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Politik

Thailändische Sexarbeiterinnen in Deutschland

Esther Felden | Naomi Conrad
20. Juni 2018

Sie kommen nach Deutschland, um als Prostituierte zu arbeiten. Dabei werden viele thailändische Frauen Opfer von Menschenhändlern. Über ein dunkles System, Abhängigkeit und das Spiel mit der Angst.

Prostituierte in Minirock und Stöckelschuhen von der Hüfte abwärts aufgenommen an einer Straße
Bild: imago/EQ Images

Am Anfang steht der Traum. Ein kleines Stück Land, ein eigenes Haus. Die Möglichkeit, sein Kind vielleicht zur Universität schicken zu können. Doch dann ist da die Realität. Die so ganz anders aussieht: kein Job, keine Qualifikationen, kein Geld. Eine Situation, die zigtausende Frauen in Thailand kennen. Und aus der sie für sich nur einen Ausweg sehen. Sie verkaufen das einzige Kapital, das sie haben: ihren Körper.

Wie viele thailändische Frauen von der Prostitution leben, ist nicht genau bekannt. Das Gesundheitsministerium in Bangkok gab die Zahl im Jahr 2015 mit mehr als 120.000 an. Liz Hilton hält diese Zahlen für konservativ. Sie arbeitet bei der Empowerment Foundation, einer NGO, die sich seit über 30 Jahren dafür einsetzt, dass sich die Lebensqualität von Prostituierten im Land verbessert. Sie spricht von rund 300.000 Prostituierten. "Durchschnittlich sind sie Anfang bis Mitte 20. Aber manche Frauen arbeiten noch mit über 60 Jahren."

In Thailand selbst zählen auch viele Touristen zu den Kunden der ProstituiertenBild: picture-alliance/dpa

Die Biografien ähneln sich, erzählt Hilton: Mehr als drei Viertel seien alleinerziehende Mütter, die ihre Kinder großziehen und sich daneben auch um die eigenen Eltern kümmern müssten. "Oft haben sie vorher schon eine Reihe von Jobs hinter sich, die sie ohne Qualifikationen bekommen können, haben in Fabriken gearbeitet oder auf dem Reisfeld."

Gefährliche Träume

Viele gehen nach Bangkok, Pattaya oder andere große Städte des südostasiatischen Landes. Arbeiten auf der Straße oder in Bordellen, bedienen einheimische Männer und Sex-Touristen. Andere gehen ins Ausland. Beispielsweise nach Deutschland. Sie glauben, dass sie eine Zeitlang dort arbeiten und etwas ansparen können, um dann in der Heimat die Existenz der Familie zu sichern.

Die Frauen setzen alles auf diese eine Karte. Viele lassen sich auf einen folgenschweren Pakt mit Menschenhändlern ein. Welche Arbeit sie in Deutschland erwartet, dessen seien sich die meisten durchaus bewusst, sagt Ursa Lerdsrisuntad. Sie arbeitet ebenfalls für eine Hilfsorganisation in Thailand, die Foundation for Women. "Viele wissen, dass sie im Sex-Gewerbe tätig sein werden. Sie sind bereit, in Deutschland ihren Körper für Geld zu verkaufen. In Ausbeutung allerdings willigen sie nicht ein. Den Frauen ist klar, dass sie über Monate ihre Schulden an die Menschenhändler und die Zuhälter zurückzahlen müssen. Aber sie denken, dass sie danach auch Geld für sich behalten und sparen können. Doch manchmal hört das mit den Schulden einfach nie auf."

Warten auf den nächsten Freier: diese Prostituierten stehen vor einer Bar in BangkokBild: picture-alliance/dpa

Die Schilderungen decken sich mit den Angaben des deutschen Bundeskriminalamtes. Jedes Jahr veröffentlicht die Behörde das sogenannte Bundeslagebild Menschenhandel. In der aktuellsten Ausgabe für 2016 heißt es dazu: "Über ein Viertel der ermittelten Opfer (28 %) gab an, mit der Aufnahme der Prostitutionsausübung einverstanden gewesen zu sein. Erfahrungsgemäß wurden diese Opfer aber nicht selten über die tatsächlichen Umstände wie Art und Umfang der Prostitutionsausübung sowie deren Einnahmen getäuscht."

Tricksen für ein Visum

Die geschäftlichen Konditionen werden allein von den Menschenhändlern bestimmt. "Die Frauen bezahlen jemanden dafür, Visa und Empfehlungsschreiben zu besorgen, den Job in Deutschland zu organisieren und sie vor einer Festnahme durch die Polizei und vor der Einwanderungsbehörde zu beschützen", erklärt Liz Hilton von der Empowerment Foundation. Anders als die Prostituierten aus Rumänien oder Bulgarien, die als EU-Bürger kein Visum brauchen, benötigen die Thailänderinnen Papiere für die Einreise. Mit Hilfe der Schleuser reisen die thailändischen Frauen mit gefälschten Touristen- oder auch Au-Pair-Visa ein.

In der Visastelle fallen Einzelfälle von Täuschung, "wenn sie gut gemacht sind", manchmal vielleicht nicht auf, erzählt eine ehemalige Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes, die selbst in der Visastelle einer deutschen Botschaft im Ausland gearbeitet hat. Wenn aber beim Visumsantrag auch nur die kleinste Unstimmigkeit auffalle oder es irgendwelche Anzeichen für Menschenhandel oder Prostitution gebe, dann werde der Antrag abgelehnt. Manchmal, so vermutet die Diplomatin, beantragen Schleuser Schengen-Visa für Frauen und Transsexuelle auch in manchen anderen europäischen Botschaften, weil sie davon ausgehen, dass Anträge dort weniger genau geprüft werden.

Die Frauen arbeiten in sämtlichen deutschen Großstädten im Rotlichtbezirk - wie beispielsweise in FrankfurtBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

In Deutschland angekommen, sind die Frauen meist komplett abhängig. Sie können kein Deutsch, sind gewissermaßen sprachlos. Nur mit den Tätern können sie kommunizieren. Denn die, so schreibt das BKA, "teilen häufig einen ethnischen, kulturellen oder nationalen Hintergrund, was den Aufbau eines Abhängigkeitsverhältnisses begünstigt".

Ein Schlag gegen die organisierte Kriminalität

Grundsätzlich müsse man unterscheiden zwischen Menschenhandel und Prostitution, sagt Livia Valensise. Sie arbeitet für Ban Ying, eine Berliner Beratungsstelle gegen Menschenhandel, die es seit 1989 gibt. Mehrfach weist sie im Gespräch auf diesen Punkt hin, er ist ihr wichtig. "Man sollte diese beiden Dinge nicht vermischen." Nicht jede ausländische Prostituierte sei automatisch ein Opfer von Menschenhandel, es gebe durchaus auch Frauen, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen seien, und den Beruf aus freien Stücken ausübten.

Livia Valensise von der Beratungsstelle Ban YingBild: privat

Bei den thailändischen Sexarbeiterinnen, die im April im Rahmen einer spektakulären Großrazzia der Bundespolizei aufgegriffen wurden, trifft das aber nicht zu. Sie zählen zu den "klassischen" Fällen, wurden Opfer eines Menschenhändlerrings. Sie mussten zunächst in mehreren Bordellen im nordrhein-westfälischen Siegen anschaffen gehen, bevor sie auf das gesamte Bundesgebiet weiterverteilt wurden. Mehr als 100 Personen wurden vorläufig festgenommen, darunter ein deutscher Mann und seine thailändische Frau. Sie sollen die Köpfe des Netzwerkes gewesen sein. Ihnen wird vorgeworfen, mehrere hundert thailändische Frauen und Transgender nach Deutschland eingeschleust und zur Prostitution gezwungen haben.

Bei der bundesweiten Razzia im April wurden auch die Prostituierten in Gewahrsam genommenBild: picture-alliance/dpa/A. Vogel

Die im Zuge der Razzia aufgegriffenen Frauen seien ebenfalls in Gewahrsam genommen worden, sagt Expertin Valensise. Ob sie sich noch immer in Deutschland aufhalten oder zurückgeschickt wurden, kann sie nicht sagen. "Ich weiß von anderen Organisationen, dass sie sich in Abschiebehaft befunden haben. Aber den aktuellen Stand kennen wir nicht." Das kritisiert Valensise, denn eigentlich besteht seit zehn Jahren eine Art Kooperationsabkommen zwischen der Polizei und verschiedenen Fachberatungsstellen, die sich wie Ban Ying auf das Thema Menschenhandel spezialisiert haben. "Darin steht, dass die Polizei uns im Verdachtsfall informiert: wenn sie auf Frauen stößt, von denen sie annimmt, dass es einen Zusammenhang zu Ausbeutung, Menschenhandel oder Zwangsprostitution geben könnte."

Kritik am Vorgehen der Behörden

Im Fall der Großrazzia allerdings sei das nur sehr unzureichend geschehen. Kaum eine der Partnerorganisationen sei von den Behörden kontaktiert worden. Valensise befürchtet, dass die Betroffenen in Gewahrsam auch nicht über ihre Rechte aufgeklärt wurden, beispielsweise über die sogenannte Bedenk- und Stabilisierungsfrist. "2011 wurde eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Menschenhandel verabschiedet. Dort heißt es, dass Betroffenen eine Frist eingeräumt werden muss, damit sie eine überlegte Entscheidung treffen können, ob sie in einem Prozess aussagen möchten oder nicht. Ich gehe nicht davon aus, dass ihnen das in Abschiebehaft mitgeteilt wurde."

Wie viele thailändische Frauen in Deutschland als Prostituierte arbeiten, ist nicht bekanntBild: Bear Guerra

Insgesamt übt Livia Valensise von Ban Ying Kritik an der Richtlinie. "Dass der Aufenthalt der Frauen überhaupt an eine Aussagebereitschaft als Zeugin vor Gericht gebunden ist, halten wir für fragwürdig." Dazu kommt, dass dieser Schutz keine Garantie dafür ist, dass die Betroffenen wirklich bleiben dürfen. "Wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen in einem Fall nicht weiterführt und die Frau als Zeugin nicht mehr gebraucht wird, dann verfällt der Aufenthaltsanspruch auch wieder."

Die Chancen, in Deutschland bleiben zu dürfen, sind dann sehr klein. Die Frauen werden meist wieder nach Thailand abgeschoben. Dort betreuen Organisationen wie die Empowerment Foundation die Rückkehrerinnen. "Die Frauen, mit denen wir sprechen, sind oft wütend", sagt Liz Hilton. "Die Tatsache, dass es so hingestellt wird, als würde man sie retten und ihnen helfen, macht es nur noch schlimmer. Denn erst eingesperrt und dann abgeschoben zu werden, das empfinden sie nicht als Hilfe."

 

Anmerkung der Redaktion: Auf DW-Nachfrage gab die zuständige Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main an, dass bei den bundesweiten Durchsuchungen insgesamt 81 Personen angetroffen wurden, bei denen sich konkrete Hinweise darauf ergeben hatten, dass sie sich unerlaubt in der Bundesrepublik aufhalten. Die rechtliche Situation in den Einzelfällen bedürfe der näheren Klärung durch die regionalen Ausländerbehörden. Zu aktuellen Sachständen, dem Verbleib sowie einer etwaigen Betreuung der betroffenen Personen könne die Generalstaatsanwaltschaft daher keine Angaben machen.

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