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Literatur

Thomas Mann: "Buddenbrooks"

Aygül Cizmecioglu spe
6. Oktober 2018

Was für ein Roman! Auf über 1000 Seiten schaut man dem "Verfall einer Familie" zu. Dem Abstieg einer stolzen Kaufmannsdynastie. Verkannte Söhne, unglückliche Töchter und das Scheitern an Geld und bürgerlichen Idealen. 

Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wer hätte das anfangs erahnt. Ein 26-jähriger junger Mann ohne Abitur aber mit großen Ambitionen schreibt einen kilodicken Wälzer mit düsterem Grundton. "Ich bin nicht gerade entzückt", lautet der erste Kommentar seines Verlegers, der das Buch dann doch, mehr aus Wohlwollen als Überzeugung, veröffentlicht. Am Ende steht eine beispiellose Erfolgsgeschichte. 

Thomas Manns "Buddenbrooks" gilt vielen als DER deutsche Gesellschaftsroman schlechthin. Ein Klassiker, der seinem Autor 1929 den Nobelpreis für Literatur bescherte. Weltruhm, internationaler Bestseller, Pflichtlektüre. Wer Thomas Mann sagt, denkt die "Buddenbrooks" automatisch mit. Warum eigentlich?

Leben als Vorlage?

Mag es an der biografischen Nähe zwischen Werk und Autor liegen? Thomas Mann, der Lübecker Sohn einer Kaufmannsfamilie, der mit seinen künstlerischen Idealen so gar nicht in das bürgerliche Milieu passte, schöpfte aus der eigenen Biografie, als er seinen Debütroman schrieb. Dass er, der feinsinnige Bohemian, unfähig war, das altehrwürdige Familienunternehmen nach dem Tod des Vaters weiterzuführen, wurde naserümpfend registriert und bespöttelt. 

"Buddenbrooks" von Thomas Mann

02:06

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Ein privilegiertes Leben in einer wohlhabenden, aber vom Abstieg bedrohten Familie und das Scheitern an all den Erwartungen – auch der junge Thomas Mann musste seinen Traum, als Künstler zu leben, gegen Widerstände verteidigen. So wie seine Romanfigur Hanno. Doch so sehr sich Thomas Mann auch von der Wirklichkeit inspirieren ließ, so konsequent verfremdete er für sein Werk die biografische Vorlage – und drückte dem Ganzen seinen ganz eigenen literarischen Stempel auf. 

Mehr Schein als Sein

In Lübeck war man zunächst schockiert über die "Buddenbrooks". Inzwischen thront der Autor überlebensgroß in seiner GeburtsstadtBild: picture alliance/AP

Was hilft das allerdings gegen die Kritik all jener, die den feinen Unterschied zwischen Werk und Autor nicht zu sehen vermögen? Obwohl der Name Lübeck kein einziges Mal fällt, fühlte man sich in der Geburtsstadt Thomas Manns nach der Veröffentlichung der bedrückenden Verfallsgeschichte zutiefst beleidigt. Denn das Bild, das der Autor zeichnet, ist kein Postkartenidyll einer Hansemetropole, sondern das einer Stadt, in der Tradition und Moderne nur schwer miteinander zu versöhnen sind. 

Dieser Widerspruch spiegelt sich auch in jeder einzelnen Figur im Roman. Nichts ist so, wie es zunächst scheint. Thomas Mann legt den Grundstein dieser Skepsis schon in der Anfangsszene. Es ist ein normaler Donnerstag im Oktober 1835. Die Familie Buddenbrook trifft sich traditionell zu einem späten Mittagessen. 

"Man saß auf hochlehnigen, schweren Stühlen, speiste mit schwerem Silbergerät schwere, gute Sachen, trank schwere, gute Weine dazu und sagte seine Meinung. Man war bald bei den Geschäften und verfiel unwillkürlich mehr und mehr dabei in den Dialekt, in diese behaglich schwerfällige Ausdrucksweise, die kaufmännische Kürze sowohl wie wohlhabende Nachlässigkeit an sich zu haben schien und die hie und da mit gutmütiger Selbstironie übertrieben wurde."

Grandios scheitern

Da ist der Seniorchef der Handelsfirma, Johann Buddenbrook der Ältere samt Gattin sowie sein Sohn Konsul Jean mit Familie. Am Tisch sitzen auch die Enkel – die verträumte Tony, der hadernde Rebell Christian und Thomas, der Älteste. Auf seinen Schultern ruht später die Last, die Familientradition fortzuführen – egal um welchen Preis. Um diese Kernfamilie und über mehrere ihrer Generationen spinnt Thomas Mann sein  Werk.  

Doch der propere Schein trügt. Man ahnt schon den schleichenden Niedergang. Das neue Haus ist von einer Familie übernommen worden, die, einst so glänzend wie die Buddenbrooks, wirtschaftlich ruiniert, das Feld räumen musste. Johann und seine Familie sind fest entschlossen, es besser zu machen. Sie entscheiden sich fortan immer wieder für das ökonomisch Gebotene und scheitern – finanziell, zwischenmenschlich, psychisch. Die Kinder Tony und Thomas verlieben sich in nicht standesgemäße Partner und haben dann doch nicht die Kraft, sich gegen ihre Eltern durchzusetzen. Sie gehen zum Wohle der Familie Vernunftehen ein. Paradoxerweise sind es erst diese Zweckgemeinschaften, die die Katastrophen einleiten. 

Sprache als Spiegel

Thomas Mann war schon früh von Schopenhauers pessimistischem Gedanken eines blinden, in der Welt waltenden Willens beeinflusst. Und so gibt es auch kein Entrinnen für die Buddenbrooks. Es wird von Gefühlen, von Moral geredet, aber primär ans Geld, an das Ökonomische gedacht. Das Scheitern, der Ruin oder auch der Tod scheinen da nur der einzig mögliche Ausgang zu sein. Thomas Mann unterstreicht diese Ausweglosigkeit auch stilistisch, indem er ganze Passagen wortwörtlich wiederholt, Motive wie das Familienbuch oder das Buddenbrook-Anwesen immer wieder durchdekliniert. 

2008 verfilmte der Regisseur und Thomas-Mann-Kenner Heinrich Breloer die "Buddenbrooks"Bild: picture-alliance/dpa/Bavaria Film/S. Falke

Die Fallhöhe dieses Untergangs wirkt sprachlich ausgeformt und auf die Spitze getrieben. Die Buddenbrooks, die stolze, weltläufige Hansefamilie, spricht Mundart mit französischen Floskeln. 

"Je, den Düwel ook, c’est la question, ma très chère demoiselle!"

Die niederen Dienstboten, die Dirnen und Halbseidenen – sie alle reden den Jargon der Straße: roh, ungeschliffen. Thomas Mann orchestriert dieses Stimmgewirr virtuos zu einem Gesellschaftspanorama des 19. Jahrhunderts. Der Standesdünkel der Buddenbrooks wirkt dadurch wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Ein Ausdruck ihrer Unfähigkeit, sich dem Wandel, dem Fortschrittsglauben anzupassen. 

Windige Ehemänner und ängstliche Söhne

Dass dieses überbordende, mehrere Generationen umspannende Werk trotzdem nicht an seinem ästhetischen Überschuss erstickt, liegt allein an Thomas Manns schriftstellerischer Genialität. Er vermag es, jeder seiner unzähligen Figuren mit Worten Leben einzuhauchen. Ein Leben, komplex, voller Widersprüche und Doppeldeutigkeiten. Einige dieser Figuren begleiten den Leser Seite um Seite, andere begegnen einem nur kurz. 

Und doch beginnt man darüber nachzudenken, wie aus Grünlich solch ein windiger Ehemann ohne Skrupel werden konnte, und ertappt sich dabei, den ängstlichen Hanno aus dem Klavierzimmer zu jagen und ihm entgegen zu rufen: "Geh, stürz dich ins Leben! Du bist kein Versager." Es ist genau diese Empathie, die einen Nächte durchlesen, über die allzu verschachtelten Sätze und philosophischen Exkurse schmunzeln lässt. Und die aus einem zufälligen Buddenbrooks-Leser einen neugierigen Thomas-Mann-Fan macht. 


Thomas Mann: Buddenbrooks (1901), S. Fischer Verlag

Thomas Mann wurde 1875 als Sohn einer angesehenen Patrizier- und Kaufmannsfamilie in Lübeck geboren. Er starb 1955 in Zürich (Schweiz). "Ich bin ein Städter, Bürger, ein Kind und Urenkelkind deutscher bürgerlicher Kultur", charakterisierte sich der Autor selbst. Neben dem Literaturnobelpreis, mit dem er 1929 für seinen  Erstlingsroman "Buddenbrooks" ausgezeichnet wurde, erhielt er viele Preise und Ehrungen für sein umfangreiches Erzählwerk, darunter "Der Tod in Venedig" (1911), der Roman "Der Zauberberg" (1924), die Tetralogie "Joseph und seine Brüder" (1933-1943). Mann emigrierte 1933 in die Schweiz und 1938 in die USA, von wo aus er unter dem Titel "Deutsche Hörer" in berühmt gewordenen Radioansprachen gegen die Nationalsozialisten agitierte. 1952 kehrte er in die Schweiz zurück.

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