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Politik

Tichanowskaja bereit, Führung zu übernehmen

17. August 2020

Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja will sich an die Spitze der Bewegung gegen Staatschef Alexander Lukaschenko setzen. Der gibt sich reformbereit - stellt aber Bedingungen.

Weißrussland politische Krise | Sviatlana Tsikhanouskaya
Bild: Reuters/Sviatlana Tsikhanouskaya Headquarters

Angesichts der seit mehr als einer Woche andauernden Massenproteste in Belarus (Weißrussland) schickte die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja eine Video-Botschaft aus ihrem litauischen Exil. Darin signalisiert die 37-Jährige, sie könne die Führung des Landes übernehmen. Sie sei bereit, Verantwortung zu tragen und übergangsweise "als nationale Anführerin zu handeln", so Tichanowskaja, die bei der Präsidentenwahl vor gut einer Woche nach offiziellen Angaben gegen den amtierenden Staatschef Lukaschenko verloren hatte. An dem Ergebnis gibt es international jedoch erhebliche Zweifel.

Die Oppositionelle macht in dem Video deutlich, dass sie nie vorgehabt habe, "Politikerin zu sein". Doch habe das Schicksal dazu geführt, "dass ich mich an der Frontlinie einer Konfrontation gegen Willkür-Herrschaft und Ungerechtigkeit wiederfinde". Aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder war Tichanowskaja kurz nach der Wahl ins Nachbarland Litauen geflohen.

Auch Staatsbetriebe streiken

Sie hoffe, dass sich mit diesem Schritt das Land beruhige, alle politischen Gefangenen freigelassen und so bald wie möglich eine neue Präsidentenwahl angesetzt werden könnte, sagt Tichanowskaja weiter. Auch Staatschef Alexander Lukaschenko meldete sich zu Wort. Bei einem Besuch des staatlichen Fahrzeugherstellers MZKT lehnte er Neuwahlen ab. Zwar sei er bereit seine Macht zu teilen, aber er wolle dies nicht unter dem Druck der Demonstrationen tun.

Mitarbeiter streiken vor dem Gebäude des staatlichen Fahrzeugherstellers MZKT in der Hauptstadt MinskBild: picture-alliance/dpa/TASS/V. Sharifulin

Seit der Wahl kommt es in Belarus landesweit zu Protesten, bei denen Demonstranten den Rücktritt Lukaschenkos und einen politischen Wandel fordern. Dabei wurden tausende Menschen vorübergehend festgenommen, mindestens zwei Demonstranten wurden getötet. An diesem Montag traten auch mehrere Tausend Arbeiter von Staatsbetrieben in den Streik - darunter auch Angestellte von MZKT. Die Fabriken gelten in der Ex-Sowjetrepublik als elementar für das Funktionieren des Staates. Experten gehen davon aus, dass Lukaschenko über die Arbeitsniederlegungen nach 26 Jahren an der Macht am schnellsten zum Aufgeben gedrängt werden kann.

Journalisten schließen sich Protest an

Angestellte des belarussischen Staatsrundfunks BT legten an diesem Montag ebenfalls die Arbeit nieder, um an den Massenprotesten teilzunehmen. Im Fernsehen wurden Bilder von leeren TV-Studios übertragen. Ein Mitarbeiter sagte der Nachrichtenagentur Interfax, um die 100 Kollegen seien bei dem Streik vor dem Hauptquartier des Senders dabei.

Dem unabhängigen belarussischen Nachrichtenportal Tut.By zufolge unterzeichneten zudem Journalisten, Kameraleute und andere Mitarbeiter von BT eine Aufforderung an das Management, die Medienzensur zu beenden und die Ergebnisse der Präsidentenwahl anzuerkennen.

Behörden: Fast alle Festgenommenen "praktisch" frei

Noch am Samstag hatten Tausende Menschen vor dem Sitz des staatlichen Senders demonstriert, und etwa Plakate hochgehalten, auf denen "Zeigt den Leuten die Wahrheit" stand. BT hatte zunächst die Massenproteste weitgehend verschwiegen und eher Unterstützer Lukaschenkos im Fernsehen gezeigt.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Minsk teilte unterdessen mit, das fast alle bei den Massenprotesten in Belarus inhaftierten Demonstranten wieder freigelassen worden seien. Von den rund 7000 Festgenommen aus der vergangenen Woche seien "praktisch" alle wieder frei, hieß es. Nach internationaler scharfer Kritik gegen die Polizeigewalt waren bereits am Freitag 2000 Menschen freigelassen worden. Sie berichteten vielfach von Gewalt und Misshandlungen in den Gefängnissen und im Polizeigewahrsam. 

EU-Ratschef beruft Sondergipfel ein

Angesichts der Situation nach der Wahl in Belarus hat EU-Ratschef Charles Michel für Mittwoch einen EU-Videogipfel angesetzt. Die Menschen in Belarus hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, schrieb Michel auf Twitter. Gewalt gegen die Demonstranten sei inakzeptabel.

In Berlin sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: "Ich appelliere an Präsident Lukaschenko, den Weg des Gesprächs zu gehen, nicht auf Gewalt zu setzen, sondern auf den Dialog. Ich appelliere an das belarussische Militär, sich nicht durch Gewalt gegen das eigene Volk zu versündigen." Großbritannien erklärte, das Wahlergebnis in Belarus nicht anzuerkennen. Der britische Außenminister Dominic Raab forderte eine Untersuchung und drohte, gemeinsam mit anderen Ländern Sanktionen zu beschließen. 

ie/AR (rtr, dpa, afp, Interfax)

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