Die Hennen legen Eier, und die Hähne werden gemästet - so war es früher. Und so sollte es auch wieder sein, sagt Hühnerzuchtexpertin Inga Tiemann. Fleisch und Eier wären dann allerdings teurer.
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Deutsche Welle: Frau Tiemann, in Deutschland werden jedes Jahr mehr als 40 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet. Warum?
Inga Tiemann: Bei Legehennen sind die Hähne überflüssig. Denn sie legen natürlich keine Eier, sie gewinnen aber auch nicht so schnell an Körpergewicht, dass es sich wirtschaftlich rentieren würde, sie zu mästen und zu schlachten. Die Hähne dieser Legelinien werden nie so viel Brustfleisch ansetzen wie die Masthähnchen, die extra für die Fleischproduktion gezüchtet wurden.
Warum ist das Brustfleisch beim Huhn denn so wichtig?
Das ist das, was hinterher auf dem Teller landet. Auch Hähnchenfilet ist immer Brustfleisch. Davon möchte man am liebsten möglichst viel haben und möglichst große, einheitliche Stücke - und die bekommen Sie nicht mit einem Hahn aus einer Legelinie.
Woher stammen diese Legelinien?
Von weltweit tätigen Zuchtunternehmen. Die Küken werden dann an Betriebe weitergegeben, die die Hennen aufziehen. Und die wiederum geben die Hennen bei der Legereife an Produktionsbetriebe weiter.
Warum so kompliziert? Warum züchtet ein Betrieb nicht einfach seine eigenen Hennen?
Sie erreichen mit eigenen Tieren nie die Wirtschaftlichkeit, die Sie haben müssen, um Eier so preisgünstig anbieten zu können. Legehennen entstehen aus mindestens vier Linien: Die eine Linie hat eine besonders hohe Futterverwertung, die nächste Linie eine besonders hohe Legeleistung, die andere ist sehr gesund, die vierte verhält sich gut - und diese Linien werden gekreuzt.
Heraus kommt ein Hybridtier, das im Idealfall alle positiven Eigenschaften der Vorgängerlinien vereint: Es verwertet super das Futter, es legt super Eier, es kommt super mit der Umgebung klar. Wenn Sie mit diesen Tieren aber weiterzüchten, spaltet sich das wieder auf: Sie bekommen einen bunten Sack voller Nachkommen. Dann ist wieder eine dabei, die gut ihr Futter verwertet, die muss aber nicht viele Eier legen. Die nächste legt gute Eier, hat aber womöglich keine gute Futterverwertung. Mit den Tieren, die zur Eierproduktion dienen, lässt sich also nicht weiter züchten.
Und der Landwirt muss immer wieder neue Hennen einkaufen?
Ja, genau. Das ist natürlich alles über den Markt diktiert. Ich schließe mich da als Verbraucher ein, auch ich will ein günstiges Lebensmittel kaufen - und das wollen auch viele andere. Daher muss ein Tier kostengünstig diese Lebensmittel produzieren, also mit maximaler Wirtschaftlichkeit Eier legen - und das können nur diese Hybridlinien.
Drollig, robust und selten: alte Haustierrassen
Alte Nutztierrassen sehen nicht nur lustig aus. Sie haben auch lange Zeit den Menschen geholfen, ihr Leben zu bestreiten. Inzwischen haben Hochleistungszüchtungen sie verdrängt. Viele sind vom Aussterben bedroht.
Bild: picture-alliance/dpa
Schön hässlich: Bronzeputer
Legehennen, die 300 Eier pro Jahr legen und Mastputen, die mehr Gewicht ansetzen als ihre Beine tragen können - Hochleistungszüchtungen haben unsere alten, weniger effektiven Haustierrassen verdrängt. Viele dieser Rassen sind inzwischen bedroht. So wie die Bronzepute: Es gibt nur noch knapp tausend Tiere.
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Buntes Bentheimer Schwein
Alte Haustierrassen sind meist robuster und weniger anfällig für Krankheiten als neue Züchtungen. Züchterverbände setzen sich deshalb für den Erhalt bedrohter Nutztierrassen ein - beim Bunten Bentheimer dringend nötig, denn es gibt nur noch wenige hundert Tiere. Das Fleisch gilt als fettreich, aber sehr schmackhaft.
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Weiße gehörnte Heidschnucke und Jakobsschaf
Heide- und Moorflächen sind die besten Weideplätze für die weiße Heidschnucke (links). Die Schafart gilt als "extrem gefährdet". Noch genug Tiere gibt es hingegen vom Jakobsschaf mit den vier Hörnern (rechts). Seine dunkle Wolle ist sehr geschätzt.
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Schottische Hochlandrinder
Die wetterharten und anspruchslosen Hochlandrinder aus den schottischen Highlands sind inzwischen auch außerhalb der britischen Inseln verbreitet. Um ihren Bestand müssen wir uns derzeit keine Sorgen machen, denn es gibt reichlich Tiere - und Züchter. Deutschland ist das größte Zuchtgebiet auf dem europäischen Festland.
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Poitou-Esel
Er ist einer der größten Eseln der Welt: Der Poitou-Esel stammt aus Nordafrika, wurde in Südwest-Frankreich gezüchtet. Er diente zur Maultierzucht, als Lastenträger und zur Feldarbeit. Weltweit gibt es nur etwa 300 Tiere. Da er oft mit anderen Arten gekreuzt wurde, ist es fast unmöglich, ein reinrassiges Tier zu bekommen.
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Bergische Schlotterkämme
Diese mittelgroße, wetterfeste Nutzhuhnrasse stammt aus dem Bergischen Land. Ihren Namen bekam sie aufgrund des Kamms der Hennen: Er ist abgeknickt und liegt daher auf dem Kopf des Huhns. Es gibt nur noch ein paar hundert Vertreter. Die Hennen legen 150 Eier im Jahr und damit halb so viele wie moderne Züchtungen.
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Chinesisches Maskenschwein
Das chinesische Maskenschwein ist die älteste Hausschweinrasse der Welt und stammt vermutlich direkt vom Wildschwein ab. In China ist es weit verbreitet, in Europa kommt es nur selten vor. Es hat einen fast haarlosen Körper und eine gestauchte Schnauze ("Maske"). Das Schwein ist besonders widerstandsfähig gegen Parasiten.
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Dülmener Pferde
Gutmütig, lernfreudig und ausgeglichen sind sie - trotzdem gibt es nur noch weniger als hundert. Ein einziger Bestand in Nordrhein-Westfalen rettete die Dülmener vor dem Aussterben. Die Art entstand damals unbeabsichtigt, als sich entlaufene Hauspferde mit Wildpferden paarten. Die Tiere sind gute Reit- und Kutschpferde.
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Thüringer Waldziegen
Diese Ziegenart wurde speziell für die rauen Bedingungen im deutschen Thüringer Wald gezüchtet: Den Tieren machen harte Winter und viel Regen nichts aus. Gehalten wurden sie hauptsächlich für die Landschaftspflege und für ihre Milch. Es gibt noch über tausend Tiere, der Bestand wird aber genau beobachtet.
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Ungarisches Zackelschaf
Zackelschafe sind sehr widerstandsfähig gegen Klauenerkrankungen. Ihre korkenzieherartig gedrehten Hörner können bis zu einem Meter lang werden. Sie waren weit verbreitet in Ungarn, mussten aber den Merinoschafen weichen: Deren Wolle gefiel den Bauern besser. Dabei gilt das Fleisch der Zackelschafe als besonders lecker.
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Englisches Parkrind
Weiß, mit schwarzen Ohren, Füßen und schwarzer Nase - das sind die englischen Parkrinder. Sie gilt als älteste Hausrindrasse und dient zur Fleischerzeugung. Die keltische Priesterkaste der Druiden soll sie als heilige Tiere verehrt haben. Inzwischen bemüht man sich weltweit, auch in Deutschland, um ihre Nachzucht.
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Fainting Goat - "in Ohnmacht fallende Ziege"
Diese kleine Hausziegenart aus den USA verfällt bei Gefahr in eine Schreckstarre und stürzt stocksteif zu Boden - daher der Name. Ursache für diese kuriose Eigenschaft ist eine Erbkrankheit. Die Rasse stand kurz vor dem Aussterben. Inzwischen gibt es aber viele Liebhaberzüchter und es wurde Entwarnung gegeben.
Bild: cc by sa Dave Townsend
Angorakaninchen
Bis zu zwei Kilogramm Wolle liefert ein Angorakaninchen pro Jahr. Ihre Züchter wollten eine Rasse erschaffen, die viele Haare produziert und sich gleichzeitig mästen lässt. Ursprünglich stammt die Rasse aus der Türkei, kam dann nach Europa. Inzwischen steht auch sie auf der roten Liste der Nutztierrassen.
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Seidenhuhn
Fürs Eierlegen gibt es inzwischen Hochleistungszüchtungen - aber so lustig wie dieses Seidenhuhn sehen die neuen Hühnerrassen nicht aus.
Bild: picture-alliance/ ZB
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Was kann der Verbraucher tun, wenn er nicht weiter unterstützen will, dass so viele Küken aus wirtschaftlichen Gründen getötet werden?
Im Moment gibt es flächendeckend keine Möglichkeit, diese Praxis zu unterbinden. Aber wenn Sie können, gehen Sie am besten zum Bauernhof nebenan, wo die Tiere noch auf dem Misthaufen herumlaufen. Da finden Sie noch Tiere, die so gezüchtet und gehalten werden, wie wir uns das in relativ naiver Art vorstellen.
Wie lässt sich das Problem der getöteten Küken aus Züchtersicht angehen?
Der einzige Ausweg sind Zweinutzungsrassen: Bei denen legen die Hennen Eier, und man kann gleichzeitig die männlichen Tiere mästen und deren Fleisch verwerten. So war es auch früher, vor 1950. Diese alten deutschen Rassen, die können das auch noch. Es werden derzeit auch neue Zweinutzungsrassen entwickelt. Diese Tiere können mehr als die traditionellen Rassen, aber immer noch nicht so viel, wie wenn man Eierproduktion und Fleischproduktion trennt.
Welche Auswirkungen hätten solche Zweinutzungshühner auf den Verbraucher?
Man darf sich keine Illusionen machen: Die Produkte, die daraus entstehen, sind teurer. Sowohl Menschen als auch Hühner haben nur beschränkte Kapazitäten. Wenn das Huhn 100 Prozent in die Eierproduktion steckt, dann bleibt nichts für die Fleischproduktion über. Wenn man auf etwas Legeleistung verzichtet, dann kann man mit diesen Tieren auch wieder Fleisch produzieren. Allerdings nicht in dem Maße, wie es die modernen Mastlinien machen. Da muss sich der Verbraucher einfach entscheiden, ob er zwei, drei Cent pro Ei mehr bezahlen möchte oder nicht.
Glauben Sie denn, dass sich das Konzept trotz höherer Preise am Markt durchsetzen kann?
Ich bin sehr optimistisch, dass es die Produkte dieser Tiere auf den Markt schaffen. Das sind gute Tiere, die sich auch in der Biohaltung gut machen. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Supermärkte solche Produkte im Sinne von Tierschutz und nachhaltiger Lebensmittelproduktion im Sortiment führen möchten. Dass es demnächst nur noch Produkte von Zweinutzungshühnern gibt, das glaube ich allerdings nicht - obwohl das eine schöne Vorstellung wäre.
Inga Tiemann ist wissenschaftliche Leiterin desBruno-Dürigen-Instituts in Rommerskirchen, dem wissenschaftlichen Geflügelhof des Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter. Außerdem ist sie Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Tierwissenschaften der Universität Bonn. Sie forscht an traditionellen und neuen Haushuhnrassen.