TikTok-Trend "Lavender Marriage": Gegen Einsamkeit und Armut
29. September 2025
Im letzten Jahr machte auf TikTok ein kurioser Trend die Runde: Junge Menschen, hauptsächlich aus der westlichen Hemisphäre, machten gleichgesinnten Personen, die die Einsamkeit satt sind und die hohen Lebenskosten nicht mehr allein schultern können, einen Heiratsantrag. Liebe und/oder Sex? Nicht unbedingt notwendig.
Und so tauchte der Begriff "Lavender Marriage", "Lavendel-Ehe" aus der Versenkung auf und löste Diskussionen über die Ursprünge solcher Vernunftehen aus - und darüber, ob diese einstige Überlebensstrategie heimlicher Beziehungen im digitalen Zeitalter neu genutzt werden könnte.
Getarnt als heterosexuelles Paar
Der Begriff "Lavendel-Ehe" wurde ursprünglich Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt und gewann vor allem in Hollywood an Bedeutung, wo das makellose Image an erster Stelle stand und ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität das Karriereende bedeuten konnte. Die Verbindungen zwischen einem Mann und einer Frau - wobei entweder einer oder beide Partner homosexuell waren -, boten eine Tarnung, die es Stars und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ermöglichte, ihren Ruf zu wahren und ihre wahre sexuelle Orientierung zu verbergen.
Diese Partnerschaften waren Arrangements, die von Studios oder Agenten inszeniert wurden - in einer Zeit, in der Homosexualität unter Strafe stand oder verpönt war. Bekanntestes Beispiel ist Rock Hudson, eine Ikone des Goldenen Zeitalters Hollywoods.
Er ging eine Scheinehe mit Phyllis Gates, der Sekretärin seines Agenten Henry Willson, ein. So hoffte er, die Versuche der Boulevardpresse, ihn zu outen, zu vereiteln. Sein ganzes Leben verbrachte Hudson damit, seine wahre sexuelle Identität zu verbergen - zu groß war die Angst, sonst von Hollywood geschasst zu werden. Hudson starb 1985 an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung.
Warum Lavendel?
Sowohl der Begriff als auch die Farbe Lavendel begleitet seit langem die Geschichte der LGBTQ+-Bewegung. Die antike griechische Dichterin Sappho schrieb leidenschaftlich über die zarte Schönheit von Frauen und erwähnte dabei "Kränze, Girlanden oder Diademe aus Veilchen, die auf den 'schlanken Hals' eines Mädchens gelegt werden". Obwohl die sexuellen Identitäten, die wir heute kennen, zu ihrer Zeit noch nicht benannt waren, leiten sich die Begriffe "sapphisch" (veraltet) und "lesbisch" von Sapphos Namen und ihrer Heimatinsel Lesbos ab.
Jahrhunderte später beschrieb der irische Autor Oscar Wilde seine gleichgeschlechtlichen Beziehungen als "violette Stunden", die ihm Freude in "dem grauen, sich langsam bewegenden Ding, das wir Zeit nennen" bereiteten. Im 20. Jahrhundert wurde die Farbe Lavendel mit schwulen Männern und lesbischen Frauen in Verbindung gebracht - meist im diffamierenden Sinne.
In den 1950er-Jahren ging in den USA die "Lavender Scare" um, die "Lila Angst": Politiker wie Senator Joseph McCarthy assoziierten Homosexualität ausdrücklich mit Subversion und Illoyalität, was zur Entlassung oder zum erzwungenen Rücktritt schwuler Beamter führte. Dies wiederum befeuerte die LGBTQ+-Rechtebewegung, die Lavendel zur Farbe der Solidarität und des Protests erklärte.
Neuinterpretation auf TikTok
Im digitalen Zeitalter wird die Lavendel-Ehe von der Generation Z auf TikTok neu definiert - manchmal ernsthaft, manchmal spielerisch. In Videos mit dem Hashtag #lavendermarriage präsentieren sich User als potenzielle Partnerinnen und Partner, beklagen das Chaos beim Dating und malen sich ein platonisches Familienglück aus.
Der queere TikToker Robbie Scott war im September 2024 einer der ersten, der erklärte, dass Bewerbungen für potenzielle Lavendel-Ehepartner möglich seien. "Ich kann dein Ehemann sein, ich kann deine Ehefrau sein, ich kann dein Hund sein, ich kann alles sein, was du verdammt noch mal willst", propagierte er in dem Video. "Du musst mich nur heiraten, damit ich mir eine Hypothek, Nebenkosten und Steuern leisten kann, das ist alles. Du kannst rummachen, mit wem auch immer du willst, wann immer du willst. Ich ermutige dich sogar dazu."
Mit Romantik bezahlt man keine Rechnungen
Auch wenn der Trend auf TikTok ironische Untertöne hat, spiegelt er doch tiefgreifende Veränderungen darüber wider, wie Menschen Beziehungen sehen. Bei einer Ehe muss es nicht immer um romantische Liebe gehen. Für manche ist sie ein rechtlicher Vertrag, der konkrete Vorteile bietet - Steuererleichterungen, Krankenversicherung, Einwanderungserlaubnis oder gemeinsame Elternrechte.
Das unterscheidet sich nicht wesentlich von den arrangierten Ehen, die früher in europäischen Königshäusern üblich waren - und die in einigen Gesellschaften noch immer die Norm sind. In Ländern, in denen die Kosten für Gesundheitsversorgung und Wohnraum steigen, kann die Heirat mit einem vertrauten Freund Stabilität bieten. Für andere geht es darum, emotionale Sicherheit über romantische Unbeständigkeit zu stellen und eine partnerschaftliche Beziehung aufzubauen, die auf gegenseitigem Respekt und gemeinsamen Werten und Zielen basiert. Und eben nicht auf romantischer oder sexueller Kompatibilität.
Arrangements zum Schutz
Lavendel-Ehen in ihrer ursprünglichen Form gibt es allerdings jenseits des TikTok-Trends weiterhin: als Schutz für Menschen in Gesellschaften, in denen LGBTQ+-Lebensweisen immer noch kriminalisiert oder tabuisiert sind.
In China beispielsweise ermöglicht "Xinghun" (etwa "kooperative Ehe") LGBTQ+-Partnern, sich auf Lebensarrangements zu einigen, die den familiären oder gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen. Im weiteren Sinne können Lavendel-Ehen auch Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz oder Gewalt im Allgemeinen bieten.
Kritische Stimmen monieren, dass TikToks breitere Aneignung des Begriffs als "platonische rechtliche Vereinbarung mit Vorteilen" die Unterdrückung, der queere Menschen ausgesetzt sind, beschönigt. "Das ursprüngliche Konzept einer Lavendel-Ehe ist eng mit der Geschichte queerer Menschen und den Kämpfen verbunden, denen LGBTQIA+-Personen bei der Bewältigung unterdrückender gesellschaftlicher Strukturen ausgesetzt waren", erklärte die Soziologin Jennifer Gunsaullus gegenüber der Zeitschrift "Cosmopolitan". "Eine Umdeutung ohne Anerkennung dieser Geschichte kann die sehr realen und oft schmerzhaften Gründe, aus denen diese Ehen geschlossen wurden, ausblenden."
Experten warnen auch vor emotionalen Belastungen. Ein Leben in einer Ehe, in der man sein wahres Ich verbirgt - sei es aus Schutzgründen oder aus Bequemlichkeit - kann dennoch zu Einsamkeit, Ressentiments oder Identitätskonflikten führen. Selbst in platonischen Vereinbarungen müssen die Erwartungen klar definiert sein, um Missverständnisse zu vermeiden.
Liebe durch die lavendelfarbene Brille?
Die "Lavendel-Ehe" ist nur eins von mehreren Modellen in der Geschichte der Beziehungsformen. So gab es beispielsweise um die Wende zum 20. Jahrhundert die "Bostoner Ehe": Sie bezeichnete vor allem im englischsprachigen Raum zwei Frauen, die unabhängig von der finanziellen Unterstützung eines Mannes zusammenlebten. Als Ausdruck eines umfassenden kulturellen Wandels, nämlich der bewussten Entkopplung von Ehe und Romantik, wirft #lavendermarriage folgende Fragen auf: Was bedeutet es, mit jemandem ein Leben aufzubauen? Und wer entscheidet, wie Liebe, Partnerschaft oder Ehe aussehen sollten?
Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords