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Musik

Thielemann: "Schwerer Holländer"

Hans Christoph von Bock6. August 2012

Er wird weltweit als Wagner-Dirigent gesucht und gefeiert: Christian Thielemann, für den es nichts Größeres gibt als bei den Bayreuther Festspielen zu dirigieren. Ein Gespräch mit dem Maestro im Sommer 2012.

Der Dirigent Christian Thielemann. EPA/BARBARA GINDL
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Sie haben ja schon viel Wagner dirigiert, jetzt den "Fliegenden Holländer" in Bayreuth. Was interessiert Sie an dem Werk?

Christian Thielemann: Ich kann Ihnen sagen, der "Holländer" ist das schwerste Stück, was ich hier bisher gemacht habe, weil es eigentlich nicht für diesen Orchestergraben geschrieben ist. Ich habe immer gedacht, die "Meistersinger" wären das schwerste hier. Nun finde ich den "Holländer" noch schwerer, einfach weil es sehr massiv instrumentiert ist und man dementsprechend unglaublich steuern muss. Den ganzen Abend ist man nur am Drehen und Schrauben, und man soll ja auch noch spontan musizieren. Aber wenn Sie zu spontan musizieren, dann wird es eine Soße.

Wie sah die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Regisseur Phillipp Gloger konkret aus? Sie haben ja viel mehr Erfahrung.

Sehr angenehm. Ich habe mich sehr wohlgefühlt. Dieses Haus ist ein akustisch sehr schwieriges Haus, und wenn ein Regisseur darauf keine Rücksicht nimmt, dann kann es zu akustischen Unfällen kommen. Wir haben uns so geeinigt, dass Philipp Gloger gefragt hat, "Wo soll ich die Sänger nicht hinstellen, damit es nicht schlecht klingt?" Das ist schon mal eine gute Grundlage, denn irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, das Haus lebt. Wenn man es nicht gut behandelt, dann rächt es sich.

Das Festspielhaus in Bayreuth nimmt der Maestro als ein quasi lebendes Wesen wahrBild: DW/K. Bowen

Wie haben Sie denn diese Erfahrungen zusammen mit Gloger umgesetzt?

Der Chor kommt zum Beispiel nie sehr weit nach vorne, weil sich die Stimmen hinten besser mischen. Chorszenen und Massenszenen: Sie können ruhig zur Seite singen, das geht alles sehr gut auf dieser Bühne. Das ist eine Erfahrung, die man hier hat. Es ist ganz merkwürdig, aber wenn der "Holländer" von ganz hinten singt, klingt es fast am besten. Das sind Dinge, auf die man auf dieser Bühne musikalisch halt Rücksicht nehmen muss. Unter Umständen muss man dann auch so etwas in den Folgejahren noch bearbeiten.

Wofür steht denn der "Holländer" ideologisch?

Eine Ideologie hat der gar nicht. Er ist ein Mensch, der nicht weiß, wo er hingehört. Das gibt es ja nun öfter auf der Welt. Heimatlosigkeit, Künstlertum - wir Künstler sind alle "Holländer". Nur alle sieben Jahre kommen wir nicht nach Hause, Gottlob, aber es ist ja eine Metapher, da wird auch schon mal übertrieben. Wagner scheint sich ja sehr mit dem Thema befasst zu haben. Er legte zum Beispiel die Meistersinger genau an einen Ort wie Nürnberg. Hier geht es um das genaue Gegenteil, um die Heimatlosigkeit. Der "Holländer" kommt zwar wieder, aber da, wo er hinkommt, fühlt er sich dann auch nicht zuhause, und er hat keine andere Möglichkeit als wieder zu gehen.

Christian Thielemann und Wolfgang Wagner (gestorben 2010) verband eine enge FreundschaftBild: picture-alliance/dpa

Kann man Wagner noch näher kommen, als Sie es ohnehin schon sind? Was können Sie mit Wagner noch erreichen?

Hier hat man nie alles erreicht, und ich entdecke jedes Mal etwas Neues. "Der Fliegende Holländer" - ich mache ihn das erste Mal hier, und man erlebt immer wieder Überraschungen: Also, wie es instrumentiert ist, und wie wir arbeiten müssen. Und wenn Sie bei den Proben miterleben, wie wir da arbeiten müssen, kann ich Ihnen sagen, das ist nicht ganz ohne. Also jedes Stück ist anders, "Tannhäuser", "Parsifal" – also ein Riesenabenteuer, und das Festspielhaus kriegt man wahrscheinlich nie in den Griff, so traurig das ist.

Die Solisten loben Sie und Ihre Arbeit hier sehr. Wie sehen Sie das Ensemble?

Also, wir haben ja die Sänger ausgesucht, und da sucht man sowieso Sänger aus, mit denen man kann - und mit denen kann ich besonders gut. Ich bin froh, dass ich die habe. Sie sind auch alle aufeinander eingeschworen. Es ist eine jener Produktionen, bei der wir immer noch keinen Krach hatten, und der kommt jetzt auch nicht mehr. Es ist kein böses Wort gefallen bei der ganzen Produktion, alle ziehen so an einem Strang, das ist was ganz, ganz Wunderbares.

Nach der Absage von Thomas Hengelbrock haben Sie sich kurzfristig entschieden, den "Tannhäuser" in Bayreuth musikalisch zu übernehmen und arbeiten jetzt mit Sebastian Baumgartner zusammen, der als Regierabauke gilt…

Dazu sage ich nichts, aber ich sagen Ihnen: Wenn Bayreuth einen musikalischen Menschen braucht, um ein Stück zu dirigieren, dann sagt man nicht "Nein". Allein mit der Musik haben wir viel zu tun: Wir haben einen neuen "Tannhäuser", wir haben eine neue "Venus". Das ist ein großes Abenteuer. Ich habe das letzte Mal den "Tannhäuser" hier in der Regie von Philippe Arlaud dirigiert. Die Inszenierung war sehr dekorativ. Was jetzt passiert, ist für mich ein Riesenabenteuer, aber das ist auch mal lustig. Manche Dinge müssen Sie mit einer gewissen Nonchalance nehmen. Wenn Sie sich darüber ärgern, dann kommen Sie nicht weiter. Außerdem springe ich ja ein. Das macht besonders Spaß.

2012 dirigiert Thielemann auch "Tannhäuser" in BayreuthBild: dapd

Gibt es bei Ihnen irgendeinen Punkt, wo Sie sagen: Da mache ich jetzt nicht mehr mit, weil sich jetzt Wagner im Grabe umdrehen würde?

Der hat sich schon so oft im Grabe umgedreht. Ich weiß es nicht: Ich mache es jetzt dieses Jahr, und dann ist es ja gut. Ich habe ja schon bei vielen Dingen "Nein" gesagt.

Wo steht denn Bayreuth Ihrer Einschätzung nach? Es kriselt ja immer mal untergründig.

Es gibt immer kleine Unwägbarkeiten, so ist das Leben. Aber Bayreuth ist das tollste Theater, das es auf der ganzen Welt gibt - für Wagner wohlgemerkt; es spielt ja nichts anderes hier, und das ist auch gut so. Allerdings muss ich noch mal darauf zurückkommen: Der "Holländer" passt einfach nicht hierher, das Frühwerk ist zu dick instrumentiert.

Nur es geistert immer herum, dass man "Die Soldaten" von Zimmermann oder sonst etwas hier spielen sollte. Nein, dass passt hier nicht rein. Was wir hier für Mühe mit dem "Holländer" haben: Nein, ich möchte so ein dick instrumentiertes Stück wie Zimmermanns Soldaten nicht proben, das wäre der Alptraum pur. Andere Komponisten gehören nicht hierher, und Wagner hat genau gewusst, warum er das nicht wollte. Wahrscheinlich hätte er den "Holländer" auch noch mal umgearbeitet, er wollte ja viele Dinge nach seinen Erfahrungen hier noch ändern.

Die Festspiele wollen sich ja öffnen, und es gibt Übertragungen auf öffentlichen Plätzen. Wie finden Sie denn das?

Christian Thielemann begrüßt die multimediale Öffnung der Bayreuther Festspiele

Ganz toll. Das ersetzt natürlich den Besuch im Festspielhaus nicht, das ist klar, aber es macht die Leute noch hungriger. Es lässt sie an einem Teil der Atmosphäre teilhaben. Ich finde das sehr schön. Aber ich meine, die Faszination dieses Ortes ist ja ungebrochen. Es ist doch was Herrliches, eine Tradition, die man mit allen Fasern bewahren muss. Es gibt doch zu wenige Traditionen, die sich wirklich lohnen. Manches ist dann wirklich zu alt, oder es sagt uns nichts. Aber das hier? Wir können gar nicht genug kriegen. Also das ist doch ein deutliches Zeichen, dass Wagner uns wohl offenkundig noch allen etwas sagt.

Der Dirigent Christian Thielemann, 1959 in Berlin geboren, gehört zu den gefragtesten Dirigenten Deutschlands. Der frühere Assistent von Herbert von Karajan war ab 1997 Generalmusikdirektor an der Deutschen Oper Berlin und ab 2004 Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker. Seit 2012 ist er Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der an den bekanntesten Opernhäusern tätige Dirigent ist seit 2000 regelmäßig bei den Richard Wagner-Festspielen in Bayreuth aufgetreten, hat inzwischen über 100 Aufführungen dort dirigiert und ist im vergangenen Jahr zum Musikalischen Berater der Festspiele ernannt worden. In der laufenden Saison übernahm er die musikalische Leitung von zwei Opern in Bayreuth: "Der fliegende Holländer" und "Tannhäuser".

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