Tiktok in Deutschland und den USA auf dem Seziertisch
23. März 2023Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht erhebliche Risiken bei der Verwendung der Kurzvideo-App Tiktok. Dabei geht es sowohl um den Umfang gesammelter Daten als auch Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme. Tiktok steht zunehmend unter politischem Druck, weil die Plattform zu dem aus China stammenden Bytedance-Konzern gehört. Der Dienst ist mit mehr als einer Milliarde Nutzer weltweit die einzige auch im Westen erfolgreiche Online-Plattform, die nicht aus den USA stammt. Der Verfassungsschutz verweist auf Unklarheiten rund um die Verbindungen zu China.
"Wenn Sie sich Umfang der Daten, der Metadaten, der Inhalte bei Tiktok anschauen auf der einen Seite, und wenn Sie sich dann auch anschauen, welche Einflussmöglichkeiten staatliche Stellen auf solche Unternehmen haben, dann kann das nur Bauchschmerzen auslösen. Und die habe ich", sagte der Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes, Sinan Selen, in Berlin. "Wir sind im Ausmaß dessen, worauf staatliche Stellen, gerade in China Zugriff nehmen können, nicht klar genug - ich glaube, das ist das Kernproblem bei der ganzen Sache", fügte er hinzu. Unternehmen wie Tiktok seien nicht im Stande, sich einer solchen Einflussnahme zu entziehen.
Faeser sieht keine Grundlage für ein Verbot
In der App kann man von einem kurzen Video zum nächsten scrollen. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg ist der Algorithmus, der Clips für jeden Nutzer individuell auswählt und ständig an ihre Vorlieben anpasst. Dabei wird unter anderem berücksichtigt, ob man ein Video bis zum Schluss angeschaut oder sofort weitergeblättert hat. Am Ende hat die Software eine gute Vorstellung von den Interessen der Nutzer. Eine der Sorgen im Westen ist, dass dieser Datenschatz missbraucht werden könnte.
Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gibt es indes keine Grundlage für ein generelles Verbot der App in Deutschland, wie es in den USA im Gespräch ist. Allerdinge wies sie jüngst darauf hin, dass es sich bei Tiktok um eine Firma handele, bei der "die Daten natürlich abfließen können". Darüber müsse verstärkt aufgeklärt werden.
Tiktok-Boss Chew im US-Repräsentantenhaus "gegrillt"
Tiktok-Chef Shou Zi Chew versuchte derweil im US-Kongress, Sorgen über chinesische Spionage und Einflussnahme zu zerstreuen. Er betonte, dass alle Daten amerikanischer Nutzer auf US-Servern lagerten und der Zugang dazu strikt überwacht werde. Zudem laufe der Empfehlungs-Algorithmus von Tiktok, der die Videos für Nutzer in Amerika auswählt, beim US-Softwareriesen Oracle, der auch die Software-Codes der App-Updates prüfe. Die aktuelle App sammele keine GPS-Ortungsdaten oder biometrische Informationen. Die bisher in Singapur gespeicherten US-Daten würden derzeit gelöscht, so Chew weiter.
Die Abgeordneten im Handelsausschuss des US-Repräsentantenhauses gingen den Tiktok-Chef dennoch parteiübergreifend hart an und zeigten wenig Interesse an seinen Antworten. Die Vorsitzende Cathy McMorris Rodgers, eine Republikanerin, gab einen scharfen Ton vor: "Tiktok überwacht uns alle. Und die Kommunistische Partei Chinas kann es als Werkzeug benutzen, um Amerika als Ganzes zu manipulieren. "Dass Tiktok 150 Millionen Nutzer in den USA habe, sei ein Alarmsignal. Auch nannte McMorris Rodgers Tiktok ein "Portal für Drogenhändler". Der demokratische Vize-Ausschussvorsitzende Frank Pallone meinte, die Datenschutz-Zusicherungen in den USA seien nicht ausreichend.
Der republikanische Abgeordnete Buddy Carter sagte, Tiktok mache mit dem Algorithmus die Nutzer abhängig wie keine andere Plattform. Die chinesische Kommunistische Partei wisse das und betreibe "psychologische Kriegsführung über Tiktok, um amerikanische Kinder zu beeinflussen". Andere Ausschussmitglieder verwiesen auf Gefahren durch Mutproben, die sich auf der Plattform verbreiteten und zu Todesfällen führen könnten. Viele Abgeordnete unterbrachen Antworten von Tiktok-Chef Chew mit der Forderung nach einem "Ja" oder "Nein" zu komplexen Fragen.
Washington will Ausstieg chinesischer Anteilseigner
Tiktok weist alle Vorwürfe zurück und betont, man sehe sich nicht als Tochter eines chinesischen Unternehmens, da Bytedance zu 60 Prozent im Besitz westlicher Investoren sei und der offizielle Firmensitz auf den Cayman-Inseln in der Karibik liege. Kritiker kontern, dass die chinesischen Gründer bei einem Anteil von 20 Prozent die Kontrolle dank höherer Stimmrechte hielten und Bytedance eine große Zentrale in Peking habe. Laut Medienberichten fordert die US-Regierung einen Ausstieg chinesischer Anteilseigner.
Unter anderem in den USA, Deutschland und Großbritannien ist die App auf Dienst-Handys von Regierungsmitarbeitern verboten, auch bei der EU-Kommission. An diesem Donnerstag kam das britische Parlament dazu. Im US-Kongress ist zudem ein Gesetz in Arbeit, das Präsident Joe Biden die Vollmachten für ein komplettes Verbot der App geben könnte. Schon Bidens Vorgänger Donald Trump hatte versucht, mit einer Verbotsdrohung einen Verkauf des internationalen Geschäfts von Tiktok zu erzwingen. Er wurde jedoch von US-Gerichten gestoppt, die eine mangelhafte rechtliche Grundlage für das Vorgehen sahen.
sti/ww (afp, dpa)