zurzeit sehr mit sich selbst beschäftigt. Zu meinem Job gehört es aber, die Leute durch die Musik zusammenzubringen. Ich kann nicht sagen, "Okay, alle, die ihre Stimme für den und den abgegeben haben: Raus hier! Ich singe nur für die anderen."

Für das, was in Polen geschieht, habe ich keine Erklärung. Aber es ist nicht nur dort so. Schauen Sie mal nach Ungarn, nach Russland. Oder auf die Türkei, furchtbar! Natürlich auch Amerika.

Neulich sah ich eine Twitternachricht eines wunderbaren deutschen Pianisten, der in einer jüdischen Familie in Russland geboren wurde. Nachdem er beim Konzert Goldberg-Variationen gespielt hatte, kam jemand auf ihn zu und sagte: "Sehr schön, auch wenn Sie mit ihrem kulturellen und sonstigen Hintergrund keine direkte Verbindung zu Bach haben können." Stellen Sie sich das einmal vor! Warum denken einige Leute so?

Keine Ahnung. Das ist nicht nur traurig. Es ist gefährlich. Ich würde mich gern mal intensiv mit so einem Menschen unterhalten. Ich möchte ihn auch verstehen. Wenn mir jemand sagen würde: "Als polnischer Sänger können Sie der Rolle von Lohengrin in Bayreuth nicht gerecht werden", würde ich antworten: "Ach, kommen Sie mal zur Vernunft!"

Und zwischendurch ein paar Tage lang abschalten, lautet Piotr Beczalas DeviseBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Sie haben bereits alle Zweifel zerstreut. Was steht als nächstes an?

Im Moment versuche ich einfach, meine Wochen in Bayreuth mit etwas Entspannung zu verbinden. Für einen Opernsänger ist die Festivalzeit sehr schwer. Seit 21 Jahren singe ich jedes Jahr bei Festivals, zumeist in Salzburg. Das bedeutet: kein Urlaub. Hier haben wir zumindest ein paar Tage zwischen Aufführungen und damit eine kurze Ruhepause. Man muss den Reset-Knopf im Kopf drucken.

Dafür sind die Festspiele eigentlich da!

Ja, aber um aufzutanken muss man sich eine Zeit lang ablenken und nicht nur an Wagner denken. Wenn man dann wieder auf die Bühne kommt, ist es ganz anders. Das ist das Geheimnis des Operngesangs und auch die Herausforderung: Man muss eine frische Qualität finden. Man drückt auf Reset und fängt von vorne an.

Das Interview führte Rick Fulker.