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PolitikAsien

"Anfang einer neuen Bewegung"

20. Juli 2020

Am Wochenende hat Thailand die größten pro-demokratischen Demonstrationen seit Beginn der Corona-Pandemie erlebt. Der Thailand-Experte Wolfram Schaffar ordnet deren Bedeutung im DW-Interview ein.

Polizisten versuchen Demonstranten vom Demokratie-Denkmal in Bangkok fernzuhalten
Bild: Getty Images/AFP/A. Jones

Am Wochenende versammelten sich etwa 2000 Thais am Demokratiedenkmal im Herzen der Altstadt von Bangkok. Es handelte sich um die größte derartige Demonstration seit dem Militärputsch von 2014.

Die überwiegend jungen Teilnehmer waren einem Aufruf der Gruppe "Freie Jugend" gefolgt. In den letzten Monaten war es immer wieder zu Proteste gegen die konservative und königstreue Regierung gekommen.

Deutsche Welle: Etwa 2000 Thais gingen am Wochenende für mehr Demokratie auf die Straße. Welche Bedeutung haben diese Proteste für das Land?

Thailandexperte Wolfram Schaffar

Wolfram Schaffar: Der Protest hat eine enorm große Bedeutung, weil sich hier eine neue Generation artikuliert, und zwar jenseits der existierenden Polarisierung, die wir bisher aus Thailand kennen. Die überwiegend jungen Demonstranten sind in dem Alter, in dem zum ersten Mal politische Entscheidungen und politische Teilnahme eine Rolle spielen.

Bei der letzten Wahl im März 2019 war ein ganz großer Anteil dieser Generation zum ersten Mal zur Wahl aufgerufen. Bei den aktuellen Protesten artikuliert sich das Gefühl, dass sie komplett um die politische Partizipation betrogen wurden. Denn die Verfassung, auf deren Grundlage die Wahlen stattgefunden haben, als auch das Ergebnis wurden so getrimmt, dass die Mächtigen in ihrer Macht bestätigt wurden.

Was fordern die Demonstranten?

Die Demonstranten fordern eine echte Demokratie. Sie wollen die Auflösung des Parlaments, einen Stopp der Gängelung durch die Regierung bzw. die Sicherheitsapparate und eine neue Verfassung. Mehr kann man politisch eigentlich nicht fordern.

Sie sprechen von einer neuen Bewegung jenseits der alten Polarisierung. Handelt es sich hier um ein Generationenkonflikt?

Das kann man nur dann sagen, wenn es jetzt eine Reaktion von Seiten der "alten Generation" gibt. Bisher haben die Menschen die Regierung nicht aktiv unterstützt, sondern eher passiv hingenommen. Es ist ja ganz anders als auf den Philippinen, wo die Regierung von Präsident Duterte über 80 Prozent der Bevölkerung hinter sich weiß, wenn man den Umfragen trauen kann. 

In Thailand wird die Regierung um Ex-General Prayuth wenig unterstützt. Sie hat es mit langen Verzögerungen und Manipulationen gerade so geschafft, die Mehrheitsverhältnisse so zu drehen, dass sie an der Macht bleiben konnte. Von daher sind diese Proteste erst mal ein frischer neuer Wind, der gewissermaßen in ein Vakuum reinbläst.

Demonstranten forderten mit Transparenten den Rücktritt der RegierungBild: Getty Images/AFP/A. Jones

Auf einigen Plakaten wurde der thailändische König, Rama X., kritisiert. Angesichts der Tatsache, dass Kritik am König in Thailand mit langjährigen Haftstrafen belegt werden kann, ist das bemerkenswert. Welche Rolle spielt das Königshaus in der aktuellen politischen Lage?

Diese neue Generation ist wie das Kind, das ruft: "Der König ist nackt!" Die jungen Demonstranten kennen den vorherigen König noch aus ihrer Kindheit und waren der ganzen Propaganda ausgesetzt. Aber sie äußern sich jetzt in den sozialen Medien auf eine ganz neue Art und Weise. Selbstironie und Witz spielen beispielsweise auf TikTok eine große Rolle. 

Die nächste Generation ist geprägt von dieser Art Kommunikation und empfindet den König und die Kommunikation des Königshauses als Anachronismus. Sie irritiert vor allem, dass man über den König nicht sprechen darf. In den sozialen Medien gibt es nichts "Heiliges". Es wird einfach alles durch den Kakao gezogen. Und die Monarchie hat dem wenig entgegenzusetzen. Ihr fehlt jede Leichtigkeit und Selbstironie. 

Thai-König Rama X.Bild: picture-alliance/Royal Press Europe/A. Nieboer

Wozu braucht die Regierung die Monarchie überhaupt?

Wir kennen die Machtkonstellationen innerhalb der thailändische Eliten nicht genau. Da das nicht erforscht werden darf, ist es unklar, in welcher Weise die Monarchie mit dem Militär und den wirtschaftlichen Interessen verflochten ist. In jedem Fall ist die Monarchie wirtschaftlich ein extrem potenter Machtfaktor. Es gibt auch Indizien, dass der jetzige König einen stark ausgeprägten Machtinstinkt und neue Machtstrukturen durchgesetzt hat. Dafür sprechen das gewalttätige Durchgreifen gegen Kritiker der Monarchie und gewisse Freiheiten, die sich der Monarch gegenüber dem Militärs herausnimmt.

Wie repräsentativ ist diese junge Bewegung?

Das ist schwer zu sagen. In jedem Fall gehen die Impulse vor allem von einer  städtischen Mittelschicht aus. Wie das auf die junge Generation auf dem Land ausstrahlt, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht spielt diese Unterscheidung aber in Zeiten der politischen Mobilisierung über Soziale Medien kaum noch eine Rolle. 

Wie stehen denn dann die Chancen im Land politisch etwas zu verändern?

Die Bewegung hat durchaus Chancen, weil, anders als auf den Philippinen, die politische Frustration so stark ausgeprägt ist. Wenn sich jetzt so eine Bewegung formiert, dann gibt es unglaublich viele junge Leute, die zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen mit der Regierung unzufrieden sind, die sich aber dieser Bewegung anschließen. Was bisher fehlte, war ein Anknüpfungspunkt.

Eine andere Frage, die aber erst später aufkommen wird, ist die, wie viele Gemeinsamkeiten man dann bei konkreten Forderungen tatsächlich hat. Da geht es dann um Fragen der Umverteilung von Macht und Kapital. Da geht es auch um die schwierige Frage, welche Rolle die Monarchie in einem zukünftigen Thailand spielen soll.

Was wir aktuell sehen, ist der Anfang einer Bewegung. Hier hat auch das Coronavirus einen entscheidenden Einfluss. Die Pandemie lässt die letzte verbliebene Säule von Legitimität der aktuellen Regierung einknicken. Die hatte nämlich versprochen, die Wirtschaft mit Investitionen vor allem aus China zu unterstützen.

Thailänder wollen wieder Demokratie

03:22

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Wie steht es angesichts dieser Ausgangslage um die Chancen auf einen Kompromiss? 

Die Demonstranten haben drei sehr klare Punkte formuliert. Es ist klar, dass es nicht mit einer neuen Wahl getan ist. Es geht um die Fundamente des politischen Systems. Ich glaube nicht, dass die Regierung das mit der bisherigen Verzögerungstaktik und den Manipulationen entkräften kann. Entweder setzt sie auf massive Unterdrückung, oder aber sie riskiert enorm viel, denn die neue Bewegung ist für viele Kreise sehr attraktiv.

Wolfram Schaffar lehrt am Asien-Orient-Institut der Universität Tübingen. 

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.