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Tod auf der Balkanroute

Zoran Arbutina / Una Sabljaković30. April 2015

14 Flüchtlinge kamen in Mazedonien ums Leben als sie auf dem Bahndamm gen Norden unterwegs von einem Zug erfasst wurden. Griechenland und die Transitländer schauen weg, wenn Flüchtlinge ein- und ausreisen.

Griechenland Mazedonien Grenze Flüchtlinge aus Afrika
Bild: picture-alliance/AP Photo/D. Bennett

Es war dunkel, gegen 22.30 Uhr, etwa zwei Kilometer vom Bahnhof des kleinen mazedonischen Dorfes Pocinja südlich der Hauptstadt Skopje entfernt. Eine schmale Schlucht, links der Berg, rechts der Fluss Vardar. Wie jeden Tag schon seit Monaten gingen auch an diesem Donnerstag Männer, Frauen und Kinder die Schienen entlang Richtung Norden. Diesmal waren es etwa hundert Personen: Illegale, Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Afghanistan oder Somalia. Sie wollen nach Westen, am liebsten nach Deutschland. Die Gruppe machte gerade eine Pause, die meisten saßen an den Schienen, da kam der Schnellzug von Thessaloniki nach Belgrad in voller Fahrt.

Als er die Menschen sah, habe er sofort Signal gegeben und gebremst, sagt der Lokführer. Viele sind aufgesprungen, 14 haben es aber nicht geschafft. Als die Polizei und die Helfer eintrafen, fanden sie einen Ort des Grauens, Kleidungsstücke und Körperteile überall. Die meisten Flüchtlinge waren schon wieder verschwunden. Am Unfallort fand man nur noch acht Personen, die Angehörigen der Verunglückten. Sie wurden verhaftet.

Das Tor nach Westen

Dieser Vorfall Mitte April war nicht das erste Mal, dass Flüchtlinge in Mazedonien ums Leben kamen. Laut offiziellen Angaben starben in den letzten 12 Monaten mindestens 30 Personen bei ähnlichen Unfällen. "Mazedonien ist ein wichtiger Teil der Transitroute über das Festland. Der einfachste Weg, auf dem Flüchtlinge nach Westeuropa gelangen können", sagt Trpen Stojanovski, Direktor der mazedonischen Regionalen Initiative für Migration, Asyl und Flüchtlinge, MARRI im Gespräch mit der Deutschen Welle.



Die Menschen flüchten aus Afrika, aus dem Nahen Osten oder aus Afghanistan und "über Griechenland kommen sie nach Mazedonien", sagt Ivo Kotevski vom mazedonischen Innenministerium der DW. Es sind illegale Migranten, kaum einer besitzt irgendwelche gültigen Reisedokumente. Da Griechenland selbst kaum Kapazitäten hat, um Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen, wird vielen einfach stillschweigend die Weiterreise Richtung Norden ermöglicht, über Mazedonien und Serbien nach Ungarn. Wenn sie da angekommen sind, so glauben sie, haben sie es geschafft. Denn Ungarn, das ist Europäische Union. Von hier, so hoffen sie, werden sie ungehindert weiter reisen können: Richtung Frankreich, Großbritannien oder Deutschland. Und sie nutzen die Eisenbahnschienen, manchmal auch die Autobahn, als Orientierung, um auf dem richtigen Weg zu bleiben.

Überforderte Bevölkerung und Behörden

Dieser Weg ist aber beschwerlich und voller Gefahren - nicht nur auf den Schienen. Sowohl in Mazedonien, als auch in Serbien berichten Medien immer wieder von Überfällen auf Flüchtlingskolonnen, von Banden die sie ausrauben und misshandeln. Aber auch Behörden und offizielle Einrichtungen in beiden Ländern bieten oft keinen Schutz.

Marc Millies berichtet von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl berichtet im Gespräch mit der DW von kaum erträglichen Zuständen in den Flüchtlingszentren der mazedonischen Hauptstadt Skopje. "Menschen werden gegen ihren Willen dort inhaftiert, oft über Wochen und Monaten. Die Zentren sind überfüllt, es gibt noch nicht einmal für jeden ein Bett. Es gibt nicht genug zum Essen. Die hygienischen Bedingungen sind sehr schlecht und niemand bekommt eine rechtliche Beratung", sagt Millies. Die Behörden, aber auch die Bevölkerung, seien mit dem Flüchtlingsstrom völlig überfordert.

Die Menschenrechtorganisation Human Rights Watch schildert in ihrem Bericht über Serbien zahlreiche Beispiele von Belästigungen und Schikanen gegen Flüchtlinge von Seiten der serbischen Polizei. Flüchtlinge würden "bedroht, beleidigt, erpresst, misshandelt". Und wer in der Nähe der mazedonischen Grenze gefasst wird, dem droht die schnelle Abschiebung - ohne Dokumente, ohne ein Gerichtsverfahren, sagen die Menschenrechtler.

Tausende Kilometer – zu Fuß

Trotzdem versuchen Tausende auf diesem Weg nach Westeuropa zu kommen. Für viele ist dabei die serbische Hauptstadt Belgrad die letzte große Station vor dem Sprung über die EU-Grenze. Hier bereiten sich auch Pasha, Saher und Aid auf die Weiterreise vor. Sie sind Jesiden aus dem Irak, geflüchtet vor dem IS-Terror. Schon seit vier Monaten seien sie unterwegs, "meistens zu Fuß", erzählt der 28-jährige Pasha im Gespräch mit der DW. "Vor etwa einen Monat waren wir unterwegs von Serbien nach Deutschland, aber die ungarische Polizei hat uns verhaftet". Etwa 20 Tage waren die drei Jesiden im Gefängnis, ihr Asylantrag wurde abgelehnt. "Dann hat man uns zurück nach Serbien abgeschoben. Hier mussten wir jeweils 50 Euro Strafe bezahlen und wurden aufgefordert, das Land innerhalb von zehn Tagen zu verlassen. Morgen werden wir versuchen wieder Richtung Deutschland zu gehen", sagt Pasha.

Mit der Hoffnung im Gepäck

So wie für viele andere Flüchtlinge gilt Deutschland auch für die drei jungen Jesiden als ultimatives Fluchtziel. Pasha ist überzeugt: "Deutschland bietet Asylsuchenden mehr Möglichkeiten als andere Länder." Außerdem, so Pasha, hat er Verwandte in Deutschland. Ob sie diesmal die Hilfe von Menschenschmugglern in Anspruch nehmen, wollen die drei nicht verraten. Jeder von ihnen hat bisher schon rund 11.000 US-Dollar an verschiedene Schleuser bezahlt. Das Überqueren der serbisch-ungarischen Grenze soll noch einmal rund 1700 Euro pro Kopf kosten.

Was auf sie dann wartet, das wissen sie nicht. Sie wollen aber unbedingt weiter – in Serbien zu bleiben ist keine Option. Und sie haben Träume. So wie der 19-jährige Saher: "In Irak habe ich mich an der Kunsthochschule eingeschrieben. Dann begann das Chaos mit dem `Islamischen Staat´. Ich konnte gar nicht anfangen zu studieren." Sollte Saher es nach Deutschland schaffen, will er dort wieder Kunst studieren. Und: Er möchte seine Familie nachholen. Die ist im Irak geblieben.

Letzte Station vor der EU: BelgradBild: DW/U. Sabljakovic
Das Ende des Traums von EuropaBild: picture-alliance/dpa/G. Licovski
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