Thailand und Kambodscha: Nationalismus hoch im Kurs
11. Dezember 2025
Thailand und Kambodscha beschuldigen sich gegenseitig, am Wochenende ihren Grenzkonflikt wieder angefacht zu haben. Dabei kamen mindestens 20 Menschen ums Leben. Hunderttausende Menschen mussten erneut ihrer Häuser verlassen.
Der jahrzehntelange Konflikt war im Juli eskaliert. Thailand und Kambodscha verstrickten sich in Feuergefechte. Später kam unter Vermittlung von US-Präsident Donald Trump ein Friedensabkommen zustande, aber ohne lang anhaltenden Erfolg. Nun kam es wieder zu bewaffneten Angriffen. Thailand und Kambodscha wollten damit im jeweiligen Inland politische Vorteile erzielen und die Aussichten auf Frieden in weite Ferne rücken lassen, meint Thitinan Pongsudhirak, Professor und Senior Fellow am Institut für Sicherheit und Internationale Studien der Chulalongkorn-Universität in Thailand. "Die innenpolitischen Faktoren dieses Grenzkonflikts sind von entscheidender Bedeutung. Sie geben den Ton an und bestimmen die Richtung."
Kambodschas Ablenkungsmanöver
In Kambodscha dominiert die Herrscherfamilie Hun seit vier Jahrzehnten das Land. Sie unterdrückt jede echte politische Opposition. Die meisten unabhängigen Medien sind verschwunden. Im Jahr 2023 trat Hun Manet nach einer Wahl, die weithin als manipuliert angesehen wurde, die Nachfolge seines Vaters Hun Sen als Premierminister an.
Diese "dynastische Diktatur" verfüge kaum noch über politische Legitimität, sagt Politologe Thitinan. Der Kampf um umstrittenes Gebiet habe Hun zu einem für ihn nützlichen Instrument gemacht, mit dem er Unterstützung im Inland gewinnen wolle. Außerdem helfe es, von den negativen Schlagzeilen über Kambodscha abzulenken. Das südostasiatische Land gilt weltweit als eine Hochburg für Telefonbetrug und ein Zentrum für die damit verbundene Geldwäsche und Menschenhandel. Einige der engsten Vertrauten der Familie Hun stehen dabei direkt in der Kritik.
"Kambodscha hat ein Interesse daran, die Aufmerksamkeit von all dem abzulenken. Was gibt es Besseres als einen Grenzkonflikt mit Thailand, um den Nationalismus in Kambodscha zu schüren und Kambodscha als Opfer darzustellen, das von seinem großen Nachbarn Thailand schikaniert wird?", sagt Thitinan.
Thailands Militär gewinnt an Popularität
Auf der anderen Seite der Grenze hat der durch die Grenzkonflikte geschürte Nationalismus dem thailändischen Militär geholfen, seine schwindende Popularität wieder aufzubauen. Konservative Eliten "trommeln" lautstark gegen eine Unterstützung für die rivalisierende Shinawatra-Familie, sagt Paul Chambers, Gastwissenschaftler am ISEAS-Yusof Ishak Institute mit Sitz in Singapur.
Die Shinawatra-Familie regiert Thailand mit einer Reihe populistischer Parteien seit Anfang der 2000er-Jahre - nur mit kleineren Unterbrechungen. Der Clan wurde dabei weithin als Bedrohung für den Einfluss der Konservativen im Land angesehen.
Im August enthob ein thailändisches Gericht Premierministerin Paetongtarn Shinawatra, Tochter des Familienoberhaupts und ehemaligen Premierministers Thaksin, ihres Amtes. In einem durchgesickerten Telefongespräch im Juni mit dem damaligen Premier von Kambodscha, Hun Sen, das zur Entspannung der Lage an der Grenze dienen sollte, habe sie gegen "ethische Standards ihres Amts" verstoßen. Dem erzwungenen Rücktritt folgte der Zusammenbruch der gesamten Regierung von Paetongtarn.
Seitdem sieht sich aber auch Thailands neuer Premierminister Anutin Charnvirakul mit wachsenden Herausforderungen im Lande konfrontiert. Anfang 2026 wird in Thailand neu gewählt. Am Freitag (12.12.25) hat Anutin Charnvirakul das Unterhaus aufgelöst und damit Neuwahlen in die Wege geleitet. Der Grenzkonflikt lenke die Wähler in Thailand von den Problemen ihrer eigenen Regierung ab, sagt Sophal Ear, Professor für Weltpolitik und asiatische Angelegenheiten an der Arizona State University. "Die erneuten Kämpfe ermöglichen es der Regierung, die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine externe Bedrohung zu lenken und das Militär als Hüter der nationalen Integrität darzustellen. Diese Haltung kann dazu beitragen, die Unterstützung vor der Wahl zu festigen", sagt der kambodschanisch-amerikanische Politikwissenschaftler.
Politische Verantwortung der Betrugsindustrie in Südostasien
Die Betrugsindustrie aus dem Nachbarland hat auch Auswirkungen auf die Regierung von Thailands Premier Anutin, sagen die Experten Chambers und Thitinan. Der thailändische Finanzminister Vorapak Tanyawong musste im Oktober zurücktreten, nachdem ihm Verbindungen zu einem kambodschanischen Betrugsnetzwerk vorgeworfen worden waren. Er bestritt jedoch die Vorwürfe.
Anfang dieses Monats wurden dann Fotos veröffentlicht, die Premier Anutin und ehemalige und amtierende hochrangige Beamte zeigen, wie sie 2014 in Singapur mit Benjamin Mauerberger, einem südafrikanischen Finanzier posierten und aßen. Dieser steht im Verdacht, riesige Summen für kambodschanische Betrugssyndikate gewaschen zu haben. Anutin bestreitet jegliches Fehlverhalten oder eine enge Verbindung zu Mauerberger.
Chambers und Thitinan sagen, dass der Skandal der Regierung in Bangkok geschadet habe und dass die Grenzkonflikte nun eine willkommene Ablenkung sein könnten. Vor dem Hintergrund jüngsten Naturkatastrophe und der vermuteten Verbindungen zu Betrügersyndikaten habe die Regierung "ein großes Interesse daran, die Aufmerksamkeit von all diesen Problemen abzulenken", so Thitinan, "um dann bei den Wahlen von der nationalistischen Grundstimmung zu profitieren."
Politik erschwert Beendigung der Kämpfe
Der anwachsende Nationalismus auf beiden Seiten der Grenze würde es schwieriger machen, die jüngste Runde der Kämpfe bald zu beenden, sagt Chambers, "was einer dauerhaften Friedenslösung nicht gerade förderlich ist." Er sieht derzeit keinen externen Vermittler, der wie beim letzten Mal eine schnelle Waffenruhe aushandeln könnte. US-Präsident Trump hatte im Oktober gedroht, die Handelsgespräche mit beiden Ländern auszusetzen, sollten sie das Feuer nicht einstellen. Nun sind die US-Handelsgespräche mit Kambodscha abgeschlossen, die mit Thailand stehen kurz vor davor.
China unterhält enge Beziehungen zu beiden Ländern, insbesondere zu Kambodscha. Thitinan glaubt, dass Peking sich aber davor hüten werde, selbst zu versuchen, eine Einigung zu vermitteln, da dies das Risiko eines Scheiterns und eines Anscheins von Schwäche mit sich bringe. Die Vereinigung südostasiatischer Staaten (ASEAN), der sowohl Thailand als auch Kambodscha angehören, hat trotz der Bemühungen Malaysias, das derzeit den Vorsitz des 11-Staaten-Blocks innehat, kaum Fortschritte erzielt.
Thailand erklärt offen, dass es vorerst nicht mit Kambodscha verhandeln oder Angebote von außen zur Vermittlung annehmen werde. Kambodscha hat sich dagegen "jederzeit zu Gesprächen bereit" erklärt.
Sophal sagt, ein dauerhafter Vertrag werde höchstwahrscheinlich aus direkten Gesprächen zwischen den Militärs zustande kommen. "Eine dauerhafte Lösung wird nicht von einer externen Macht kommen", sagt er. "Beide Seiten müssen sich auf Überprüfungs-, Abgrenzungs- und Kommunikationsmechanismen einigen. Bis dahin kann jeder Vermittler nur eine Waffen-Pause, aber keinen Frieden erreichen."
Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan