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Politik

Thüringen: ein Bundesland im Fokus

Friedel Taube
24. Oktober 2019

In Thüringen hat zum ersten Mal die rechtspopulistische AfD einem bürgerlichen Politiker in ein Amt verholfen. Ein Schock für Deutschland. Was ist das für ein Bundesland, auf das gerade das ganze Land schaut?

Deutschland Bundesrat in Berlin | Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident Thüringen
Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Thüringen ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Und das nicht nur, weil hier Luther, Bach und Goethe gewirkt haben. Oder weil die Klöße, eine Lieblingsspeise der Deutschen, aus Thüringen kommen. Auch politisch ist das Land ein Unikum: Nur hier stellte bis zur Landtagswahl im Oktober die Partei "Die Linke" den Ministerpräsidenten. Die Partei entstand 2005 aus einem Zusammenschluss der westdeutschen Gewerkschafterpartei "WASG" mit der "PDS", der Nachfolgepartei der DDR-Regierungspartei "SED".

Ein Linker aus dem Westen

Bodo Ramelow (Artikelbild) war seit 2014 Regierungschef eines Bündnisses aus Linkspartei, SPD und Grünen. Den Erfolg seiner Partei - und das auch noch in einem Dreierbündnis - erklärte er sich im exklusiven DW-Interview so: "Wir zeigen, dass man ruhig und gelassen mit drei Parteien regieren kann. Das galt vor fünf Jahren in Deutschland noch als undenkbar." Er selbst ist ein eher untypischer Vertreter der Linkspartei: gebürtiger Westdeutscher, bekennender Christ.

Ramelows größter Herausforderer vor der Wahl war Mike Mohring, Landesvorsitzender der CDU. Er wollte Ramelow als Ministerpräsident beerben und die CDU in Thüringen wieder zur stärksten Kraft machen. Das ist ihm nicht gelungen. Die Linke ging als stärkste Kraft aus der Landtagswahl hervor, gefolgt von der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD). Für keine Koalition gibt es derzeit eine Mehrheit, da keine Partei mit der AfD koalieren will und Linke und CDU nicht zusammen regieren wollen. Nach der politischen Krise der vergangenen Tage, bei der sich Thomas Kemmerich von der FDP mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ und dann wieder zurücktrat, stehen Neuwahlen im Raum. 

Thomas Kemmerich hat in ganz Deutschland für Aufsehen gesorgtBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Boomende Städte, abgehängte Dörfer

Thüringen ist eines der fünf "neuen" Bundesländer, die nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik in Mittel- und Ostdeutschland entstanden sind. Vor allem das Ausbluten des ländlichen Raums stellt viele Bürger vor Probleme - die Jungen gehen ins Ausland, nach Westdeutschland oder in die großen Städte Thüringens. Während Städte wie Erfurt und Jena in den vergangenen Jahren konstant gewachsen sind, werden viele Dörfer zunehmend leerer. Damit einher gehen nicht nur sehr geringe eigene Steuereinnahmen, die weit unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Viele Kommunen fühlen sich abgehängt, Busverbindungen fehlen. "Viele Menschen, die in Dörfern wohnen, fragen sich: ´Wie komme ich eigentlich aus dem Dorf in die nächste Kreisstadt", sagt Ramelow. "Mobilität ist ein Schlüsselthema. Eines der Themen, das in Deutschland lange vernachlässigt worden ist, ist die Ertüchtigung des Schienenverkehrs und der Eisenbahn an sich." Hier soll ausgebaut und Verkehr von der Straße auf die Schiene verlegt werden.

Zwar schreibt Thüringen durchaus gute Wirtschaftszahlen. Dafür sind aber vor allem einige "Boomregionen" verantwortlich: "Es gibt auch hier Leuchttürme, wo die wirtschaftliche Entwicklung besser läuft - Jena, Erfurt, Weimar, Ilmenau", sagt Torsten Oppeland, Politikwissenschaftler an der Universität Jena. "In anderen Gebieten haben die Menschen das Gefühl, sie würden in einer übertrieben gesagt ´aussterbenden Gegend´ leben, und das drückt auf die Stimmung."

Städte in Thüringen wie hier Erfurt boomen, aber auf den Dörfern fühlen sich viele abgehängtBild: picture-alliance/dpa/dpa-Zentralbild/ZB/B. Schakow

Erstarken der AfD

Laut einer Umfrage von Infratest dimap sind die dringendsten Probleme für immerhin 17 Prozent der Thüringer Flucht und Migration. Auch ein Grund, warum die AfD hier stark abschneidet - über 23 Prozent Stimmenanteil hat sie bei den Landtagswahlen geholt. Ihr Landesvorsitzender ist in Thüringen der umstrittene Björn Höcke. Torsten Oppelland sieht die hohen Flüchtlingszahlen aus dem Herbst 2015 als einen Wendepunkt, der die AfD in Thüringen stark gemacht hat: "Die Menschen hier sind viele Jahre mit Aussagen konfrontiert worden, dass für dies oder jenes, für Polizeistationen, Buslinien oder Schulrenovierungen kein Geld da sei. 2015 haben sie gesehen, dass plötzlich Milliardenbeträge da waren, um Integrationsleistungen zu finanzieren. Das löst Unmut aus".

Und auch die DDR-Vergangenheit spiele eine Rolle: "Viele erinnert die Einmütigkeit der öffentlichen Meinung in Richtung ´Willkommenskultur´ an DDR-Zeiten, wo es eine Sprachregelung gab, an die man sich zu halten hatte - und alles, was sich dem entzog, abgewertet wurde. Viele, die der Meinung sind, dass Deutschland keine neuen Ausländer braucht, fühlen sich zu Unrecht als Rassisten verunglimpft", so Oppelland.

Falls FDP-Politiker Kemmerich seinen Rückzug vollzieht, könnten erneut Wahlen auf das kleine Bundesland zukommen. Die Hürden dafür sind aber relativ hoch. Nicht nur Linke, SPD, Grüne und FDP müssten dem zustimmen, es wären auch weitere Stimmen von der CDU oder der AfD notwendig, um den Thüringer Landtag auflösen zu können. 

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