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Film

Aus der Gosse auf die Leinwand

Gwendolin Hilse
28. September 2016

Von Wiedergeburt, dem Besiegen der eigenen Ängste - davon erzählt das Filmdebut "The Rising of the Son" des Sängers Patrice. Gedreht wurde der Film in Sierra Leone, alle Darsteller sind Straßenkinder.

Sierra Leone Jugendliche der 'Lion Base Crew' in Freetown
Bild: M. Bart-Williams

Ein junger Mann rennt von Angst getrieben durch die Straßen Freetowns. Immer wieder dreht er sich um. "Lauf, Tunde, lauf", tönt es aus einem Radio. Mit geladenen Waffen sind die Gangster ihm dicht auf den Fersen. Ihre jungen Körper sind mit Narben übersäht, ihre Mienen versteinert - diese Jungs kennen keine Gnade. Auf einem Berg zündet Tunde eine Kerze auf seinem eigenen Grab an. "Dieselbe Erde, aus der ich gemacht bin, hat nun einen Appetit auf mich entwickelt", sagt er. Sein Herz schlägt schneller, er hält kurz inne und setzt seine Flucht fort: "Die Kraft, die mich antreibt wächst. Sobald ich langsamer werde, wird sie schneller und ergötzt sich an meiner Schwäche." Die Gang holt Tunde ein und erschießt ihn. Doch damit ist seine Geschichte nicht zu Ende.

"In dem Film geht es um die Wiedergeburt durch das Besiegen von Angst", fasst der bislang als Musiker bekannte Patrice Bart-Williams die Handlung seines Filmdebuts "The Rising of the Son" zusammen, das auf dem diesjährigen Afrika Film Festival in Köln Premiere feierte.

Das Thema Wiedergeburt hat für Patrice eine große Bedeutung: Als Sohn einer deutsche Mutter und eines sierra-leonischen Vaters wurde er am selben Tag geboren, an dem sein Großvater starb. Er bekam den Beinamen Babatunde, das bedeutet "die Rückkehr des Vaters" in der westafrikanischen Sprache Yoruba.

Eine folgenreiche Zufallsbegegnung

Die Protagonisten des 12-minütigen Kurzfilms sind allesamt Straßenkinder - Verstoßene, die sich zu einer kleinkriminellen Bande zusammengeschlossen hatten. "Die Jungs sind einfach unglaublich gewesen", sagt Patrice über die Zusammenarbeit. "Alles an ihnen ist so authentisch: ihre Gesichter, ihre Körper. Sie sind so nah am Leben."

Patrice (l.) und Mallence Bart-Williams (m.) bei der Filmpremiere in KölnBild: DW/G. Hilse

Die Zusammenarbeit kam durch Patrice' Schwester Mallence zustande. Bei einem Besuch in Freetown wurde sie auf eine Gruppe Jugendlicher aufmerksam, die unter einer Brücke in einem Abwasserkanal lebten. Trotz Warnungen von Anwohnern nahm sie Kontakt auf zu der gefürchteten "Lion Base Crew" auf und freundete sich mit ihnen an. Angst habe sie nie gehabt. "Die Jungs waren immer sehr freundlich zu mir. Ich denke, sie haben meine Aufrichtigkeit und meinen Respekt gespürt." Schnell hatten die jungen Männer Vertrauen in Mallence gefasst und erzählten ihr ihre Geschichten: Vom Bürgerkrieg und der Zeit als Kindersoldat, vom Tod der Eltern, Misshandlungen durch Familienangehörige und Polizisten und dem Überleben auf der Straße.

Im November 2011 arbeiteten die Jugendlichen gemeinsam mit Patrice und Mallence an dem Film - sowohl vor, als auch hinter der Kamera. Für den Kameraassistenten Momo hat sich daraus eine Karriere entwickelt: Als Kameramann interviewt er heute Politiker wie den sierra-leonischen Präsidenten Koroma und arbeitet an seinem ersten eigenen Film.

Mode aus der Gosse in die Kaufhäuser dieser Welt

Der Filmdreh war nur ein Teil eines Projektes, die Jugendliche von der Straße zu holen und ihnen eine Perspektive zu bieten. "Ich glaube nicht an das Konzept von Wohltätigkeit", so die Wirtschaftswissenschaftlerin Mallence Bart-Williams. "Wenn es funktionieren würde, dann hätte Afrika heute einen ganz anderen Stand."

Die Kollektion aus Sierra Leone wurde weltweit in Luxuskaufhäusern verkauftBild: M. Bart-Williams

Mallence überlegte, wie sie ohne Startkapital, fließend Wasser und Strom ein begehrtes Produkt herstellen könnten. Die Wahl fiel auf traditionelle afrikanische Batikmuster. Die Jugendlichen produzierten für einen Münchener Sneakers-Produzenten eine eigene Kollektion - eine mit Knöpfen verzierte Jeanskollektion folgte. Die Mode wurde weltweit in Kaufhäusern neben Prada und Chanel verkauft.

Mittlerweile stehen fast alle der 21 jungen Männer auf eigenen Füßen, haben ein eigenes kleines Geschäft, studieren Jura, Wirtschafts- oder Ingenieurswissenschaften. "Das Projekt war niemals für die Ewigkeit ausgelegt", sagt Mallence. "Es sollte ihnen viel mehr als Starthilfe dienen, um von der Straße zu kommen, sich zu bilden und sich in die Gesellschaft zu integrieren."

Wie der Vater, so der Sohn

Ein neues Leben für junge Männer, die die Gesellschaft längst abgeschrieben hatte - ganz im Geiste des Filmes. "Das Thema Wiedergeburt und die Fortsetzung des Lebens beschäftigt mich schon lange und ist so etwas wie der Titel meines Lebens", sagt Patrice. Der Filmname "The Rising of the Son" nehme auch Bezug auf ihn selbst und seinen Vater.

Batik-Stoffe bei Kerzenlicht herstellen - das war nur der Anfang. Inzwischen haben viele der ehemaligen Straßenkinder eigene Geschäfte oder studierenBild: M. Bart-Williams

Gaston Bart-Williams floh als Oppositioneller in den 1970er Jahren nach Köln. In seiner Arbeit als Journalist, Regisseur und Schriftsteller kritisierte er die eurozentrische Sichtweise auf Afrika. 1990 kam er bei Dreharbeiten in Sierra Leone bei einem Bootsunglück ums Leben. "Mein Vater war ein großartiger Filmemacher und deshalb stand ich unter enormen Druck", verrät Patrice im DW-Interview. "Ich dachte, der Film müsse absolut perfekt sein, bevor ich ihn vor Publikum zeige." Freunde aus der Filmbranche hätten ihn zur Veröffentlichung ermutigt. "Es ist komisch, ich bin viel kritischer mit dieser Seite von mir, als mit meiner Musik", lacht Patrice. Ende September wird der Film zusammen mit seinem achten Studioalbum "Life's Blood" veröffentlicht.

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