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Terrorgefahr für Deutschland

2. Mai 2011

Nach dem Tod von Al-Kaida-Führer Osama bin Laden setzen die Sicherheitsbehörden ihre Ermittlungen gegen Terrorzellen in Deutschland unvermindert fort. Die Gefahr von Anschlägen gilt noch lange nicht als gebannt.

Polizisten mit Maschinengewehren vor einem Schnellzug (Foto: dpa)
Bundespolizisten patroullieren im November 2010 nach TerrorwarnungBild: picture alliance/dpa

Auch nach dem Tod Osama bin Ladens schließen deutsche Sicherheitsbehörden Racheakte in Deutschland nicht aus. "Die Gefahrenlage hat sich nicht entschärft" bestätigt am Montag (02.05.2011) Rolf Tophoven, Leiter des Institutes für Terrorismusforschung in Essen. Tophoven verweist in Übereinstimmung mit dem Bundeskriminalamt darauf, dass Osama bin Laden zwar auch für deutsche Terrorzellen noch ein spirituelles Vorbild gewesen sei, mögliche Anschlagsaktionen aber schon seit Langem unabhängig von bin Laden geplant wurden. "Kleine Terrorgruppen haben sich längst verselbstständigt und erhalten ihre Aufträge direkt aus den Terrorcamps oder über Mittelsmänner", so Tophoven.

Das jüngste Beispiel für eigenständig in Deutschland operierende Al-Kaida-Terroristen ist eine Gruppe junger Männer, die am vergangenen Freitag in Düsseldorf und Bochum festgenommen wurden. Den Verhaftungen waren monatelange Ermittlungen vorausgegangen. Danach sollen die drei Männer im Alter zwischen 29 und 31 Jahren einen Bombenanschlag in Deutschland auf den öffentlichen Nahverkehr geplant haben. Sprengstoff und dafür geeignete Chemikalien wurden in der Düsseldorfer Wohnung sichergestellt. Von den aus Marokko stammenden Verdächtigen soll ein Mann regelmäßig Kontakt zu einem hochrangigen Al-Kaida-Funktionär gehabt haben. Den Erfolg der jüngsten Verhaftungen verdanken die deutschen Ermittler einer verstärkten Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten und der verbesserten Koordination von deutschen Behörden. Sie gingen seit November 2010 nach Hinweisen aus dem Ausland von einer erhöhten Terrorgefahr in Deutschland aus.

Sicherheitskontrolle am FlughafenBild: AP

Im vergangenem Herbst gab es Großfahndungen in ganz Deutschland, ein umfangreiches Polizeiaufgebot in Bahnhöfen und auf Flughäfen sowie erhöhte Sicherheitsmaßnahmen an öffentlichen Plätzen: Es galt die Alarmstufe 1. Bei den deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden hatten sich Hinweise gehäuft, militante Islamisten hätten im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet in Al-Kaida-Lagern trainiert und seien auf dem Weg nach Deutschland, um blutige Anschläge zu verüben. Als Zeitpunkt für die Attentate wurde der November 2010 genannt. Es geschah dann aber glücklicherweise nichts. Sicherheitsexperten wollten trotzdem nicht von mangelnder Entschlossenheit der Extremisten sprechen. Mit den Verhaftungen in Düsseldorf und Bochum sollten sie recht behalten.

Mitläufer sind die größte Gefahr

"Die besorgniserregende Entwicklung ist, dass es eine ganze Reihe bisher nicht in Erscheinung getretener deutscher Anhänger von islamistischen Terrorvereinigungen gibt", sagte Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes zum Thema Terrorgefahr in Deutschland. Die Zahl der Sympathisanten wird von Sicherheitsexperten auf zwischen 100 und 200 Personen in Deutschland geschätzt. Rund 130 als sogenannte "Gefährder" eingestufte Personen hat das Bundeskriminalamt unter ständiger Beobachtung, ebenso ihr Umfeld.

Mit Blogs und auf diversen Internetforen werde immer wieder versucht, weitere Anhänger zu mobilisieren. "Das muss unterbunden werden", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der sich dafür einsetzt, Terrorfahnder mit entsprechend umfangreicheren Kompetenzen auszustatten. Im April dieses Jahres begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Mitglieder der "Globalen Islamischen Medienfront", die in Deutschland mit der Anwerbung von Terroristen begonnen hatten.

Veränderte Lage in Deutschland

Videobild des mutmaßlichen Terroristen "Abu Talha, der Deutsche"Bild: AP

War Deutschland in den neunziger Jahren eher ein Ruhe- und Rückzugsraum islamistischer Terroristen, verzeichneten die Sicherheitsbehörden zuletzt verstärkte Aktivitäten und Reisebewegungen von Verdächtigen. "Die Szene ist unruhiger geworden" bestätigen Jörg Ziercke und seine Fachleute im Bundeskriminalamt. Vor allem scheine die Zahl der "Gefährder" weiter zu wachsen.

Einer dieser Hauptakteure war der Deutsch-Marrokaner Bekkay Harrach, der unter dem Namen Abu Talha vor der Bundestagswahl 2009 ein Video veröffentlichte. Darin drohte der Islamist mit Anschlägen für den Fall, dass die deutschen Soldaten nicht aus Afghanistan zurückgezogen würden. Inzwischen soll Bekkay Harrach bei einem Gefecht in Nordafghanistan getötet worden sein. Eine offiziell nachprüfbare Bestätigung gibt es dafür aber nicht.

Ermittlungsverfahren und erfolgreiche Verhaftungen

Gegen islamistische Terrorverdächtige in Deutschland sind aktuell rund 300 Ermittlungsverfahren von der Bundesanwaltschaft eingeleitet und werden an deutschen Gerichten verhandelt. Betroffen sind nicht nur direkt Al Kaida zugeordnete Personen, sondern auch Gruppierungen wie die "Islamische Bewegung Usbekistan" und die "Usbekische Islamische Dschihad Union".

Zu dieser Gruppe gehörten auch die Männer, die im Sauerland in einem Privathaus an Sprengsätzen arbeiteten. Im Jahr 2007 gelang die Festnahme der Terroristen, bevor diese ihre Anschlagspläne verwirklichen konnten. Bereits drei Jahre zuvor konnten Mitglieder der kurdisch-irakischen Islamistengruppe Ansar al-Islam verhaftet werden. Sie hatten geplant, den damals amtierenden irakischen Ministerpräsidenten Allawi bei einem Deutschlandbesuch zu ermorden. Die Verhaftung der Terroristen vor der Tat gelang der deutschen Polizei über abgehörte Telefongespräche. Der Haupttäter ist inzwischen verurteilt. Er erhielt eine zehnjährige Haftstrafe.

Weiterhin strenge Fahndung

Die Ermittlungen konzentrieren sich nicht alleine auf DeutschlandBild: dapd

Der Personenkreis, den deutsche Sicherheitsbehörden ständig im Auge haben, wurde seit dem vergangenen Jahr noch einmal deutlich erweitert. Nun stehen auch einzelne Konvertiten und Migranten mit oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit unter besonderer Beobachtung. Rund 70 dieser überprüften Personen sollen eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben.

Die Ermittlungen konzentrieren sich dabei nicht alleine auf das Gebiet der Bundesrepublik. Beamte des Bundeskriminalamtes sind auch in Afghanistan eingesetzt und arbeiten mit der dortigen Polizei im Rahmen der Eupol-Mission zusammen. Die Al-Kaida-Filialen in Nordafrika, im Jemen, in Saudi-Arabien, in Somalia und im Irak werden analysiert. Sie gelten als noch gefährlicher als die Verbindungszellen in Deutschland oder in Europa.

Als effektivste Maßnahme zur Terrorprävention sieht Rolf Tophoven vom Essener Institut für Terrorismusforschung nicht nur die Gewinnung von Daten aus Telekommunikations-Verbindungen. Dringend notwendig seien persönliche Kontakte zu Menschen aus dem Terrornetzwerk. "Wir müssen mehr Al-Kaida-Sympathisanten für uns gewinnen", so Tophoven. Wie notwendig dies ist, zeigte die Information eines abgesprungenen Terroristen: Dessen Aussage half, Paketbomben aus dem Jemen zu entschärfen, die im vergangenen Jahr unter anderem über Köln nach London gelangten.

Autor: Wolfgang Dick

Redaktion: Michael Borgers