Thailand: Regierungskrise nach Suspendierung des Premiers
1. Juli 2025
Thailands Premierministerin Paethongtarn Shinawatra wurde am Dienstag (1.7.25.) suspendiert. Das Verfassungsgericht prüft nun eine Petition zu ihrer Amtsenthebung. Die Suspendierung erfolgte nach Protesten in Bangkok am Wochenende, bei denen Paethongtarns Rücktritt gefordert wurde. Auslöser war ein durchgesickertes Telefongespräch zwischen der Premierministerin und dem ehemaligen kambodschanischen Premierminister Hun Sen über einen eskalierenden Grenzkonflikt. Beide Länder erheben Anspruch auf Teile des sogenannten Smaragd-Dreiecks zwischen Laos, Kambodscha und Thailand. Es kam zu Grenzschließungen, gegenseitigen Strafmaßnahmen wie Importverboten und bewaffneten Zusammenstößen des Militärs. Ein kambodschanischer Soldat starb.
"Erster Sieg" für Kritiker Paethongtarns
Paethongtarns vermeintliche Unterwürfigkeit gegenüber Hun Sen löste in Thailand öffentliche Empörung aus. Ihr wurde von Kritikern vorgeworfen, die nationalen Interessen des Landes verraten zu haben. Für ihre Gegner ist Paethongtarns Suspendierung "ein erster Sieg", so Puangthong Pawakapan, Professorin für Politikwissenschaft an der Chulalongkorn-Universität in Thailand.
"Paethongtarn hat die Legitimität ihrer Partei Pheu Thai, das Land zu regieren, zerstört, besonders in ihrem Gespräch mit Hun Sen. Man kann nicht behaupten, dass es keinen Interessenkonflikt gibt", sagte sie gegenüber DW. Der Interessenkonflikt besteht in der langjährigen privaten Freundschaft der Familie Shinawatra zu der Hun Sens einerseits und den nationalen Interessen Thailands andererseits.
"Sie werden für einen neuen Premierminister stimmen. Und Pheu Thai könnte sich wahrscheinlich noch ein wenig halten, aber nicht lange, höchstens drei Monate", prognostizierte sie.
Weitreichende Macht des Verfassungsgerichts
Paethongtarn hat nach der Suspendierung nun fünfzehn Tage Zeit, dem Verfassungsgericht ihre Gegendarstellung einzureichen. In der Zwischenzeit übernimmt Vizepremierminister Suriya Jungrungruangkit kommissarisch die Regierungsgeschäfte. Nach einer Kabinettsumbildung bleibt Paethongtarn weiterhin als Kulturministerin im Kabinett.
"Sehr wahrscheinlich wird sie abgesetzt, so wie die Dinge bisher gelaufen sind", sagte Punchada Sirivunnabood, Professorin für Politikwissenschaft an der Mahidol-Universität in Thailand, gegenüber DW.
Sollte Paethongtarn tatsächlich abgesetzt werden, wäre sie die zweite Premierministerin der Pheu Thai, die seit August letzten Jahres entlassen wurde. Ihr Vorgänger, Srettha Thavisin, wurde vom Verfassungsgericht nach weniger als einem Jahr im Amt wegen ethischer Verstöße abgesetzt.
Dasselbe Gericht löste auch die progressive Partei Move Forward auf, die bei den Wahlen 2023 die meisten Sitze errungen hatte. Ihre Parteiführung wurde für zehn Jahre von der Politik ausgeschlossen. Das oberste Gericht gab damals der Petition der Wahlkommission statt, wonach Move Forward versucht haben soll, die Monarchie zu stürzen, indem sie eine Reform des Majestätsbeleidigungsgesetzes forderte, das die thailändische Königsfamilie vor Kritik schützt.
Thaksin steht vor eigenen rechtlichen Herausforderungen
Die Suspendierung Paethongtarns durch das Verfassungsgericht fiel auf denselben Tag wie der Beginn des Prozesses gegen ihren Vater Thaksin Shinawatra, der von 2001 bis 2006 Thailands Premierminister war. Thaksin wird vorgeworfen, die Monarchie beleidigt zu haben, aufgrund eines Interviews, das er 2015 der südkoreanischen Zeitung Chosun Ilbo gab.
Der ehemalige Premierminister, der durch einen Putsch gestürzt wurde, galt als treibende Kraft hinter Paethongtarns Regierung. Er kehrte 2023 nach 15 Jahren im Exil nach Thailand zurück. Thaksins Rückkehr war Teil einer großen Versöhnung zwischen Pheu Thai und dem konservativen Establishment - ihrem langjährigen Gegner.
Thaksin, der ehemalige Businessmann und erste gewählte thailändische Regierungschef, der eine vierjährige Amtszeit beendete, kam 2001 mit dem Versprechen an die Macht, das Land wie ein Unternehmen zu führen. Seither gibt es in Thailand einen stetigen Machtkampf zwischen der Familie Shinwatra und konservativen Kräften, die dem König und dem Militär nahestehen.
Ist dies das politische Ende der Familie Shinawatra?
Von Thaksin unterstützte Parteien, die in den letzten zwei Jahrzehnten die thailändische Politik dominierten, wurden wiederholt durch Gerichtsurteile und Straßenproteste entmachtet. 2014 war seine Schwester Yingluck, die seit 2011 Premierministerin war, vom Verfassungsgericht wegen Machtmissbrauchs abgesetzt worden - nur wenige Tage bevor ihre zivile Regierung durch einen Putsch gestürzt wurde. Yingluck sah sich ebenfalls mit Protesten konfrontiert, die ihren Rücktritt forderten.
Auch Paethongtarn sieht sich nun Protesten ausgesetzt. Viele der Demonstrierenden am Wochenende waren langjährige Unterstützer der konservativen, pro-royalistischen Gelbhemden-Bewegung, die sich bereits gegen Paethongtarns Vater und Tante gestellt hatte. Gelb ist die Farbe des Königs und wird von den pro-royalistischen Demonstranten bevorzugt getragen.
"Die Macht von Thaksin und der Familie Shinawatra hat nachgelassen. Es gibt Höhen und Tiefen. Es wird äußerst schwierig für die Familie Shinawatra, an der Macht zu bleiben," so Politologin Punchada. Doch ein endgültiger Rückzug der Shinawatras aus der Politik wird nicht erwartet. Analysten gehen davon aus, dass Chaikasem Nitisiri, Pheu Thais dritter und letzter Premierministerkandidat bei der Wahl 2023, als nächster Regierungschef nominiert wird.
Puangthong glaubt, dass die Ernennung von Chaikasem, der bis zu seiner Entlassung im Putsch 2014 Justizminister im Kabinett Yingluck war, die regierungskritischen Proteste nicht beenden werde.
Der ideale Kandidat des Establishments, so Puangthong, wäre jemand, der "gegenüber der Monarchie so loyal wäre wie Prayut". Prayut Chan Ocha ist der Armeechef, der den Putsch gegen Yinglucks Regierung anführte.
Wie geht es weiter in Thailand?
Puangthong betonte, dass Thailand sich nicht weiterentwickeln kann "ohne Politiker, die sich gegen die Bürokratie, die Kapitalisten und die Monopole auflehnen. Aber Pheu Thai hat weder den Mut noch die Kraft das zu tun.“
Sie fügte hinzu, dass die wichtigste Oppositionspartei, die People's Party, gegründet nach der Auflösung ihrer Vorgänger Move Forward und Future Forward, die einzige Partei mit diesem Mut sei, dass sie aber nichts ausrichten könne. Denn trotz des Wahlsiegs 2023 wurde der Move Forward Chef Pita Limjaroenrat durch den vom ehemaligen Militärregime ernannten Senat daran gehindert, Premierminister zu werden.
"Im Grund ist es seit 20 Jahren immer dasselbe. Thailand steckt in einem Kreislauf: Putsch, gewählte Regierung, Straßenproteste", sagte Punchada. "Ich hoffe aber, dass die Demonstrationen diese Mal zumindest nicht das Militär zurück in die Politik bringen."
Aus dem Englischen adaptiert von Rodion Ebbighausen