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Literatur

Terézia Mora: "Alle Tage"

Aygül Cizmecioglu
7. Oktober 2018

Männer am Rande der Gesellschaft – verschroben, geheimnisvoll – interessieren sie besonders. Terézia Mora ist eine messerscharfe Beobachterin, die die Entwurzelung des modernen Menschen in den Fokus rückt.

Terezia Mora
Bild: Luchterhand Verlag

Ein klirrend-kalter Nachmittag in Berlin. Draußen stapfen Menschen mit Einkaufstüten durch den Schnee, andere eilen zur überfüllten Straßenbahn. Terézia Mora ist in ein kleines Hinterhofkino geflüchtet. Die Fensterscheiben sind beschlagen, drinnen herrscht gähnende Leere. In einen Film eintauchen, die ganze Leinwand für sich haben – das ist für Terézia Mora eine wohltuende Ablenkung vom Schreiben. 

Rein in die Freiheit!

Und eine Reminiszenz an früher, an die 1990er Jahre, als sie zum Studieren von Ungarn nach Deutschland kam. "Ich liebte diese etwas heruntergekommenen und kulturell sehr aufgeladenen Orte", erzählt sie. "Das bedeutete für mich Freiheit. Und in Berlin kann man eben besser frei sein als in einem kleinen katholischen Dorf."

"Alle Tage" von Terézia Mora

02:00

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Einem wie das, in dem sie geboren wurde. Terézia Moras Familie gehörte zur deutschen Minderheit in Ungarn. Berlin, kurz nach der Wende – das war für sie eine Befreiung. Raus aus einer strengen, kommunistischen Gesellschaft, rein in eine unfertige, experimentierfreudige Stadt. Terézia Mora begann Drehbuchschreiben zu studieren. 

Die Sprache der Anderen

Ihren ersten literarischen Text schreibt sie auf Deutsch und tritt damit – mehr aus Neugier – auf einer Lesebühne auf. Prompt bekommt sie einen Vertrag bei einem renommierten Verlag. Sie erzählt Geschichten aus einem Niemandsland, irgendwo zwischen Ungarn und Österreich. 

Deutsch, das ist für Terézia Mora die Sprache ihrer eigenen Bücher. Ungarisch, die der anderen. Sie arbeitet nebenher als Übersetzerin, überträgt die Literatur von Péter Esterházy ins Deutsche. Für sie hat Schreiben etwas mit Zeit zu tun, mit dem Ordnen von Erinnerungen, mit dem Einsinkenlassen von Gedanken. 

Terézia MoraBild: picture-alliance/dpa/U. Anspach

Kopfüber am Kreuz

Immer wieder geht es in ihren Büchern um Kommunikation, um Menschen, die sprachlich entwurzelt sind, emotional keinen Halt finden. Oft schlüpft sie dabei in die Rolle von seltsamen Männergestalten. Wie in ihrem Romandebüt "Alle Tage", der Geschichte eines Flüchtlings, geboren in einem Land, das es längst nicht mehr gibt. Man mag dabei an das untergegangene Jugoslawien denken. So wie Mora verschlägt es auch ihren Helden nach Berlin. 

Ein Genie, das zehn Sprachen beherrscht, sich aber in keiner wirklich verständigen kann. Allein sein Name: Abel Nema! Er stammt aus dem Slawischen und bedeutet "der Stumme". Eine wunderliche Figur, die auf den ersten Seiten schon kopfunter am Klettergerüst eines Spielplatzes hängt. Seine Füße sind mit Klebeband an der Stange befestigt. 

"Panik ist nicht der Zustand eines Menschen. Panik ist der Zustand dieser Welt. Alles mal die unbekannte Größe P."

Dieser eigenartige Mann geht zugrunde – weniger an der Welt als an sich selbst. Terézia Mora beschreibt dies, ohne plakativ zu werden, mit großer Kunstfertigkeit. Sie verändert Stimmungen und Perspektiven virtuos und im Nu. Innere Monologe voller Glut prallen auf nüchterne Kommentare, gleiten an detailgenauen Beobachtungen ab. 

Raus aus der Ausländerschublade!

Sie machte 2013 das Rennen und gewann den renommierten Deutschen BuchpreisBild: picture-alliance/dpa

Terézia Mora seziert die deutsche Sprache, lotet ihre Möglichkeiten bis ins Letzte aus. Gerade für diese Virtuosität wurde sie mit den wichtigsten Preisen der deutschsprachigen Literatur ausgezeichnet – 2013 mit dem Deutschen Buchpreis, 2018 mit dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. "In ihren Romanen und Erzählungen widmet sich Terézia Mora Außenseitern und Heimatlosen, prekären Existenzen und Menschen auf der Suche und trifft damit schmerzlich den Nerv unserer Zeit", heißt es in der Jury-Begründung für diese Auszeichnung, mit der sie endgültig im Zentrum der deutschen Literatur angekommen ist.

Dass sie, besonders anfänglich, immer wieder in die Ausländerschublade gesteckt wurde, "das hat mich eine Weile lang irritiert", sagt Terézia Mora. "Und dann bin ich dazu übergegangen, keine Leseanfragen mehr anzunehmen, bei denen ich als Ungarin angekündigt werde", erzählt sie mit einem süffisanten Lächeln. 

Mit dem Klischee einer weltfremden Dichterin kann sie wenig anfangen. Schreiben heißt für sie, genau hinzuschauen, wenn Gewissheiten sich verflüchtigen, Grenzen sich auflösen. Und das könne man nur, so Terézia Mora, wenn man mitten im Leben stehe.


Terézia Mora: "Alle Tage" (2004), btb Verlag


Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren. Sie lebt seit 1990 in Berlin und gehört zu den renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Ungarischen. Seit 1999 veröffentlicht sie Erzählungen und Romane, für die sie mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet wurde. Für ihren Roman "Das Ungeheuer" erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Im Oktober 2018 wurde ihr mit dem Georg-Büchner-Preis der angesehenste deutsche Literaturpreis verliehen.

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