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Politik

Drama um afghanische Migranten im Iran

Reza Shirmohammadi
6. Mai 2020

Iranische Grenzsoldaten sollen illegale Migranten aus Afghanistan beim versuchten Grenzübertritt getötet haben. Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf die schwere Lage der afghanischen Wanderarbeiter.

Bildergalerie Iran Herat UGC Einschränkung
Hari Rud - Grenzfluss zwischen dem Iran und AfghanistanBild: Masuma Razayi

Der 17-jährige Naeem hat es überlebt. Als Tagelöhner wollte er vergangene Woche nach einem Besuch zu Hause in den Iran zurück zur Arbeit. Zu Fuß und illegal über den Grenzfluss Hari Rud am Dreiländer-Eck von Iran, Afghanistan und Turkmenistan. Aber der versuchte Grenzübertritt endete tragisch.

"Iranische Grenzsoldaten haben uns erwischt", berichtet Naeem im Gespräch mit DW. "Sie haben uns geschlagen, mit den Waffen, die sie in der Hand hatten. Wir waren eine Gruppe von Männern. Die Soldaten haben uns in den Fluss getrieben. Wir mussten zurück nach Afghanistan schwimmen. Viele haben es nicht geschafft."

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12:00

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Ins reißende Wasser getrieben

Wie viele Migranten sie genau waren, weiß Naeem nicht. Das Frühjahrshochwasser des Hari Rud soll viele mitgerissen haben. In Videos, die seit Freitag  in sozialen Netzwerken kursieren, sieht man am Flussufer auf der afghanischen Seite mehrere Leichen junger Männer - und auch die eines Kindes. "Es gab auch ein paar Jugendliche unter uns, zwischen 12 und 17 Jahren alt," sagt Naeem.

Zwölf Migranten hätten sich retten können, sagte das Mitglied des Rates der Provinz Herat, Ahmad Karochi am Sonntag. Sieben Leichen seien aus dem Fluss geborgen worden, von den anderen gebe es keine Spur. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von höheren Opferzahlen: Laut einer Untersuchung des afghanischen Außenministeriums seien 70 Afghanen geschlagen und ins Wasser zurückgetrieben worden. Es seien bereits zwölf Leichen geborgen worden.

Afghanische Rückkehrer aus dem Iran in der Provinz HeratBild: picture-alliance/AP Photo/H. Sarfarazi

Iran bedauert Vorfall

Der Iran wies die Vorwürfe zurück. "Wir bedauern dieses Unglück zutiefst, aber der Zwischenfall ereignete sich auf afghanischem und nicht iranischem Territorium", sagte Außenamtssprecher Abbas Mussawi. Auch die iranischen Grenzsoldaten haben laut Mussawi jegliche Beteiligung an dem Unglück dementiert. Trotzdem werde Iran, zusammen mit den afghanischen Behörden, den Vorfall gründlich untersuchen, versprach Mussawi nach Angaben der Nachrichtenagentur Isna.

Das afghanische Außenministerium teilte der DW am Montag mit, man werde den Vorfall vollständig untersuchen; "notwendige" Maßnahmen würden folgen.

Naeem möchte sich bald wieder auf dem Weg machen, erneut illegal. "Die Behörden in Herat sind wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Ich kann aber nicht warten, bis ich eine legale Einreiseerlaubnis in den Iran bekomme. Ich arbeite für eine Möbelfabrik im Iran und muss wieder Geld verdienen." Naeem war vor einem Monat aus dem Iran zurückgekommen, um seine Familie zu besuchen.

Corona-Test in der afghanischen Grenzprovinz HeratBild: DW/S. Tanha Shokran

Grenzprovinz Herat Corona-Hotspot

Der Iran leidet seit Februar unter der Corona-Krise. Viele Geschäfte und Firmen haben ihre Tätigkeit reduziert und sich von Mitarbeitern getrennt. Besonders schwer ist die Situation für Tagelöhner oder illegale Arbeitskräfte, die keine Krankenversicherung besitzen. Rund 2.000 sollen täglich die iranische Grenze überquert haben, um in die afghanische Grenzprovinz Herat zu gelangen, berichtet Reuters. Es wird befürchtet, dass viele das Virus mitgebracht haben. Herat ist die am stärksten von der Corona-Epidemie betroffene Provinz in Afghanistan.

"Unsere Wirtschaft liegt am Boden. Die Arbeitslosigkeit ist stark gestiegen. Viele junge Männer denken deshalb darüber nach, wieder in den Iran zurück zu reisen", sagt Sajed Wahid Katali, Gouverneur von Herat, im Gespräch mit der DW. "Wir haben dem Iran nie vorgeworfen, für diese schwierige Situation bei uns verantwortlich zu sein. Es geht um eine Pandemie, die die ganze Welt nun im Griff hat. Ich wünsche mir nur, dass die Einwanderer und Flüchtlinge menschlicher behandelt werden."

Arbeitsuchende aus Afghanistan im Iran (Archiv)Bild: Tabnak/E. Kouchari

Iran zieht Arbeitssuchende aus Afghanistan an

Iran und Afghanistan haben eine 950 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Zwar leidet die iranische Wirtschaft seit Jahren unter den US-Sanktionen und jetzt auch unter der Corona-Pandemie. Trotzdem ist nach 40 Jahren Krieg in Afghanistan die Situation im Nachbarland Iran so attraktiv, dass sich viele zur illegalen Einreise und zur Arbeitsaufnahme im Iran entscheiden. Dabei hilft ihnen, dass die afghanische Sprache Dari und Persisch sehr ähnlich sind.

Laut Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR leben ungefähr drei Millionen Afghanen im Iran. Knapp eine Million davon ist als Flüchtlinge registriert. Rund 500.000 sind Einwanderer mit kurzfristiger Aufenthalts- und eingeschränkter Arbeitserlaubnis. Die übrigen anderthalb Millionen Flüchtlinge besitzen keinerlei Papiere; sie gelten als illegal. Viele von ihnen arbeiten als billige Arbeitskräfte auf den Baustellen oder in den Industriefirmen am Rande der Großstädte und werden wegen ihres rechtlosen Status oft rücksichtslos ausgebeutet.

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