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"The Poetess": Film über mutige Dichterin

Philipp Jedicke
29. Mai 2018

Hissa Hilal wurde weltbekannt, als sie in einer TV-Show in Saudi-Arabien ein Gedicht gegen religiöse Fanatiker vortrug. Andreas Wolff und Stefanie Brockhaus haben sie für ihren Film mit der Kamera begleitet.

Hissa Hilal in der TV-Show "Million's Poet"
Hissa Hilal in der TV-Show "Million's Poet"Bild: picture-alliance/dpa/A. Haider

Mit "The Poetess" haben Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff einen Film über eine mutige Frau aus Saudi-Arabien gedreht. Hissa Hilal trat mit ihren Gedichten bei der TV-Show "Million's Poet" auf, die aus den Vereinigten Arabischen Emiraten für ein Millionenpublikum in der ganzen arabischen Welt ausgestrahlt wird.

Hilal, Mutter von vier Kindern und damals noch offiziell Hausfrau, trug dabei unter anderem ein Gedicht gegen religiösen Extremismus und die Kultur der Fatwas vor, das weltweit für ein gewaltiges Medienecho sorgte. Neben viel Unterstützung erhielt Hilal in der Folge auch Morddrohungen von religiösen Eiferern.

Der Kinostart des Films fällt in eine brisante Phase: Gerade erst sind in Saudi-Arabien mehrere Frauenrechtlerinnen und Menschenrechts-Aktivisten verhaftet worden, die sich unter anderem gegen das Fahrverbot für Frauen eingesetzt hatten, das kommenden Monat offiziell aufgehoben wird.

Im DW-Gespräch erzählt Andreas Wolff von den schwierigen Dreharbeiten in dem erzkonservativen Land.

DW: Herr Wolff, wie sind Sie und Stefanie Brockhaus auf Hissa Hilal gestoßen?

Andreas Wolff: Wir waren 2010 mit einem anderen Film auf Filmfestivals in den USA unterwegs. Dort fand eine intensive Berichterstattung über Hissa statt, unter anderem in der "New York Times" und der "Washington Post". Wir sahen ein Foto von ihr auf der Bühne der TV-Show mit der Überschrift "Saudische Hausfrau kritisiert wichtigsten saudischen Kleriker". Das war vom Bild her so stark, diese verschleierte Frau, von der man nur die Augen sieht. Es war uns klar: Das wird ein guter Dokumentarfilm, falls sie zustimmt, ihn mit uns zu machen.

Wir fanden relativ schnell ihre Nummer heraus. Sie sagte, wir könnten sie gerne in Abu Dhabi treffen und mit ihr sprechen, sie sei noch drei Wochen vor Ort. Wir sind direkt hingeflogen. Da war dann so viel los, mit diesem Wettbewerb und der Medienwelle, die sie ausgelöst hat, dass wir einfach nur hinter ihr hergerannt sind mit der Kamera.

Die Regisseure von "The Poetess" mit ihrer Protagonistin: Andreas Wolff, Stefanie Brockhaus und Hissa Hilal (von links)Bild: Brockhaus/Wolff Films/T. Tempel

Sie waren also von Anfang an nah an ihr dran?

Nicht von Anfang an, aber damals wurde ihr klar, dass wir nicht einfach nur ein Interview mit ihr machen und dann weiterziehen, sondern dass wir tiefer an ihr interessiert sind. Das machte sie neugierig. Sie wusste nicht, was das genau bedeutet, aber es war ein Kontakt da. Am Ende der Show aßen wir zusammen bei ihr im Hotel, und sie hat mir ihr Gesicht gezeigt. Ich freute mich unheimlich darüber, weil es ein Zeichen des Vertrauens war, ihr Gesicht zu sehen. Das war irre.

So hat alles angefangen. Dann wollten wir sie in Saudi-Arabien besuchen, das hat aber sehr lang gedauert: allein ein Jahr, um das Visum zu bekommen. Weil das Land so verschlossen ist. Dann wurde der Film unheimlich verzögert, durch die schwierigen Bedingungen. Im Endeffekt lag der Film vier Jahre auf Eis, weil wir nicht ins Land hinein kamen. Es hat auch ewig gedauert, eine Drehgenehmigung zu bekommen.


Wie schwierig war dann der Dreh vor Ort? Was mussten Sie beachten?

Das Gesetz sagt, dass du als Frau die Abaya [Überkleid, Anm. d. Red.] und den Nikab [Gesichtsschleier] tragen musst, das musste Stefanie [Co-Regisseurin Stefanie Brockhaus] wie alle anderen Frauen auch. Unser Produktionsleiter Amr Alkahtani [u.a. Co-Produzent der deutsch-saudischen Co-Produktion "Das Mädchen Wadjda"], der den Dreh überhaupt ermöglicht hat, war einfach immer dabei. Er konnte die Lage einschätzen.

Am Anfang war der Dreh mit Hissa sehr schwierig, weil sie aus einer sehr streng traditionellen Beduinen-Familie kommt. Aber es gibt in Saudi-Arabien außer ihr sehr viele andere aktive Frauen, die in den USA studiert haben und die sich einsetzen. Da haben wir zwischendurch schon überlegt, ob wir es uns mit ihr nicht zu schwer machen, da andere Frauen auch vor der Kamera aufgetreten sind und ihr Gesicht zeigen. Es passieren sehr viele spannende Geschichten in dem Land.

Normalerweise kommt man den Protagonisten eines solchen Porträts sehr nah. Ihre Protagonistin ist aber bis auf die Augen verschleiert. Wie haben Sie das Problem filmisch gelöst?

Schritt für Schritt und mit viel Ausprobieren. Wir haben uns irgendwann dazu entschlossen, ein langes Interview mit Hissa zu drehen, in dem sie ihre ganze Geschichte erzählt. Und wir wollten es so drehen, dass wir möglichst gut ihre Augen sehen, dass sie direkt in die Kamera schaut. Das hat dann ziemlich gut funktioniert.

Um Hissa Hilals Augen möglichst nah drehen zu können, haben sich Andreas Wolff und Stefanie Brockhaus einen speziellen Kamera-Aufbau ausgedachtBild: Brockhaus/Wolff Films/T. Tempel

Haben Sie vor Ort etwas von der aktuellen Aufbruchstimmung rund um den reformfreudigen Prinzen Mohammed bin Salman mitbekommen?

Diese Entwicklung gibt es schon seit vielen Jahren. Immer wieder gibt es kleine Öffnungen. Vor einigen Jahren wurde die König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie, eine große moderne Universität, geplant. Männer und Frauen werden dort in gemischten Kursen unterrichtet. Dafür musste König Abdullah den Religiösen unglaublich viele Zugeständnisse machen. Uns wurde erzählt, dass aufgrund dieser Uni unter anderem die Auflösung des Fahrverbots verzögert wurde.

Es ist immer ein ewiges Hin und Her, ein Handel mit den Religiösen. Diese sind für die ganze Bildung zuständig und prägen die Meinung der Kinder ab der Grundschule, sie betreiben extreme Gehirnwäsche. Dieser Teil der Gesellschaft wird zum Beispiel momentan überhaupt nicht modernisiert, das entgeht unseren Medien völlig. Zwar wird gerade das Fahrverbot aufgehoben, aber gleichzeitig trauen sich die meisten Frauen wahrscheinlich gar nicht zu fahren, weil sie nicht wissen, was für Konsequenzen dann auf sie zukommen werden.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin SalmanBild: Getty Images/AFP/L. Marin

Hat Hissa Hilal nach ihrem Auftritt nicht permanent Angst gehabt?

Sie hat die Extremisten und konkret den Prediger Abdurrahman al-Barrak ja nicht einfach nur so attackiert und kritisiert, sondern ihm ganz fundiert mit ihrem Gedicht gekontert. Er hatte 2010 eine Fatwa ausgesprochen, in der er behauptete, die Vermischung der Geschlechter sei unislamisch und wenn sich Männer und Frauen mischen, verstoßen sie gegen islamisches Gesetz. Wer dagegen verstoße, den dürfe man töten. Sie hat gesagt, diese radikale Trennung von Geschlechtern, die er betreibt, sei unislamisch und entspräche nicht dem Koran. Sie hat seinen Namen nicht genannt, aber jeder wusste, dass er gemeint war.

Hissa sagte, wer so etwas sage, der schüre Hass und sei verantwortlich dafür, dass Muslime weltweit gefürchtet werden. Das hat sie so klar und so überzeugt gebracht und dann auch gelebt in den Interviews, dass sie den Großteil der Bevölkerung hinter sich hatte. Für die Religiösen war es sehr schwierig, sie anzugreifen, weil sie wussten, dass so viele Leute hinter ihr stehen. Sie wusste ganz genau, sie würde den Nerv der Zeit treffen und sie war überzeugt davon, dass sie recht hat. Das hat ihr den Mut gegeben.

Wie hat Hissa Hilal auf den Film reagiert?

Sie war in Locarno bei der Premiere, und das fand sie super. Sie war das erste Mal in Europa. Und vor dem vollen Kinosaal vor die Menschen zu treten und Fragen zu beantworten, das hat sie sehr genossen. Sie mochte auch den Film, sie hatte ihn schon vorher gesehen. Er hat ihr sehr gut gefallen.

Was hat Sie besonders beeindruckt an den Menschen vor Ort?

Es hat mir sehr gefallen, wie gastfreundlich und hilfsbereit, ja wie menschlich die Saudis sind. Wie man innerhalb so einer starren Hülle, die von außen über die Gesellschaft gestülpt ist, doch ins Gespräch kommt. Es gibt viele Begegnungen, auch wenn das Ganze so streng daher kommt. Man muss sich nur trauen, den Menschen in die Augen zu sehen.

Warum wollten Sie trotz aller Schwierigkeiten diesen Film machen?

Wir wollten die verschleierte Frau mit unserem Film den Leuten im Westen nahebringen. Auch wenn jemand einen Schleier trägt, kann er ein sehr sympathischer Mensch sein. Verschleierte Frauen werden immer wieder mit Extremismus in Verbindung gebracht. Die Saudis sind oft gar nicht einverstanden mit den Religiösen. Die große Mehrheit der Menschen dort würde sich wünschen, mehr Austausch mit dem Westen zu haben.

Das Gespräch führte Philipp Jedicke.

"The Poetess" von Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff feierte seine Weltpremiere 2017 beim Filmfestival in Locarno und kommt am 31. Mai in die deutschen Kinos.

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