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"Hosen runter, Herr Hiesinger!"

Ines Eisele | Tessa Clara Walther
23. November 2017

Es war die bislang größte Demonstration gegen die Fusionspläne von Thyssenkrupp: 8000 Gewerkschafter haben in Andernach ihrem Unmut lautstark Luft gemacht. Ines Eisele und Tessa Clara Walther waren dabei.

Deutschland Andernach Demonstration IG Metall
Bild: DW/T. Walther

Der Tag des großen Streiks beginnt mit Sonnenschein und milden Temperaturen im beschaulichen rheinland-pfälzischen Andernach - und für manche auch mit einer Dose Bier. Viele Protestler sind mit Trillerpfeifen und den roten Kappen der IG Metall ausgerüstet; die hat den Protestmarsch und die darauffolgende Kundgebung organisiert. Auf dem Gelände des Thyssenkrupp-Werks Rasselstein warten die Gewerkschafter, bis auch alle Unterstützer von auswärts da sind. Nach eigenen Angaben sind es insgesamt 8000 Demonstranten. Schließlich kann es losgehen, der Zug durch die abgesperrten Straßen des kleinen Andernachs setzt sich in Bewegung.

Der Grund für den Unmut der Thyssenkrupp-Mitarbeiter: Die Konzernspitze will ihre Stahlsparte mit der des indischen Konkurrenten Tata zusammenlegen. Eine Aussicht, die vielen Sorgen bereitet. "Das heißt für uns ziemlich sicher Stellenabbau und Kürzungen, vielleicht machen sogar ganze Standorte dicht", ist auch Haci Kahveci überzeugt, der seit sechs Jahren im hiesigen Werk Rasselstein arbeitet.

Unterstützung von vielen Konzernstandorten

"Unbefristeter Streik ist unvermeidbar."

00:23

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Dass 2000 Stellen abgebaut werden, ist ohnehin schon beschlossene Sache. Aber da der Konzern alles weitere bislang unklar lässt und über 2020 hinaus keine Garantien für Arbeitsplätze oder Standorte geben will, vermuten viele Gewerkschafter ein dickes Ende. Udo Widmann arbeitet seit 17 Jahren bei Thyssenkrupp und fühlt sich hintergangen: "Die da oben machen sich die Taschen voll, während unsere Zukunft ungewiss ist. Das ist einfach unfair." Auch seine Frau läuft mit, denn sie "hängt ja auch mit dran". Die Möglichkeit arbeitslos zu werden, will sich Widmann gar nicht erst ausmalen: "Ich habe hier Heim und Hof. Aber vermutlich müsste ich umziehen, falls ich überhaupt einen Job in meinem Bereich wiederfinde". Seine Frau nickt betroffen.

Es sind nicht nur Andernacher, die durch die Straßen ziehen, um dem Vorstand von Thyssenkrupp zu zeigen, dass sie alles andere als einverstanden mit den Fusionsplänen sind. Unterstützung kommt auch von Gewerkschaftern anderer Konzernstandorte und Bürgern aus dem Umland; in zigfachen Busladungen sind sie angereist. Brigitte Ehrensperger etwa ist extra aus Duisburg gekommen, um sich für die Sache der Stahlarbeiter einzusetzen. Mit Wut in der Stimme sagt die 62-Jährige, "dass es einfach nicht in Ordnung ist, dass alles nur nach dem Profit geht. Was die Arbeiter brauchen, interessiert den Vorstand gar nicht". 

"Man muss richtig kämpfen!"

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Mehr Schulden einbringen

Viele, die hier heute versammelt sind, vermuten, dass Thyssenkrupp die Verschmelzung mit Tata nutzen will, um die eigentlich profitable Stahlsparte "mit Schulden vollzupumpen" - Schulden, die durch fehlgeschlagene Expansionspläne in Brasilien und den USA entstanden sind. Das kann der IG Metall zufolge so funktionieren, dass Thyssenkrupp dem kleineren Konkurrenten Tata gleiche Anteile am Joint Venture gewährt - und als Gegenleistung mehr Schulden einbringen darf.

Dass sie nun die Fehlentscheidungen des Managements ausbaden sollen, geht den Stahlarbeitern nicht in den Kopf. Vor allem nicht, als sich nach und nach verbreitet, dass Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger am selben Vormittag auf der Bilanz-PK in Essen positive Geschäftszahlen verkündet. Bezeichnenderweise hat ausgerechnet das Stahlgeschäft dem Konzern im vergangenen Geschäftsjahr zu höheren Gewinnen verholfen. 

Andrea Nahles: "Ich bin an eurer Seite!"Bild: picture-alliance/dpa/T. Frey

Die Stahlkocher kennen nun seit eineinhalb Jahren die Fusionspläne, und seit eineinhalb Jahren wehren sie sich dagegen. Auf dem Weg zur Kundgebung skandieren sie in Sprechchören "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut" oder "Wir sind kampfbereit". An den Andernacher Rheinanlagen angekommen, geht es schon fast routiniert an die Pommes- und Currywurststände. Dann eine gute Stunde mantra-artiger Beschwörungen des Zusammenhalts und des Widerstandes.

Andrea Nahles ist dabei

Prominenter Besuch kommt aus den Reihen der SPD: Andrea Nahles betritt mit "Das ist mein Rasselstein!" die Bühne und erntet dafür ordentlich Applaus. Wie schon viele zuvor fordert auch die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion endlich Klarheit: "Hosen runter, Herr Hiesinger! Wir wollen wissen, was Sie vorhaben!" Auch in Richtung CDU und Angela Merkel teilt Nahles aus; diese würden einfach tatenlos zusehen.

Ein weiterer Punkt, den die Metaller Thyssenkrupp ankreiden, ist, dass die mit Tata gemeinsame Tochter ihren Sitz in Amsterdam haben soll. Detlev Wetzel, Ex-IG-Metall-Chef und mittlerweile von IG Metall entsandter Aufsichtsrat in der Thyssenkrupp Steel Europe AG, erklärt der DW: "Es ist ein Verrat am Standort Deutschland. Jeder weiß, dass die Niederlande eine Steueroase sind." Darüber hinaus sei nach niederländischem Recht auch die Montan-Mitbestimmung, die Arbeitnehmer-Vertretern weitreichende Mitsprachen ermöglicht, nicht gesichert.

"Das ist Verrat am Standort Deutschland!"

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Von "denen da oben"

Kampfbereit, aber auch schon ein kleines bisschen resigniert, so zeigen sich die Protestler in Andernach an diesem Tag. Die meisten glauben zwar, dass die Pläne von "denen da oben" schon gemacht sind. Aber vielleicht, so hoffen sie doch, kann man wenigstens noch an den Details schrauben. Die Konzernspitze soll ihre Frustration jedenfalls zu spüren bekommen. Wetzel kündigt schon mal an: "Wenn der Vorstand unser Signal noch nicht verstanden hat, sind wir gerne bereit, unseren Missmut an anderer Stelle noch deutlicher zu zeigen." 

Als er das sagt, haben sich die meisten schon wieder auf den Weg zu ihren Bussen gemacht, um die Heimreise anzutreten. Der zuvor prall gefüllte Platz am Rheinufer wirkt verlassen. Einige sind auch zurück zum Werk Rasselstein gelaufen, wo ja nach dem Streik die Arbeit weitergehen muss.