1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

TikTok wie Heroin? Macht Social Media Jugendliche süchtig?

2. Oktober 2025

CDU-Fraktionschef Jens Spahn erwägt ein Social Media-Verbot für unter 16-Jährige, weil Apps wie TikTok und Instagram im Gehirn wirken wie Drogen. Doch stimmt das wirklich? Aktuelle Studien liefern spannende Antworten.

Junge mit Smartphone nachts im Bett unter Decke
Soziale Medien haben einen enormen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Aber hilft ein pauschales Nutzungsverbot unter 16 Jahren? Bild: Ilja Enger-Tsizikov/Zoonar/picture alliance

Der CDU-Politiker Jens Spahn vergleicht die Wirkung von Instagram und TikTok auf das Gehirn mit der von Heroin – und fordert ein Verbot für die Nutzung sozialer Medien für Kinder unter 16 Jahren. Sind solche Aussagen politisches Kalkül oder von der Wissenschaft gedeckt? Ein Blick in die Studienlage zeigt durchaus Parallelen zwischen intensiver Social Media-Nutzung und Drogenkonsum – und liefert der Debatte um ein Verbot neue Brisanz.

In einem aktuellen Diskussionspapier weist die Deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina darauf hin, dass ein signifikanter Anteil der Jugendlichen in Deutschland ein suchtartiges Nutzungsverhalten zeigt – mit Anzeichen von Kontrollverlust, Vernachlässigung anderer Aktivitäten und messbaren psychischen Belastungen wie Angststörungen und Depressionen.

Hirnveränderungen: Warum Social Media nicht gleich Heroin ist

Medizinisch jedoch ist eine Social-Media-Sucht bisher nicht als offizielle Diagnose anerkannt. Denn die wissenschaftliche Studienlage zu Hirnveränderungen, die kausal - also ursächlich - mit der Nutzung sozialer Medien zusammenhängt, ist trotz wachsender Evidenz nach wie vor begrenzt. 

Der Psychologe und Suchtexperte Prof. Dr. Christian Montag, ehemaliger Leiter der Molekularen Psychologie an der Universität Ulm und Distinguished Professor in Macau mahnt zur Differenzierung: "Die Social Media-Sucht als medizinisch anerkannte Diagnose gibt es noch nicht. Noch fehlen umfassende bildgebende Studien, die echte Analogien zu einer Heroinabhängigkeit belegen. Ein direkter Vergleich mit der Droge Heroin schafft eher moralische Panik, als dass er der komplexen Problematik gerecht wird." 

"Tatsächlich besteht die Gefahr, dass diagnostische Kriterien aus dem Bereich der substanzgebundenen Suchterkrankungen zu einer Pathologisierung von Alltagshandlungen führen, weil Social Media inzwischen so alltäglich ist. Es braucht daher klare und spezifische Kriterien, die schädliches Verhalten wirklich von normalem Onlinekonsum unterscheiden", so Montag.

Was spricht gegen ein striktes Verbot von TikTok & Co.?

Wenn normale Handygewohnheiten von Jugendlichen vorschnell zur Sucht erklärt also "pathologisiert" werden, wie Suchtexperte Montag sagt, dann müsste dies eigentlich auch für Erwachsene gelten – schließlich verbringen auch viele Erwachsene täglich sehr viel Zeit am Smartphone. Ein Verbot würde damit Probleme eher verdecken als lösen.

Jugendlichen würde zudem die Chance entgehen, verantwortungsvoll mit digitalen Medien umzugehen, weil Medienkompetenz im Alltag nicht trainiert werden kann.


Ständig am Smartphone - bin ich süchtig?

03:09

This browser does not support the video element.

Ist das Smartphone eine Suchtmaschine im Taschenformat?

Der Heroinvergleich und die Forderung nach einem strikten Verbot mögen über das Ziel hinausschießen. Das liegt auch daran, dass es der Wissenschaft bisher nicht gelungen ist, eine Kausalität zwischen kindlicher Social Media-Nutzung und Veränderungen im Gehirn nachzuweisen. Ist die beobachtete Veränderung tatsächlich auf die sozialen Medien zurückzuführen oder hat sie andere Ursachen? Der sozioökonomische Status, das familiäres Umfeld, bestehende psychische Auffälligkeiten, Schlafmangel, Bewegungsmangel und individuelle Persönlichkeitsmerkmale können Störfaktoren (Konfundierungen) sein und zu fehlerhaften Rückschlüssen führen. 

Viele Erhebungen zur Nutzung sozialer Medien basieren auf Selbstauskünften der Kinder und Eltern, denen Fehler, Verzerrungen und Gedächtnisprobleme anhaften. Imaging-Studien, in denen bildgebende Verfahren wie MRTs genutzt werden, sind meist ebenfalls korrelativ und können nicht sicherstellen, dass die gemessenen Hirnveränderungen wirklich durch Medienkonsum verursacht werden. 

Doch nur weil der kausale Zusammenhang noch nicht abschließend bewiesen werden konnte, heißt das nicht, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt. Es weisen bereits einige Studien darauf hin, dass Social Media das Gehirn von Jugendlichen ähnlich wie Drogen beeinflussen kann: Bei intensiver Nutzung wird der Bereich im Gehirn aktiviert, der für Glücksgefühle und Belohnungen zuständig ist – das sogenannte Dopaminsystem. Vor allem werden wichtige Hirnbereiche wie das Striatum, die Amygdala, die Insula und der vordere cinguläre Cortex verändert – dort, wo auch bei Drogenabhängigkeit Auffälligkeiten zu finden sind.

Besonders gefährdet sind Jugendliche mit Aufmerksamkeitsproblemen wie ADHS. Intensive Nutzung sozialer Medien kann ihre Probleme noch verschärfen.

Veränderungen in bestimmten Hirnregionen konnten auch zum Teil mittels MRT-Untersuchungen (Magnetresonanztomographie) nachgewiesen werden - vor allem schrumpft das Volumen der grauen Substanz in Bereichen, die wichtig für Kontrolle und Gefühle sind. Ähnliche Veränderungen finden sich auch bei Menschen, die abhängig von Drogen wie Heroin sind.

Psychische Folgen: Kontrollverlust wie bei Drogenabhängigkeit

Zudem zeigen sich in Studien zum Teil suchtähnliche Prozesse bei Jugendlichen mit ständiger Social-Media-Nutzung. Auf Dauer spürten sie immer weniger "Glücksgefühle" bei neuen Likes oder Nachrichten. Das Gehirn stumpft ab und verlangt nach immer mehr Reizen, wie es typisch für Sucht ist.

Suchtexperte Prof. Dr. Christian Montag bestätigt den starken Sog von Social Media auf das jugendliche Gehirn: "Social-Media-Applikationen entfalten zweifelsohne einen starken Sog für sehr junge Nutzende. Likes, Kommentare und algorithmische Belohnungen lösen bei Jugendlichen suchtfördernde Prozesse aus – verstärkt durch die noch nicht ausgereifte Selbstregulation."

Wer ständig Social Media nutzt, kann die Kontrolle verlieren, immer neuen Inhalten nachjagen und andere Dinge im Alltag vernachlässigen. Wenn das Handy weg ist, entsteht oft Unruhe oder sogar Panik – wie bei einer Entzugserscheinung. Die Folgen können Schlafprobleme, aber auch Ängste und Depressionen sein.

Faktencheck: Wie erkenne ich Fake News?

04:16

This browser does not support the video element.

Politik im Dilemma: Sucht vs. Freiheit?

Die von CDU-Fraktionschef Spahn angestoßene Diskussion ist damit auf wissenschaftlicher Basis durchaus berechtigt und hochaktuell. Aber ob ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige der richtige Weg ist, bleibt eine gesellschaftspolitische Frage, die weiterhin kontrovers diskutiert werden muss.

Der Blick auf die rechtliche Situation zeigt: Ein Verbot ist politisch wie juristisch derzeit kaum umsetzbar. Der Digital Services Act der EU schränkt nationale Alleingänge massiv ein – ein Social Media-Verbot für Jugendliche würde Grundrechte beschneiden und ist weder technisch zu kontrollieren noch pädagogisch zu rechtfertigen.

Auch die Leopoldina lehnt ein generelles Verbot sozialer Medien für unter 16-Jährige ab. Stattdessen spricht sich die deutsche Wissenschaftsakademie für ein Vorsorgeprinzip aus, das Prävention und Schutzmaßnahmen fordert, solange wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen. Konkret empfiehlt die Akademie eine stärkere digitale Altersverifikation, altersabhängige Einschränkungen und eine elterliche Begleitung bis mindestens 15 Jahre. Außerdem plädiert sie für eine bessere medienpädagogische Bildung und die gezielte Förderung digitaler Kompetenzen in Schule und Gesellschaft.

Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit