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Politik

"Die schlimmsten Befürchtungen wahrgeworden"

20. Dezember 2016

Nach schweren Anschlägen in anderen europäischen Ländern hat es mit dem Berliner Attentat nun auch Deutschland getroffen. Fragen an den Terrorismusexperten Rolf Tophoven.

Deutschland Anschlag mit LKW auf Weihnachtsmarkt in Berlin
Bild: Reuters/F. Bensch

DW: Herr Tophoven, ein Anschlag wie dieser war wohl nur eine Frage der Zeit, oder?

Tophoven: Die Dimension des Anschlags, auch was die Zahl der Toten und Verletzten betrifft, war von den deutschen Sicherheitsbehörden schon seit langem ins Kalkül gezogen worden. Erst recht nach den Anschlägen von Brüssel und Paris im letzten Jahr ging man davon aus, dass Deutschland nicht nur ein abstraktes Terrorziel ist, wie man lange Jahre immer wieder gesagt hat, sondern dass ganz konkret auch hier ein Anschlag passieren könnte. Von daher sind jetzt die schlimmsten Befürchtungen der Sicherheitsbehörden Realität geworden.

Hätte man diesen Anschlag verhindern können?

Nein. Wenn Sie einen Täter haben, der fanatisiert ist und dann einen LKW als Waffe benutzt, haben Sie keine Chance, es sei denn, Sie kennen ihn, wissen, was er wann und wo vorhat, und nehmen ihn vor der Tat fest. Aber Sie können nicht alle Fahrzeuge kontrollieren, Sie können auch nicht jeden Weihnachtsmarkt so abschotten, dass kein Gefährder auf den Markt kommt, dann müssten Sie die Weihnachtsmärkte schließen. Das heißt, einen Anschlag dieser Dimension mit einem LKW können Sie nicht hundertprozentig verhindern.

Aber wie sieht es mit dem Vorfeld aus? Der mutmaßliche Täter stammt offenbar aus Pakistan, ist, wie es in Berichten heißt, wie viele andere Migranten über die Balkanroute nach Deutschland eingereist, hat in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt und verschiedene Identitäten benutzt. Gerade das sollte doch nach mehreren Attentaten und Attentatsversuchen nicht mehr passieren.

Das Problem war ja, dass die hunderttausenden Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, durch den anfänglichen immensen Ansturm nicht alle erfasst werden konnten.

Tophoven: Oft findet eine Radikalisierung erst hier stattBild: picture-alliance/Eventpress/Rekdal

Zum anderen muss man ganz scharf trennen: Wer war in einer furchtbaren Lage in einem Kriegsgebiet, und wer ist durch militant-terroristische Terrorgruppen wie den IS über die Flüchtlingsroute nach Europa eingeschleust worden.

Beim Berliner Täter kennen wir die Motive noch nicht, ob es Hass auf die Gesellschaft oder Frustration ist oder ob er eine Order einer Organisation wie dem IS bekommen hat. Wir sehen aber an der Vorgehensweise des Anschlags, dass das Attentat von Nizza mit einem Lastwagen offenbar als "Vorbild" diente. Und es gibt seit September 2014 den Aufruf des inzwischen getöteten Propagandachefs des IS, der gesagt hat: "Tötet die Ungläubigen mit allen Mitteln, die ihr habt, mit Messern, mit LKWs, stoßt sie von Klippen!" Es gibt also in der terroristischen Szene genügend Anleitungen für Täter.

Bedeutet das, dass die Behörden bei Tausenden, vielleicht Hunderttausenden Migranten nicht wissen, wen sie vor sich haben und wer eine radikale Vorgeschichte hat?

Vieles ist sicher den Behörden bekannt. Aber bei der Masse der Gekommenen ist es schlicht unmöglich, jeden ausreichend zu durchleuchten, wobei auch sehr häufig ein Radikalisierungsprozess erst in Europa eintritt. Es sind viele Menschen nach Europa und nach Deutschland gekommen in der Absicht, hier nicht nur Sicherheit, sondern Einkommen, Zufriedenheit und eine gesicherte Existenz zu finden. Wenn diese Erwartungen von der Gesellschaft nicht erfüllt werden, besteht hier und da die Gefahr eines Abdriftens in die Radikalität.

Die sicherheitspolitische Diskussion schwankt nach solchen Vorfällen zwischen Übertreibung und Nichtstun. Was kann man realistischerweise von Behördenseite tun und wie kann man sich als Bürger verhalten?

Sicher ist, dass das Ziel der Terroristen erreicht wurde, bei vielen Menschen - nicht bei allen - Angst und Panik zu erzeugen. Bei aller gebotenen Vorsicht bei Menschenansammlungen ist aber für jeden eine Art souveräne Gelassenheit wichtig, um nicht durch Reaktionen auch noch den Hintermännern des Terrors in die Hände zu spielen.

Absolut nicht geboten ist, in einer reflexhaften, hektischen Reaktion neue Gesetze und Restriktionen zu fordern. Hundertprozentige Sicherheit kann der Staat nicht garantieren. Innenminister Thomas de Maizière hat schon nach den Anschlägen von Ansbach und Würzburg gesagt, dass eine offene, freie Gesellschaft sich daran gewöhnen muss, mit solch extremen Situationen umzugehen. Wir müssen uns an solche extremen Dramen gewöhnen, wenn wir unsere Gesellschaftsform, unsere Offenheit erhalten wollen.

Rolf Tophoven ist Direktor des Instituts für Krisenprävention (IFTUS) in Essen.

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.

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