1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Als Tibeter in der Schweiz

Miodrag Soric
12. Mai 2021

Beamte eines westlichen Staates, die eng mit chinesischen Geheimdienstmitarbeitern kooperieren? Auf den ersten Blick wenig wahrscheinlich. Doch in der Schweiz war das über Jahre gängige Praxis.

Demonstration für die Rechte von Tibetern in Bern (Archivbild)
Demonstration für die Rechte von Tibetern in Bern (Archivbild)Bild: Alessandro della Valle/Keystone/picture alliance

"Vielleicht weil wir beide Bergvölker sind", antwortet Thomas Büchli auf die Frage, woher die Sympathie vieler Schweizer für die Tibeter kommt. Der Präsident der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetischer Freundschaft muss es wissen. Er hat schon vielen tibetischen Flüchtlingen geholfen, sich nach ihrer Ankunft im Alpenland zurechtzufinden. Die meisten fliehen vor den Verfolgungen durch den chinesischen Geheimdienst. Experten des "Tibet-Instituts" eine Autostunde nördlich von Zürich schätzen, dass etwa 8000 Tibeter bei den Eidgenossen leben, etwa die Hälfte mit Schweizer Staatsbürgerschaft.

Dennoch: Ähnlich wie in Deutschland oder anderen EU-Staaten stehen viele Schweizer der Ankunft von Flüchtlingen skeptisch gegenüber. Sie wollen den Zuzug reglementiert wissen. Dazu dienen gesetzlichen Regelungen. Wer über ein sicheres Drittland - etwa Nepal oder Indien - in die Schweiz kommt, muss fürchten, dass Schweizer Behörden den Asylantrag erst einmal ablehnen. Daher verschweigen oder verschleiern viele Flüchtlinge, auf welchem Weg sie die Schweiz erreicht haben.

Das sogenannte Tibet-Institut ist eigentlich ein KlosterBild: Miodrag Soric

Um zu klären, ob die Flüchtlinge tatsächlich aus China stammen, haben Schweizer Behörden jahrelang mit Beamten aus der Volksrepublik China kooperiert. Peking "half" also, Flüchtlinge aus China zu identifizieren. Als diese Praxis 2020 öffentlich wurde, hagelte es Kritik: von Politikern, Menschenrechtlern aber auch Experten wie die dem Politikwissenschaftler Ralph Weber vom Europainstitut der Universität Basel. Sie alle befürchten, dass die Angehörigen der Flüchtlinge von der Pekinger Geheimpolizei verfolgt werden. Nach diesen Protesten hat Bern Ende 2020 das entsprechende Abkommen mit China auslaufen lassen.

Angst um die Verwandten in der Heimat

Um seine Angehörigen in Tibet nicht in Gefahr zu bringen, hat Tenzin - wir haben zu seinem Schutz den Namen verändert - seit seiner Flucht aus Tibet im Jahr 2013 keinerlei Kontakt mit seinen Verwandten in der Heimat. "Sie wissen noch nicht einmal, dass ich inzwischen verheiratet bin und zwei Kinder habe", sagt der etwa 30 Jahre alte Mann, der in einem Dorf lebt.

Zwei Asylanträge haben die Schweizer Behörden bereits abgelehnt. Doch er ist zuversichtlich, dass er unter eine Art Härtefallregelung fällt und deshalb nicht abgeschoben wird. Derzeit wartet er auf einen entsprechenden Beschluss der Behörden.

"Tenzin" bei einem Besuch im Tibet-InstitutBild: Miodrag Soric

Zustimmen müssen gleich drei staatliche Ebenen: die Gemeinde, der Kanton und auch der Bund. Inzwischen lernt Tenzin weiter Deutsch, absolviert Praktika, um sich beruflich neu zu orientieren. Er hofft, eines Tages als Krankenpfleger seine Familie ernähren zu können.

Regelmäßig fährt er zum Tibet-Institut. Es liegt malerisch an einem Hang in den Bergen, umgeben von einem kleinen Nadelwald und einigen Bauerhöfen. Das sogenannte Institut ist eigentlich ein tibetisch-buddhistisches Kloster, das von einem Abt und acht Mönchen bewohnt wird.

"Alles gefiel mir dort"

Im Tempel ist ein lebensgroßes Bild des Dalai-Lama aufgehängt, den die meisten Tibeter als ihr geistliches Oberhaupt betrachten. Mehr als ein Dutzend Mal hat er das Tibet-Institut in der Schweiz besucht.

Hier im Kloster fühlt sich Tenzin sichtlich wohl: Bevor er seine Heimat verließ, lebte er in einem buddhistischen Kloster. "Ich hatte dort meine Freunde, alles gefiel mir dort", sagt Tenzin.

Eines Tages begannen chinesische Sicherheitskräfte, die Mönche zu drangsalieren. "Ein normales Leben war dann nicht mehr möglich", erinnert er sich. Wie andere beteiligte auch er sich an Demonstrationen gegen die Polizei und geriet so ins Fadenkreuz der Sicherheitskräfte. Am Ende sei ihm nur die Flucht geblieben.

Damian Müller von der Schweizer FDPBild: Miodrag Soric/DW

Schicksale wie das von Tenzin und anderen Verfolgten in China, haben inzwischen die Politiker in Bern nachdenklich gemacht. Die Schweiz und China verbindet seit 2014 ein Freihandelsabkommen, von dem viele Unternehmen in der Schweiz profitieren.

"Wir haben in den Beziehungen mit China Fortschritte gemacht", meint der Liberale Ständerat Damian Müller in Bern. Man habe aber auch gesehen, dass das Freihandelsabkommen mit China weiterentwickelt werden müsse: "Insbesondere die Menschenrechtsituation muss mehr in den Fokus genommen werden."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen