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GesellschaftDeutschland

Thomas von Aquin: Denkanstöße für neues globales Verstehen

7. März 2024

Vielsprachig, multiethisch, multireligiös sei die Welt gewesen, in der der Philosoph Thomas von Aquin zuhause war. Seine Gedanken könnten Anstoß sein, für ein neues globales Denken, sagt der Philosoph Andreas Speer.

Thomas von Aquin
Thomas von Aquin, gemalt von Antoni ViladomatBild: United Archives/IMAGO

Ursprünglich erscheint er als ein Mann von umfangreichen Texten, großen Gedanken und einer Synthese der Theologie. Thomas von Aquin, der Dominikanerpater, verstarb vor genau 750 Jahren, am 7. März 1274. Er wird als einer der herausragenden Denker der christlichen Theologie betrachtet. Mittelalterlich? Ist das nur Vergangenheit?

Andreas Speer, Professor für Philosophie an der Universität KölnBild: Andreas Speer/Universität Köln

Mitnichten, sagt Andreas Speer, der als Professor der Universität Köln Philosophie lehrt. Der 66-Jährige unterstreicht Thomas von Aquins Beitrag zu aktuellen Debatten, sei es durch klare Rhetorik oder die klare Ablehnung von Falschinformationen. Im Interview mit der Deutschen Welle verweist Speer, der auch Direktor des Thomas-Instituts der Kölner Universität ist, auch auf den weiten Horizont des mittelalterlichen Philosophen. "Die Philosophie des Jahrtausends, das wir heute Mittelalter nennen, reflektierte im Grunde die Welt rund um das Mittelmeer herum. Diese war vielsprachig, sie war multiethnisch, sie war multireligiös."

Gegen den Widerstand der Familie

Wer war Thomas von Aquin? Er wurde Anfang 1225 in der Burg von Roccasecca, gut 120 Kilometer südöstlich von Rom, als Sohn einer Adelsfamilie geboren. Wie es in der damaligen Zeit üblich war: die Eltern wollen Bildung und Karriere für den Sohn, am liebsten im wichtigen Kloster Montecassino. Doch Thomas setzt sich gegen allen Druck durch und wird Dominikaner, der als Bettelmönch radikal leben möchte. Er wollte, sagt Speer, die "Rückbesinnung auf eine radikal-christliche Lebensform". Der berühmteste Ordensmann der Kirchengeschichte, Franz von Assisi (1182-1226), lebte eine Generation vor Thomas.

Doch Thomas geht von seinen Lern- und Studienorten Bologna und Neapel hinaus in die entstehende akademische Welt. Er zieht nach Paris, lernt in der dortigen noch jungen, aber schon hochangesehenen Universität und geht dann mit Albert von Launingen, der später als Albertus Magnus (um 1200-1280) berühmt wird, 1248 nach Köln. Bald ist er selbst ein akademischer Lehrer, unterrichtet – als erster Professor seines Ordens - in Paris, dann in Rom, in Neapel. Thomas, so Speer, wurde das, was man heute als einen "Intellektuellen" bezeichnet.

Bis ins 20. Jahrhundert war Thomas ein Star des theologischen Denkens. Sein berühmtestes Werk, die unvollendete "Summe der Theologie", wirkte wie ein Bauplan der gesamten Theologie und prägte das Denken der katholischen Kirche bis weit in die Neuzeit hinein.

"Erst denken, dann reden!"

Auch wenn das Denken der Aufklärung das Gedankengebäude des Thomas überholte, so sieht Philosoph Speer doch vieles, was auch heute noch nachwirken und wirken könne. Auch in Zeiten der kurzen, knappen Worte bei Social Media könne man Thomas Worte: "Formuliere präzise, trau dich zu denken! Und: erst denken, dann reden!", verwenden, so Speer.  "Thomas hat den damaligen Diskussionsstil mit der Präzision seines Denkens perfektioniert. Oft formuliert er anspruchsvoll und intelligent und doch zupackend und in einem sehr kurzen Format, quasi auf TikTok-Länge", sagt Philosoph Speer. 

Eine von sehr vielen Talkshows im deutschen FernsehenBild: Thomas Schulze/ZB/picture alliance

Er sieht den Gelehrten des Mittelalters, der so sehr die Vernunft zum Maß macht, auch als kritische Instanz zu den Talkformaten der modernen Medienwelt und den üblichen politischen Debatten, die von Schlagworten bestimmt sind: "Er würde Denkdisziplin anmahnen, auf vernünftige und präzise Formulierungen Wert legen", sagt Speer. "Über die Art heutiger Auseinandersetzung wäre Thomas gewiss ziemlich unglücklich."

Und Fake News, die heute geradezu üblich sind? "Was Fake News angeht", sagt Speer, "wäre Thomas ungemein kritisch. Wer vorsätzlich lügt und falsche Meinungen verbreitet, widerspricht im Grunde der menschlichen Vernunft. Denn damit träte die Vernunft mit sich selbst in einen Widerspruch. Für ihn ist das eines der schlimmsten Vergehen, das ein Mensch begehen kann."

Aristoteles (384-322 v. Chr.)Bild: Wikipedia/Jastrow

Einen Aspekt betont Speer nachdrücklich zum Thomas-Jubiläum, die Weite des Denkens. Im dreizehnten Jahrhundert war das Denken des lange vergessenen griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.) plötzlich in aller Munde. Große muslimische und jüdische Gelehrte aus Andalusien im heutigen Spanien und Nordafrika hatten mit den Gedanken des Aristoteles die akademische Welt bereichert. An diese Weite knüpfe Thomas an.

"Europa ist nicht der Nabel der Welt"

"Gerade die großen arabischen und jüdischen Denker seiner Zeit haben ihm die Welt eröffnet und das lateinische Europa geweitet", sagt Speer und schwärmt fast von der damaligen philosophischen Welt: "vielsprachig, multiethnisch, multireligiös." Thomas habe auch gewusst, "dass dieses Europa nicht der Nabel der Welt ist". All das könne für "dieses Europa, das sich heute abschottet, Denkanstoß sein, neu zu denken und zu verstehen, was globales Denken heißt".