Grenzstreit mit Kambodscha: Thailand in der Regierungskrise
26. Juni 2025
Neun Grenzübergänge wurden diese Woche zwischen Thailand und Kambodscha geschlossen. Der Auslöser war ein tödlicher Zwischenfall im Mai. Kambodschanische Soldaten hatten in einem umstrittenen Grenzgebiet Schutzgräben anlegen wollen. Daraufhin kam es zum Schusswechsel. Ein kambodschanischer Soldat starb.
Nach dem Zwischenfall schickten beide Regierungen mehr Soldaten in die Grenzregion. Die Grenze zwischen den beiden südostasiatischen Länden ist 800 Kilometer lang. Am Dienstag (24.06.25) kündigte das Militär von Thailand an, sieben Grenzübergänge zu schließen wie den bei Chong Sai Taku in der Provinz Buri Ram im Osten des Landes. Auch Kambodscha machte zwei Kontrollpunkte in der Provinz Oddar Meanchey dicht.
Thailand und Kambodscha haben 17 offizielle Grenzübergänge. Der meist frequentierte davon ist der Checkpoint, der die Provinz Sa Kaeo in Thailand mit der Stadt Poipet in Westkambodscha verbindet. Viele Grenzgänger überqueren den Checkpoint, um im Nachbarland zu arbeiten. Direkt hinter der Grenze befinden sich auch Dutzende Spielbanken und Casinos. Poipet ist etwas wie Las Vegas von Kambodscha. Zocker aus Thailand und anderen Ländern kommen durch diesen Checkpoint nach Kambodscha. Nun reduziert Thailand die tägliche Öffnungszeit dieses wichtigen Grenzübergangs von 16 auf acht Stunden. Die Grenze ist nur zwischen 8 und 16 Uhr offen.
Wirtschaft gelähmt
Der Thailänder mit dem Namen Ball besitzt eine Cannabis-Apotheke in der Grenzstadt Aranyaprathet in der Provinz Sa Kaeo, Sie ist eine Art holländischer "Coffeeshop". Thailand ist das erste Land in Asien, das Cannabis 2022 entkriminalisiert hat. In Kambodscha bleibt das Rauschmittel illegal. Der Konsum wird von den Behörden aber meistens nicht verfolgt. Viele Touristen aus Kambodscha kommen deswegen nach Thailand, um Gras zu kaufen.
"Vorher lief das Geschäft sehr gut. Ich habe gut verdient", sagt der Händler der DW. "Seit der letzten Woche bin ich direkt vom vorgezogenen Dienstschluss der Grenzbeamten betroffen. Nach 16 Uhr ist es bei mir sehr ruhig. Der Umsatz ging um 70 Prozent zurück."
Auch Lim Num Hong steht kurz vor der Schließung der Grenze geduldig an seinem Auto. Hong, ein Thailänder chinesischer Abstammung, ist Taxifahrer. Er wartet - nur wenige Schritte vor der Grenze zu Kambodscha - auf Kundschaft. Wenn er Glück hat, wollen die Touristen aus Kambodscha mit seinem Taxi zur nach Bangkok fahren. Die thailändische Hauptstadt liegt 240 Kilometer entfernt.
"Ich habe seit zwei Tagen keine Fahrt mehr. Es kam keiner. Mit einer Fahrt nach Bangkok verdiene ich sehr gut. Es ist eine lange Fahrt. Die Touristen können nicht mehr so einfach über die Grenze kommen, wie zum Beispiel die wohlhabenden Besucher aus den kambodschanischen Casinos", sagt Hong gegenüber der DW.
Ein anderer Thailänder, der sich Mon nennt und seinen echten Nachnamen nicht preisgeben will, war in einem Casino in Poipet beschäftigt. "Ein Jahr lang habe ich im Kundenservice eines Casinos in Kambodscha gearbeitet. Nun bin ich wieder zu Hause und muss nun neue Jobs suchen", sagt Mon der DW. Am 17. Juni verbot die thailändische Armee ihren Landsleuten die Ausreise, wenn sie in den Bars und Casinos in der kambodschanischen Stadt des Glückspiels arbeiten.
"Bewaffneter Krieg unwahrscheinlich"
In Thailand leben laut offiziellen Statistiken etwa 500.000 kambodschanische Gastarbeiter. Eine davon ist Vatey Mony. Sie betreibt einen kleinen Imbissstand auf einem Markt in Aranyaprathet und verkauft hausgemachte Gerichte an Thailänder, Kambodschaner und Touristen aus aller Welt. Nun überlegt sie sich, ob sie das Geschäft aufgibt.
"Die Grenze schließt früh. Es ist sehr ruhig geworden. Ich kann nicht kostendeckend arbeiten. Mein Plan B ist, nach Kambodscha zurückzukehren. Ich habe Angst und mache mir Sorgen", sagt sie gegenüber der DW.
Schon jetzt leidet der grenzüberschreitende Handel. Kambodscha hat seit Sonntag (22.6.25.) die Einfuhr von Obst, Gemüse, Benzin und Propangas aus Thailand verboten. Und Thailand lässt lokalen Berichten zufolge Lasten-Motorräder aus Kambodscha nicht mehr ins Land.
Eine weitere Eskalation würde beiden Ländern wirtschaftlich noch mehr schaden, sagt Politologin Tita Sanglee am ISEAS-Yusof Ishak Institute in Singapur. Sie glaubt nicht, dass der Konflikt zwischen Thailand und Kambodscha zu einem offenen bewaffneten Krieg eskalieren wird. "Eine echte Eskalation ist eher auf wirtschaftlicher Ebene zu erwarten", sagt sie gegenüber der DW.
"Beide Länder unternehmen derzeit Schritte, um sich gegenseitig wirtschaftlich zu treffen. Und beide haben viel zu verlieren. Thailand ist in hohem Maße auf kambodschanische Arbeitskräfte angewiesen und exportiert erhebliche Mengen nach Kambodscha. Neben Kraftstoffen, Maschinen und Getränken sind viele thailändische Exporte wichtige Güter des täglichen Bedarfs." Thailand ist der viertgrößte Handelspartner von Kambodscha. 2024 erreichte der bilaterale Handel zwischen beiden Ländern einen Wert von über vier Milliarden US-Dollar.
Langjähriger Grenzkonflikt
Ungelöste territoriale Ansprüche dominieren seit mehr als hundert Jahren die politische Agenda beider Länder. In den Jahren 2008 und 2011 kam es zum Schusswechsel mit vielen Toten auf beiden Seiten rund um den Hindutempel Preah Vihear, der 2008 auf Antrag von Kambodscha als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt wurde. Thailand hatte den Antrag unterstützt. Im Jahr 2013 entschied der Internationale Gerichtshof (IGH), dass das gesamte Gebiet um die Pilgerstätte der Hindus zu Kambodscha gehört.
Kambodscha möchte nun, dass der Internationale Gerichtshof erneut interveniert und den Territorialstreit um die Stadt Chong Bok sowie andere Grenzverläufe mit Thailand beendet. Hierfür sendete die Regierung in Phnom Penh letzte Woche einen Brief an den IGH. Thailand möchte jedoch die Angelegenheit im Rahmen bilateraler Gespräche bereinigen.
"Kambodscha möchte den aktuellen Konflikt vor den IGH bringen, weil es dort in der Vergangenheit Erfolg hatte", sagt Zachary Abuza, Südostasien-Experte der unabhängigen Denkfabrik Lowy Institute in Sydney, im DW-Interview. "Thailand möchte seine wirtschaftliche Stärke einsetzen und glaubt, einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil zu haben."
Politische Krise in Thailand
Der Grenzkonflikt führte zu einem unangenehmen politischen Skandal für die junge Premierministerin Paetongtarn Shinawatra. In Thailand tauchte ein Mitschnitt von einem Telefongespräch zwischen Shinawatra und dem kambodschanischen Senatspräsident Hun Sen auf. Bis zu seinem Ausscheiden in 2023 war er 38 Jahre lang Premierminister von Kambodscha. Im Telefonat nannte die 38-jährige Shinawatra Hun Sen "Onkel" und kritisierte ihre eigenen Militärkommandanten im Zusammenhang mit dem Grenzkonflikt.
Als Ausdruck der Unzufriedenheit wegen Shinawatras Äußerungen trat nun der zweitgrößte Koalitionspartner aus der Regierung um Shinawatras Pheu-Thai-Partei aus. Dieser Schritt löste eine Regierungskrise aus. Die Zukunft der umstrittenen Premierministerin steht nun in Frage. Zwar hat sie noch die knappe Mehrheit im Parlament. Aber zwei weitere Koalitionspartner überlegen derzeit, auch aus ihrer Regierung auszusteigen.
"Der Grenzstreit zwischen Thailand und Kambodscha hat sich zu einer ausgewachsenen politischen Krise in Thailand entwickelt", sagt Thitinan Pongsudhirak, Professor für Politikwissenschaft an der Chulalongkorn-Universität in Thailand, im DW-Interview. "Paetongtarn Shinawatra ist politisch isoliert. Sie gilt als Premierministerin aufgrund des drohenden Bruchs der Koalition als unhaltbar. Spannungen und Konfrontationen in den thailändisch-kambodschanischen Beziehungen sind deswegen vorprogrammiert."
Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan