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PolitikEuropa

"Keine Geopolitik, sondern Demokratie"

Barbara Wesel
25. August 2020

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat sich per Video an die Europaabgeordneten gewandt. Doch das Parlament ist vorsichtig mit Hilfsangeboten der EU - aus guten Gründen.

Belarus Präsidentschaftswahl Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja
Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja betont, der Kampf in Belarus richte sich nicht gegen RusslandBild: Reuters/V. Fedosenko

Mit einer Videobotschaft erschien Swetlana Tichanowskaja bei der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament: Sie sei dankbar für die Unterstützung der Abgeordneten, die noch vor dem Gipfel in der vorigen Woche in großer Einigkeit eine sehr deutlich formulierte Stellungnahme zu Belarus veröffentlicht hatten. Darin war auch die Forderung nach Neuwahlen enthalten - um  die sich die Regierungschefs dann gedrückt hatten.

Es gehe um die Würde der Belarussen, um Selbstbestimmung und fundamentale Rechte für alle Bürger, es gehe nicht um "Geopolitik, sondern um Demokratie", sagte die belarussische Oppositionsführerin von Vilnius aus, wo sie Zuflucht gefunden hat. Was man auf den Straßen des Landes sehe, sei eine friedliche Revolution, aber kein Kampf zwischen pro- oder anti-russischen Kräften und kein Kampf für die Annäherung an die EU. "Es ist das Streben einer Nation, ihre Führer frei zu wählen und selbst über ihr Schicksal zu entscheiden."

Sicherheitskräfte entlang einer Demonstration am Sonntag in MinskBild: imago images/ITAR-TASS/V. Sharifulin

Für die Opposition ist diese Unterscheidung lebenswichtig: Sie wehrt sich gegen ein Narrativ, das von Moskau, aber auch von Präsident Alexander Lukaschenko selbst propagiert wird, wonach der Westen Belarus aus der russischen Einflusssphäre herausbrechen und eine zweite Ukraine aus dem Land machen wolle. Der Machthaber in Minsk fabuliert immer wieder von ausländischen Kräften an den Grenzen seines Landes. Dagegen setzen Tichanowskaja und ihre Unterstützer ihre Forderung nach freien und fairen Wahlen und einem eigenen Platz im Kreise selbstbestimmter Nationen.

Die Oppositionsführerin betonte auch, Belarus sei ein Teil Europas: kulturell, historisch und geographisch. Eine lockere,  aber schlecht informierte Bemerkung von EU-Wirtschaftskommissar Thierry Breton, der Anfang voriger Woche das Gegenteil behauptet hatte, blieb vielen offenbar quer im Hals stecken. Auch eine Reihe Europaabgeordneter, insbesondere aus Polen, widersprach Breton noch einmal scharf. 

Präsident Lukaschenko (M.) mit seinem russischen Amtskollegen Putin (r.)Bild: picture-alliance/dpa/M. Klimentyev

Im Interview mit der DW drückte Swetlana Tichanowskaja darüber hinaus ihren Abscheu angesichts der jüngsten Bilder eines waffenschwingenden Lukaschenko aus: "Ich kann dazu nichts sagen, weil es fürchterlich ist. Und ich weiß nicht, was in den nächsten Tagen passieren wird. Aber ich weiß, was in der Zukunft passieren wird: Unsere Leute werden nicht nachlassen, sie sind erwacht und wollen ein neues Belarus."

Sie lobte auch die internationale Reaktion: "Wir haben viel Unterstützung aus allen Ländern bekommen. Viele politische Führer haben mich kontaktiert und unseren Bürgern ihre Unterstützung zugesagt. Sie sind von ihnen inspiriert - und ich bin sicher, sie tun ihr Bestes, um zu helfen." Mit Rezepten allerdings, was man im Einzelnen tun sollte, ist die Oppositionsführerin vorsichtig.

Russland ist längst da

Allen Rufen nach Nicht-Einmischung von allen Seiten zum Trotz: Russland sei längst in Belarus aktiv, sagt etwa der polnische MEP Jacek Saryusz-Wolski. Er kritisiert den EU-Gipfel, der den Elefanten im Raum nicht erwähnt habe, nämlich Russland. Man müsse die Dinge aber beim Namen nennen, denn ohne russische Unterstützung sei das Regime in Minsk nicht mehr lebensfähig: "Russland hat auf hybride Weise längst interveniert, durch Militärberater, beim Staatsfernsehen, bei den Geheimdiensten." 

"Die Situation in Belarus ist extrem schlecht", sagt auch die polnische Abgeordnete Anna Fotyga von den Nationalkonservativen. Lukaschenko habe den Kreml um Hilfe gebeten und bekomme sie auch. Unter anderem seien spezialisierte Propaganda-Teams im Land unterwegs.

Auch Helga Schmid, Direktorin im Diplomatischen Dienst der EU, will die Aufmerksamkeit auf die Desinformationskampagnen aus Moskau richten, die auf die Bürger in Belarus zielten.

Vertreter der Grünen betonten ebenfalls, man dürfe nicht naiv sein, denn Moskau sei in Belarus schon kräftig engagiert und der Einfluss des Kreml sei überall, etwa bei Lukaschenkos Bodyguards. 

Was kann die EU tun?

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses formulierte seine Zusicherung, Europa werde mit den Bürgern von Belarus weiter solidarisch sein, diplomatisch. "Wir wollten die Stimme von Frau Tichanowskaja hören, weil sie das Symbol der Opposition ist und für sie spricht", sagte David McAllister im Interview mit der DW. Auch er betonte, dass die Demonstrationen nicht für die Anbindung an die EU oder die NATO stattfänden, sondern für allgemeine Grundrechte. "Wir wollen, dass unsere Nachbarn in Belarus sich der gleichen Rechte erfreuen können, wir nehmen hier nicht Partei."

David McAllister vom Auswärtigen Ausschuss des EP formuliert vorsichtig, um in Belarus kein politisches Porzellan zu zerschlagenBild: DW/M. Luy

Der Versuch auf allen Seiten, die politische Entwicklung in Belarus nicht als Kampf zwischen den politischen Blöcken zu interpretieren, mündet allerdings in einer gewissen Sparsamkeit, was konkrete Empfehlungen für den Weg nach vorn angeht. "Es ist gefährlich, dem Kampf der Menschen  in Belarus zusätzliche geopolitische Spannungen hinzuzufügen", sagt der Grünen-Außenpolitiker Reinhard Bütikofer. Vielleicht könne es aber hilfreich sein, wenn die EU einen erfahrenen Sonderbeauftragten ernennen würde.

Bütikofer befürwortet, wie auch andere europäische Beobachter, eine Lösung nach dem Vorbild Armeniens, wo nach öffentlichen Protesten ein respektierter Regierungschef das Amt übernahm, der nicht gegen Moskau steht. Abgesehen davon solle die OSZE eine Rolle bei der Vermittlung und eventuellen Neuwahlen spielen, meint der Grüne. In der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aber geschieht nichts ohne Konsens mit dem Kreml - dieser Ausweg hängt also völlig von der Zustimmung Moskaus ab. Und schließlich müsse die EU sich bereit machen, Oppositionsanhängern Asyl zu bieten, sollte es entgegen allen Hoffnungen doch zu einer gewalttätigen Niederschlagung der Proteste kommen, so Bütikofer weiter. 

Streit über Sanktionen

Zur Debatte standen im Europaparlament auch die anstehenden EU Sanktionen: Sie bewirkten in der Regel wenig, kritisierten mehrere Parlamentarier. Solche Strafmaßnahmen müssten jedenfalls gegen alle Verantwortlichen verhängt werden, die für die Gewalt gegen Protestierende und die Wahlfälschung verantwortlich seien, nicht nur gegen eine Handvoll Regimepolitiker. Und schließlich müsse die EU ihre östliche Partnerschaftspolitik überdenken, vielleicht die beiden Diktaturen Belarus und Aserbaidschan ausschließen, wenn sich die Zustände dort nicht besserten.

Der Instrumentenkasten der EU ist im Falle Belarus nur spärlich bestückt, denn vor Wirtschaftssanktionen gegen Minsk schreckt sie zurück, weil sie die Bevölkerung treffen könnten. Das gleiche gilt für Maßnahmen gegen Russland, dessen Einmischung bisher niederschwellig ist. Solange es keine Militärintervention gibt, versucht sich die EU weiter in Diplomatie, so wenig befriedigend das auch angesichts der erneuten Repressionen in Minsk mit der Verhaftung von Oppositionsführern wirken mag.  

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