Timo Boll und "sein China"
27. Oktober 2011DW-WORLD.DE: Wie ist die Idee entstanden, dieses Buch zu schreiben?
Timo Boll: Die Idee kam ursprünglich von einer Verlagsmitarbeiterin, die sehr tischtennisbegeistert ist und unbedingt ein Tischtennisbuch publizieren wollte. Ich war zuerst ein bisschen skeptisch. Gerade Autobiographien sind im jungen Alter, vor allem wenn man noch aktiv ist und vieles vorhat, problematisch. Anfangs dachte ich: Das ist nicht das Richtige für mich. Aber das Konzept hat mich schließlich überzeugt. Es handelt sich um eine Art Reisebericht mit Erfahrungen, die ich in China gemacht habe. Deshalb der Titel "Mein China". In diesem Buch findet man auch eine Gegenüberstellung von meinem Leben in Deutschland und dem in China, wo Tischtennis richtig populär ist. Das macht, glaube ich, die Spannung des Buchs aus.
Wie lange haben Sie an diesem Buch gearbeitet?
Mein Autor Friedhard Teuffel und ich haben fast ein Jahr an dem Buch gearbeitet. Außerdem haben wir eine gemeinsame Reise nach China unternommen. Das hat wirklich Spaß gemacht. Ich hätte nie gedacht, dass man eine nette Story über mich schreiben kann, und dass ich so viel von mir preisgeben würde. Wir sind da sehr tief in die Materie eingedrungen, zum Beispiel über die Psychologie des Sports. Was geht in einem von Ballwechsel zu Ballwechsel vor? Es ist für mich sehr spannend, mehr über mich selbst zu erfahren, weil ich mir sonst nicht so viele Gedanken über mich mache.
Sie haben in Ihrem Buch über den Besuch einer Shichahai-Elitesportschule in der chinesischen Hauptstadt Peking berichtet. Was ist für Sie der entscheidende Unterschied bei der Nachwuchsausbildung zwischen Deutschland und China?
Das war eine interessante Erfahrung. Ich habe Disziplin erwartet. Und meine Erwartung wurde bestätigt. Die Kinder haben genau getan, was der Trainer vorgegeben hat. Sie haben sehr hart an sich gearbeitet. Aber ich habe auch sehr viel Spielfreude erkannt, sogar richtigen Spielwitz. Die eine Seite ist Drill und Disziplin, durch die man vieles erreichen kann. Aber man braucht auch viel Kreativität in unserem Sport. Die habe ich auch gesehen. Das war mir sehr wichtig. Auch ich muss sehr hart an mir arbeiten. Das ist allerdings wesentlich später passiert als in China. Ich habe mit 16 Jahren meine Profikarriere begonnen. In China fangen die Kinder mit acht oder neun Jahren an. Sie trainieren zwei- bis dreimal am Tag. Da wird sehr gezielt gearbeitet. Das ist für uns Europäer kaum aufzuholen.
Finden Sie es schade, nicht in China geboren zu sein?
Mit dieser Frage haben wir uns in dem Buch auch beschäftigt. Einerseits weiß ich nicht, ob ich damit klargekommen wäre. Denn ich war als Schüler sehr bequem. Das hätte im chinesischen Tischtennissystem wahrscheinlich nicht richtig funktioniert. Andererseits hätte ich vielleicht noch andere Möglichkeiten gehabt. Ich hätte mich noch besser entwickelt, wäre noch stärker geworden. Aber das wissen wir eben nicht. Ich bin letztlich ganz froh, wie es bei mir gelaufen ist. Ich bin trotzdem ein guter Gegner für die Chinesen.
Wie kommen Sie mit diesem Ruhm in China zurecht? Sie sind in China ein absoluter Superstar. In Deutschland ist Tischtennis allerdings eher eine Randsportart.
Es entspricht eigentlich nicht meinem Naturell, in der Öffentlichkeit zu stehen. Es ist natürlich schön, Anerkennung zu bekommen, diese Euphorie zu spüren. Das freut einen, wenn der eigene Sport so populär ist. Dort wird Tischtennis oft im Fernsehen gezeigt. Das fehlt hier in Deutschland ein bisschen. Aber auch hier bin ich populärer geworden, werde ab und zu auf der Straße erkannt. Ich versuche, möglichst erfolgreich zu spielen, um meine Sportart noch bekannter zu machen.
Wie populär ist Tischtennis in Deutschland?
Es ist durchaus populär, weil jeder etwas mit Tischtennis anfangen kann. Jeder hat schon mal Tischtennis gespielt, sei es auf dem Schulhof, im Schwimmbad, beim Rundlauf. Den meisten macht es auch Spaß, aber es findet eben nicht so oft im Fernsehen statt wie in China. Gerade in den Medien besteht in Deutschland noch Verbesserungsbedarf.
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Kann man in Deutschland gut vom Tischtennis leben, wenn man nicht gerade Timo Boll ist?
Es gibt in Deutschland 12 bis 15 Profispieler, die vom Tischtennis leben können. Aber natürlich können sie sich nicht mit Fußballstars messen. Fußballspieler, die in der zweiten, dritten Bundesliga spielen, verdienen in Deutschland auch gutes Geld. Im Tischtennis muss man wirklich Elite sein, um davon leben zu können.
Es gab und gibt immer wieder Vorschläge, Tischtennis aus den Olympischen Spielen zu streichen. China dominiert diese Sportart seit Jahrzehnten. Es ist fast langweilig, denn jedes Mal stehen drei Chinesen auf dem Treppchen. Sie sind sicherlich gegen solche Vorschläge. Aber können Sie diese verstehen?
Es gibt sehr wenige Sportarten, die von einer Nation so dominiert werden wie Tischtennis. Es wäre auch sehr schade für die chinesische Bevölkerung, wenn ihr Nationalsport keine olympische Disziplin mehr wäre. Man hat ja mittlerweile Konsequenzen gezogen: Es dürfen nur noch zwei Spieler pro Nation teilnehmen. Das heißt, eine Medaille geht auf jeden Fall an einen Nicht-Chinesen. Ich hoffe, diese geht dann an mich.
Haben Sie nach all den Jahren das Erfolgsgeheimnis der Chinesen herausgefunden? Wieso sind Chinesen fast unschlagbar im Tischtennis?
Das ist kein großes Geheimnis. Es ist das perfekte Sportsystem. Die Kinder spielen schon in der Schule und die größten Talente werden sehr früh entdeckt. Dann kommt die nächste Stufe: das Regionalzentrum. Dort haben sie sehr gute Trainingspartner und Trainer. Mit acht oder neun Jahren sind sie schon fast Profis. Dazu noch das Knowhow, das die Chinesen haben. Das macht sie fast unschlagbar.
Was ist Ihr nächstes sportliches Ziel?
Im kommenden Jahr gibt es zwei herausragende Veranstaltungen. Zum einen die Mannschaftsmeisterschaft im eigenen Land, in Dortmund. Da träumen wir natürlich von einem Finale Deutschland gegen China, wie bei den Olympischen Spielen. Das wäre auch ganz ganz wichtig für den Tischtennissport in Deutschland, denn man könnte ein bisschen Euphorie auslösen. Zum anderen natürlich die Olympischen Sommerspiele in London 2012. Die sind für jeden Sportler das Highlight schlechthin.
Ich habe im Vorfeld unseres Interviews auf Facebook und Weibo (chinesischem Twitter) die User von DW-WORLD.DE/Chinese gefragt, ob sie Fragen an Sie hätten. Ich könnte diese dann weiterleiten. Nun habe ich ein paar Fragen von den Usern vorbereitet und möchte sie Ihnen jetzt stellen.
Okay.
Ein Leser von DW-WORLD.DE fragt: Sie haben schon gegen so viele chinesische Tischtennissportler gespielt. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Das ist eine schwierige Frage. Es gibt so viele verschiedene Spieler. Ich habe bei vielen etwas abgeguckt. Zwischen 2000 und 2005 war Wang Liqin mein großes Idol. Er hat den Welttischtennis sehr geprägt, mit seiner Athletik und seiner Spielweise. Das hat mich fasziniert. Aber auch Kong Linghui und Ma Lin habe ich sehr respektiert. Ich habe die Technik der Chinesen zum Teil kopiert. Aber ich denke, ich habe auch einiges in den Sport eingebracht, das von den Chinesen übernommen wurde.
Der Nutzer "dominodeus" fragt, wann Sie in Rente gehen möchten? Ob Sie in Rente noch weiterhin etwas mit Tischtennis zu tun haben möchten?
Wann geht man denn in Deutschland in Rente? Mit 67, oder? Dann gehe ich mit 67 Jahren in Rente. (lacht) Nein. Ich habe noch ein paar Jahre, um auf höchstem Niveau zu spielen. Solange es geht, solange ich gesund bin, solange ich Spaß dran habe, bleibe ich dabei. Unabhängig davon, ob ich weiterhin erfolgreich bin.
Der andere Nutzer "xinuer" fragt, was waren Ihre ersten Eindrücke von China? Wie sind Ihre Eindrücke heute?
Ich war 1997 zum ersten Mal in China. Es war für mich natürlich eine fremde Welt. In meiner Heimatstadt Odenwald gibt es 9000 Einwohner. Da ist nicht so viel passiert, sage ich mal. Das war für mich erst mal ein großer Kulturschock. Und damals sah man in China noch viel Armut auf der Straße. Da merkte ich erst, wie gut ich es hier in Deutschland hatte. Ich habe es sehr aufregend gefunden, die Kultur kennenzulernen. Im Laufe der Jahre habe ich auch immer mehr die Menschen kennen und schätzen gelernt.
Im Gegensatz zu damals hat sich China wahnsinnig verändert. Man sieht nicht mehr so viel Armut auf der Straße, nicht mehr so offensichtlich zumindest. Viele Probleme wurden in so kurzer Zeit gelöst. Das kann, glaube ich, nur China schaffen. Von daher habe ich nicht so eine kritische Sicht auf China, wie viele andere Deutsche, die das System immer kritisieren. Ich sehe das ein bisschen von Innen heraus. Chinesen sind ein sehr gastfreundliches, warmherziges Volk. Ich habe viele Freunde in China gefunden.
"fengshangjia" fragt, ob Sie Chen Guangcheng kennen?
Nein, wer ist das?
Das ist ein chinesischer Menschenrechtsanwalt. Sie haben vorhin auch davon gesprochen, dass die Berichterstattung über China in der westlichen Presse sehr kritisch ist...
Ich meine, es wird viel über das System berichtet, aber wenig über die Menschen. Das ist schade. Denn die Deutschen bekommen so einen schlechten Eindruck von den Chinesen...
Zu Unrecht?
Den Menschen gegenüber zu Unrecht natürlich! Das Land hat ohne Frage noch seine Probleme. Aber ich glaube schon, dass China auf dem richtigen Weg ist, die Probleme zu lösen. Das haben sie zum Teil schon erreicht. Das werden sie auch weiterhin tun. Davon bin ich fest überzeugt.
Ist China für Sie eine zweite Heimat geworden? Oder nur ein netter Standort, um gutes Geld zu verdienen?, fragt "fantuanjun_TIM".
Wenn man schon so oft in China war wie ich, dann ist China sicherlich eine zweite Heimat geworden. Ich lerne nicht umsonst Chinesisch. Ich möchte mich mit den Menschen unterhalten können, vielleicht die Sprache für mein spätes Berufsleben nutzen.
Chinesisch ist ein gutes Stichwort. "Bettina_BeiBei" fragt, wie gut ist Ihr Chinesisch heute?
Für eine richtige Unterhaltung reicht es leider noch nicht. Ich habe dieses Jahr angefangen, Chinesisch zu lernen. Es macht mir Spaß. Ich bleibe auch dran. Aber leider habe ich nicht so viel Zeit, regelmäßig zu üben. Aber es genügt schon, um eine Peking-Ente im Restaurant zu bestellen.
Die letzte Frage ist auch von einem User. Er schrieb, er habe keine Frage, sondern viele Wünsche und Grüße. Dem schließe ich mich an und sage vielen Dank für dieses Gespräch!
Ich danke Ihnen auch.
Das Interview führte Xiegong Fischer/re
Redaktion: Gui Hao