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Politik

Tibeterin Nyima Lhamo auf Genfer Menschenrechtsgipfel

Esther Felden
10. März 2017

Vor gut anderthalb Jahren starb der tibetische Mönch Tenzin Delek Rinpoche unter bis heute ungeklärten Umständen in chinesischer Haft. Seine Nichte setzt alles daran, dass sein Tod aufgeklärt wird .

Nyima Lhamo  beim diesjährigen Menschenrechtsgipfel in Genf
Bild: Geneva Summit/D. Smith

Tenzin Delek Rinpoche war ein bekannter tibetischer Mönch. 2002 wurde er von chinesischen Sicherheitskräften verhaftet und angeklagt. Ihm wurden die Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag, illegaler Waffenbesitz und separatistische Aktivitäten vorgeworfen. Zunächst wurde er deshalb zum Tode verurteilt. Auf internationalen Druck wurde die Strafe später in lebenslängliche Haft umgewandelt. Zahlreiche Politiker und Organisationen setzten sich in den folgenden Jahren immer wieder für seine Freilassung ein. Nach 13 Jahren in einem Gefängnis in der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas starb Tenzin Delek Rinpoche am 7. April 2015. Zuletzt war er schwer krank, er soll unter anderem unter Herzproblemen und Bluthochdruck gelitten haben.

Sein Tod wurde international mit Bestürzung aufgenommen. In einer Stellungnahme des damaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Christoph Strässer, hieß es: "Die Bundesregierung und die die Europäische Union haben sich in der Vergangenheit wiederholt für eine medizinische Behandlung und eine Entlassung aus der Haft aus humanitären Gründen engagiert. Die Sorge um den Gesundheitszustand von Tenzin Delek Rinpoche und die Bitte um angemessene medizinische Versorgung wurde in Gesprächen mit der chinesischen Regierung immer wieder hochrangig angesprochen, außerdem wurde um Auskunft zu den Haftbedingungen gebeten. Leider erfolglos."

Nyima Lhamo ist die Nichte des verstorbenen Mönches. Im vergangenen Jahr hat sie Tibet verlassen und spricht seitdem auf Veranstaltungen im Ausland über das, was sie über das Schicksal ihres Onkels weiß. Im Gespräch mit der DW beim diesjährigen Menschenrechtsgipfel in Genf bricht Nyima Lhama immer wieder in Tränen aus. Sie ist überzeugt, dass China eine direkte Schuld am Tod des Rinpoches trägt. Beweise hat sie allerdings nicht für ihren Verdacht. Die genauen Umstände, die zum Tod von Denzin Delek Rinpoche führten, sind nach wie vor ungeklärt.

Tenzin Delek Rinpoche drei Jahre vor seiner Verhaftung in seinem Zuhause - die Aufnahme stammt von 1999 Bild: picture alliance/AP/T. Woeser

Deutsche Welle: Wie haben Sie die Festnahme Ihres Onkels erlebt? Woran können Sie sich erinnern?

Nyima Lhamo:  Als mein Onkel, Tenzin Delek Rinpoche, in seinem Kloster verhaftet wurde, war ich in meiner Heimatstadt Lithang. Es war der 7. April 2002. Gegen Mitternacht haben wir die Information bekommen, dass mein Onkel willkürlich festgenommen wurde. Meine Familie hat viel geweint. Ich war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt. Damals hatte das Ganze noch keine so große Bedeutung für mich. Ich dachte auch, dass er schnell wieder frei kommen würde, weil er ja nichts verbrochen hatte.

 Mein Onkel hat sich immer zum Wohl anderer Menschen engagiert. Er hat auch uns immer geraten und dazu ermuntert, anderen zu helfen. Mein Onkel war ein sehr lieber und gütiger Mensch. Das verdient eine Menge Respekt von allen Tibetern.

Durften Sie und Ihre Familie ihn in Gefangenschaft besuchen?

Seit der Festnahme meines Onkels im Jahr 2002 durften meine Mutter (seine Schwester, Anmerk. d. Red.)  und zwei Tanten ihn in den 13 folgenden Jahren insgesamt sechs Mal im chinesischen Gefängnis besuchen. Ich konnte ihn nicht sehen. Obwohl ich wiederholt Berufung bei den chinesischen Behörden eingelegt hatte, wurde mir der Zugang von chinesischer Seite untersagt.

 Was hat Ihre Mutter Ihnen über die Besuche erzählt?

Sie erzählte mir, dass er viel geschlagen wurde von den chinesischen Aufsehern. Die Aufseher hätten zu ihm gesagt: 'Du bist doch ein spiritueller Führer, dann zeig deine spirituellen Kräfte, wenn du welche hast, um die Schläge und die Folter abzuwenden.' Oft verlor er bei den Schlägen sogar das Bewusstsein. Aber mein Onkel sagte meiner Mutter, dass er keinen Hass gegenüber seinen Peinigern empfand. Stattdessen hatte er Mitgefühl mit ihnen. Und er riet uns, zu versuchen, ebenso zu denken.

Er machte gegenüber meiner Mutter aber auch sehr deutlich, dass er keinerlei Verbrechen begangen hätte. Das Einzige, dessen er schuldig war, war seine Hingabe und seine Loyalität zu seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama. Bei einem anderen Treffen riet er meiner Mutter, sie solle mich wegschicken aus Tibet, um mir die Möglichkeit zu geben, zu studieren. Aber im Endeffekt habe ich das Land erst im Juli 2016 verlassen.

Was können Sie über den damaligen Gesundheitszustand Ihres Onkels sagen?

Der Gesundheitszustand meines Onkels hat sich im Gefängnis sehr verschlechtert. Nach dem ersten Besuch hat meine Mutter uns hinterher erzählt, dass er nicht selbstständig gehen konnte. Im Gespräch mit ihr gab er dann an, dass viele chinesische Ärzte zu ihm kämen und ihm Medizin geben würden. Wir sollten uns keine Sorgen um seine Gesundheit machen. Mein Onkel hat uns ermutigt, daran zu glauben, dass er bald entlassen würde.

In der Berichterstattung über den Fall Ihres Onkels hieß es immer wieder, ihm sei medizinische Hilfe verwehrt worden – er soll sich in den letzten Monaten seines Lebens in besorgniserregendem Zustand befunden und unter Herzproblemen und Bluthochdruck gelitten haben. Was wissen Sie darüber?

Wir haben uns dafür eingesetzt, dass er einen fairen Prozess bekommt und seine Strafe aus medizinischen Gründen unterbrochen wird, damit er einen Arzt konsultieren kann. Doch das wurde uns abgeschlagen. Wir hatten keinerlei Informationen darüber, was sie im Gefängnis mit ihm machten. Nach Aussage meines Onkels bekam er wohl Medikamente. Aber einen unabhängigen Arzt durften wir nicht schicken.

Haben die chinesischen Behörden Ihnen jemals persönlich mitgeteilt, was ihm vorgeworfen wird?

Die chinesischen Behörden haben uns nicht kontaktiert. Mein Onkel war anfangs sieben oder acht Monate einfach verschwunden, während dieser Zeit wussten wir gar nichts.

 Wie lang hatte ihre Mutter ihn zum Zeitpunkt seines Todes nicht mehr gesehen?

Das letzte Treffen war im Frühjahr 2013, und gestorben ist er am 12. Juli 2015. Zwischen dem letzten Besuch und dem Tod meines Onkels hatten wir keinerlei Informationen über seinen Zustand. Während des Treffens hat mein Onkel mehrere Male meine Mutter gebeten, seinen Fall vor die Zentralregierung zu bringen. Wir haben alles daran gesetzt und waren hoffnungsvoll, dass er bald freikommen würde.

Dann, im Juli 2015 wurden wir überraschend von den chinesischen Behörden angerufen und uns wurde mitgeteilt, dass wir ihn sehen könnten. Meine Mutter fragte sofort, ob es ihm gut gehe. Es hieß, wir sollten uns keine Sorgen machen, es gehe ihm bestens. Aber dann haben sie uns hingehalten und den Termin zehn Tage lang verschoben. Am  12. Juli schließlich wurden meine Mutter und meine Tante darüber informiert, dass er in Haft gestorben war.

Was wissen Sie über die Umstände seines Todes?

Dazu sage ich: Sie haben ihn ihm Gefängnis umgebracht - wegen seiner einflussreichen Rolle innerhalb der tibetischen Gemeinschaft. Außerdem hat der Fall meines Onkels viel internationale Aufmerksamkeit bekommen. Wir glauben, dass sie unseren Onkel getötet haben.

Was ist nach seinem Tod passiert?

Wir haben den Leichnam  meines Onkels nicht ausgehändigt bekommen. Ich war selbst dort, zusammen mit anderen Tibetern. Wir  demonstrierten für eine Herausgabe seiner sterblichen Überreste. Aber das wurde uns nicht gestattet. Nicht einmal seine Asche haben wir bekommen. Für tibetische Buddhisten gibt es eine Sache, die noch wichtiger ist als das Leben selbst. Und das sind die Rituale, die direkt nach dem Tod eines Menschen durchgeführt werden sollen. Meiner Familie wurde das verwehrt, und meinem Onkel wurden die buddhistischen Riten vorenthalten. Nachdem mein Onkel gestorben war, wurden außerdem meine Mutter und ich in Gewahrsam genommen und über Tage festgehalten.

Was ist ihr persönliches Ziel?

Ich möchte an die Internationale Gemeinschaft appellieren, China zu den Umständen, die zum Tod meines Onkels geführt haben, zu befragen und Informationen über die Lage in Tibet zu sammeln. Ich bin bereit, mit jedem zu sprechen, der zuhören möchte.

Ich weiß nicht, ob die chinesischen Behörden auch gegen mich vorgehen würden. Vor was für Herausforderungen auch immer ich gestellt werde, ich bin verpflichtet, sie anzunehmen – um meinem Onkel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und im Hinblick auf die Situation in Tibet.