Für 3,2 Millionen Euro wurde das Blatt versteigert. Es gilt als Rarität im Werk von Comic-Zeichner Hergé. Es war ein Geschenk und wurde nie veröffentlicht.
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Jean-Paul Casterman war sieben Jahre alt, als er ein Blatt Papier mit einer Zeichnung geschenkt bekam. Für den kleinen Jungen war es nicht weiter von Nutzen. Er faltete es und verstaute es für Jahrzehnte in der Schublade. Der Schenker war kein geringerer als der Künstler Hergé, der eigentlich Georges Remi hieß. Der Belgier wurde von Jean-Pauls Vater Louis Casterman im gleichnamigen Verlag vertreten. Dass es sich bei diesem kleinen Aquarell, in dem sich Tim und Struppi vor einem Drachen in einer gigantischen chinesischen Vase verstecken, Jahrzehnte später um einen millionenschweren Schatz handeln würde, war wohl keinem der Beteiligten klar. Es handelt sich um die erste Version des Umschlagbildes von "Der Blaue Lotos". Sie war dem Verleger für die Reproduktion zu aufwendig, deshalb wurde sie verworfen und landete im Kinderzimmer. Am 14. Januar ging dieses 34 x 34 Zentimeter große Blatt mit einem Schätzpreis von zwei bis drei Millionen Euro in die Auktion in Paris, der Erlös lag am Ende nach einer Bieterschlacht sogar noch höher. 3,2 Millionen Euro: Das ist der höchste Preis, der bei einer Versteigerung je für ein Werk von Hergé bezahlt wurde. Gleichzeitig ist es auch ein Rekord für ein Original-Comic-Werk bei einer Auktion. Der Name des privaten Käufers wurde nicht bekanntgegeben.
Tim & Struppi in China
Hergé (1907-1983) ist der geistige Vater der Reihe "Les Aventures de Tintin" (auf Deutsch: "Tim und Struppi"). Die Comics erzählen von den Abenteuern eines jungen Reporters namens Tintin und seines treuen Hundes. Ihr Schöpfer Hergé war ein Perfektionist und ein Visionär. Der Band von 1936 der Tintin-Serie hat einen besonderen Stellenwert im künstlerischen Kosmos Hergés. Es markiert eine Öffnung hin zu fremden Kulturen. In diesem Fall der chinesischen. Im Gegensatz zu den vier vorangegangenen Alben sei Hergé bei der Erstellung von "Le Lotus bleu" darauf bedacht gewesen, sich über die Kultur und Geschichte des Landes zu informieren, um einen größeren Sinn für Realismus zu schaffen, sagt Eric Leroy, Comic-Experte beim Auktionshaus Artcurial in Paris im DW-Interview. "Farbstark fesselt uns der Blickkontakt zwischen Tim und dem Drachen. Und auch Struppi ist im Bild zu sehen. Hergé wollte uns die geheimnisvolle Seite der Handlung spüren lassen, die durch China als kulturelle Rahmenhandlung bestimmt wird."
"Tim und Struppi"-Zeichnung für 500.000 Euro versteigert
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"Le Lotus bleu": ein bahnbrechendes Werk
Dieses Werk sei ein ikonisches Bild des Comics, "eines der berühmtesten des 20. Jahrhunderts", so Leroy. Artcurial, das Auktionshaus des Comic-Experten, versteigerte bereits zum zweiten Mal ein Werk aus dem Tintin-Universum. Hergés Titelblatt von "Tim und Struppi in Amerika" (1932) kam 2012 für 1,2 Millionen Euro unter den Hammer. Damals eine Rekordsumme für einen frankophonen Comic-Künstler. Doch schon wenige Jahre später, im Sommer 2020, erzielten weitere Hergé-Titelblätter Höchstpreise.
Wo viel Geld im Spiel ist, entstehen Begehrlichkeiten und Streit. So behauptet Hergés Witwe, dass ihr damaliger Ehemann das kostbare Bild, das jetzt unter den Hammer kam, auf keinen Fall verschenkt habe. Deshalb forderte sie die Familie Casterman dazu auf, ihr das Blatt zurückzugeben. "Die Verkäufer sind die rechtmäßigen Eigentümer des Werkes. Sie sind die Erben von Jean-Paul Casterman", wiegelte Leroy ab. Bei den Besitzansprüchen der Witwe handele es sich um bloße Behauptungen, die jeder Rechtsgrundlage entbehren.
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Rekordergebnisse für Comic-Kunst
Die Künstler der Comic- und auch der Fantasy Art haben es schon lange aus der Unterhaltungsecke heraus geschafft. Ihre Originale erzielen inzwischen genauso hohe Auktionserlöse wie die gefragter Maler oder Bildhauer. So werden Originalvorlagen für Cover der Fantasy-Hefte eines Künstlers wie Frank Frazetta neuerdings auch für mehrere Millionen Dollar gehandelt. 2019 wechselte ein Umschlagbild, das eine ägyptische Königin zeigt, für diese Summe in einer Auktion in Chicago den Besitzer. "Das Interesse der Käufer hängt von der Qualität der Stücke ab. Der Markt ist stark, besonders für immer seltenere Exemplare", erklärt Comic-Experte Leroy die Entwicklung.
Hergé - Comiczeichner, Maler und Kunstsammler
Eine Retrospektive im Grand Palais zeigt vom 28. September bis 15. Januar 2017 die ganze Bandbreite des belgischen Künstlers Hergé. Mit insgesamt 450 Ausstellungsstücken von Zeichnungen, über Bilder bis Werbeplakate.
Bild: Vagn Hansen - collection Studios Hergé
Vater der "Neunten Kunst"
Brüssel gilt als die Hauptstadt des Comics. Zu verdanken ist das der Pionierarbeit von Georges Rémi, besser bekannt als Hergé. Das Pariser Grand Palais zeigt nun eine große Retrospektive über den Erfinder des berühmten Comics "Tim und Struppi".
Bild: picture-alliance/dpa/ C. Petit Tesson
"Tim und Struppi" - ein weltweiter Renner
Für die Erfindung des beliebten Comics "Tim und Struppi" ist Hergé wohl am besten bekannt. Insgesamt 24 Abenteuer schuf er um den Reporter Tim und erlangte mit den Geschichten große Beliebtheit in allen Altersgruppen. Und das weltweit: In 110 Sprachen und Dialekte wurden die Comics übersetzt und mehr als 250 Millionen Bücher verkauft.
Bild: picture-alliance/dpa/ C. Petit Tesson
Von Georges Rémi zu Hergé
1924 begann Georges Prosper Rémi seine Illustrationen mit Hergé zu signieren, der phonetischen Transkription seiner Initialen "RG". Vier Jahre später wurde Hergé Herausgeber der Zeitung "Petit Vingtième", einer Beilage der belgischen katholischen Zeitung "Vingtième Siècle". In dieser erschienen die Abenteuer von "Tim und Struppi" zuerst, nämlich als wöchentliche Fortsetzungsreihe.
Bild: picture-alliance/dpa/ C. Petit Tesson
Die erste Ausgabe: "Tim im Lande der Sowjets"
Das erste Comicalbum von "Tim und Struppi" nannte sich "Tim im Lande der Sowjets" und erschien von 1929 bis 1930 als wöchentliche Fortsetzungsgeschichte in der Zeitschrift "Le Petit Vingtième". Die Handlung: Kommunismuskritik. Denn während Tim Nachforschungen zu Stalins bolschewistischer Regierung anstellt, ist ihm die Geheimpolizei auf den Fersen.
Bild: Hergé
Thema Kolonialismus: "Tim im Kongo"
Das zweite Abenteuer um Tim und Struppi führt Reporter Tim in den belgischen Kongo. Wie auch im Falle aller anderen frühen Arbeiten - ausgenommen "Tim im Lande der Sowjets" - erstellte Hergé im Nachhinein neue, kolorierte Zeichnungen für die Publikationen als Buch bei Casterman. Später wurde diese Ausgabe für ihre rassistischen kolonialen Ansichten allerdings kritisiert und daher überarbeitet.
Bild: Hergé
Ein einflussreicher chinesischer Freund
Während seiner Studienzeit in Brüssel traf Hergé den chinesischen Künstler Zhang Chongren. Dieser half ihm, dessen asiatische Heimat in "Der Blaue Lotus" zu beschreiben. Zu sehen ist das Cover des "Petit Vingtième", in dem die Geschichte 1934 erstmals erschien. Dank seines chinesischen Freundes ging Hergé von nun an sensibler an andere Kulturen heran.
Bild: Hergé
Selbsterfundene Mondlandung
Hergé steckte viel Zeit in die Erforschung der Raumfahrt, um sie in seinen Comics "Reiseziel Mond" und "Schritte auf dem Mond" so realistisch wie möglich darzustellen. Erschienen ist "Reiseziel Mond" 1953 - vier Jahre vor dem Start von Sputnik 1 und 16 Jahre vor der Mondlandung durch Neil Armstrong. Die Ausstellung im Grand Palais zeigt sogar ein Raketenmodell, das der Visionär Hergé schuf.
Bild: picture-alliance/dpa/ C. Petit Tesson
Karriereschatten
1940 - das Jahr, in dem die Nazis in Belgien einfallen: Die Zeitung, in der Hergé bis dato publizierte, wird aufgelöst. Der Künstler wechselt zur Zeitung "Le Soir", doch die wird von den Besatzern kontrolliert. Zwar kollaborierte Hergé nicht aktiv, doch zeigt ein Interview in der Ausstellung, wie sehr dessen passive Haltung seine "Karriere beschmutzte", so Kurator Jérôme Neutres.
Bild: picture-alliance/dpa/ C. Petit Tesson
Ein Liebhaber der Modernen Kunst
Die Ausstellung im Grand Palais beleuchtet Hergé von einer unbekannten Seite.Er war dieser nicht nicht nur Schöpfer von "Tim und Struppi", sondern auch Grafikdesigner und Maler (siehe Foto). Allerdings fühlt er sich nicht genug anerkannt, weil selbst seine Freunde ihm rieten: "Bleib bei deinen Comics." Damit habe er definitiv mehr Erfolg.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Glaubitz
Ein Warhol für Hergé
1979 beauftragte Hergé den Pop Art-Künstler Andy Warhol - selbst ein Bewunderer seines Auftraggebers - mit einer Porträtserie. Zu sehen ist sie nun im Grand Palais. Im gleichen Jahr feierten "Tim und Struppi" außerdem ihren 50. Geburtstag, wobei man ihnen das Alter nicht wirklich ansieht.
Bild: picture-alliance/dpa/ C. Petit Tesson
Eine produktive Karriere
Die Pariser Ausstellung zeigt Hergé auch als Grafikdesigner: In den 1930er Jahren schuf er Werbeplakate wie für das belgische Seebad Knocke. Einmal mehr zeugen sie von seiner vielfältigen Produktivität, die sich über unterschiedliche Kunstbereiche erstreckte. So war Hergé auch Erfinder der Figuren "Stups und Steppke" oder "Jo, Jette und Jocko". 1983 starb Hergé im Alter von 75 Jahren.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Glaubitz
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In den Museen haben diese grafisch aufwendig gestalteten Blätter eher selten einen Platz. Nick Rodwell, Direktor des Hergé-Museums in Belgien, bedauert in einem Interview mit der französischen Tageszeitung "Le Monde", dass sein Haus nun wohl leer ausgeht. "Der wahre Platz des Blatts 'Der blaue Lotos' ist das Musée Hergé", sagt Nick Rodwell. Doch öffentliche Sammlungen können bei solch astronomischen Summen nicht mithalten.