Tod des Verkehrsministers: Werden Russlands Eliten nervös?
8. Juli 2025
Die Nachricht habe Russlands Eliten alarmiert, meinen russische Kommentatoren: Am 7. Juli wurde in der Kreisstadt Odinzowo in der Region Moskau die Leiche von Roman Starowoit mit einer Schusswunde gefunden. Zu dem Zeitpunkt waren nur wenige Stunden vergangen, seit auf der Website des russischen Präsidenten Wladimir Putin Starowoits Entlassung aus dem Amt des Verkehrsministers bekanntgegeben worden war.
Das russische Ermittlungskomitee geht von Selbstmord aus, berichten russische Medien. Das mögliche Motiv: Gegen Starowoit wird ein Strafverfahren vorbereitet wegen mutmaßlicher Unterschlagung von Haushaltsmitteln beim Bau von Befestigungsanlagen in der Region Kursk an der Grenze zur Ukraine. Vor seiner Ernennung zum Verkehrsminister war Starowoit dort Gouverneur.
Nur wenige Tage vor seinem Tod hatte Starowoit Putin persönlich Bericht erstattet über die Entwicklung eines Netzes von Flughäfen, das die Kapazitäten der russischen Luftfahrt erhöhen soll. Dabei wirkte Starowoit gewohnt selbstbewusst und ruhig. Im Juni noch hatte er beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg begeistert über neue Investitionsprojekte gesprochen und deutlich gemacht, dass er sich an deren Umsetzung beteiligen wollte.
Karriere dank Oligarchen?
Roman Starowoit wurde in Kursk geboren, sein Vater arbeitete im dortigen Kernkraftwerk. Seine Hochschulausbildung genoss Starowoit in Sankt Petersburg, wo er später zunächst im Bauwesen arbeitete, bevor er in den Staatsdienst wechselte. In der Regierung von Sankt Petersburg wachte er über Investitionsprojekte und arbeitete vermutlich mit Strukturen zusammen, die mit der Familie Rotenberg in Verbindung standen. Die Brüder Arkadij und Boris Rotenberg sind Oligarchen und gelten als enge Vertraute von Präsident Wladimir Putin.
Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Abbas Galjamow war die Unterstützung der Rotenbergs ausschlaggebend für Starowoits weitere Karriere. 2018 ernannte ihn Wladimir Putin zum amtierenden Gouverneur der Region Kursk. Später wurde er offiziell in das Amt gewählt, wechselte aber 2024 auf Vorschlag von Ministerpräsident Michail Mischustin in den Kreml. Neuer Gouverneur von Kursk wurde Starowoits Stellvertreter, Alexej Smirnow.
Kreml: Entlassung nicht wegen "Vertrauensverlust"
Im Laufe des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beaufsichtigte Starowoit den Bau von Befestigungsanlagen entlang der russisch-ukrainischen Grenze in der Region Kursk im Wert von 19,4 Milliarden Rubel (umgerechnet 210 Millionen Euro). Doch Kontrollen deckten massive Verstöße auf und gaben Hinweise auf Betrug bei der Vertragsabwicklung. Unter Verdacht gerieten hochrangige Beamte, darunter Starowoits Nachfolger Smirnow. Wie die russische Zeitung "Kommersant" schreibt, sagten kurz vor Starowoits Tod einige der Angeklagten vor Gericht aus, darunter vermutlich auch Smirnow selbst. Ihre Aussagen könnten Teil der Ermittlungen gegen den ehemaligen Gouverneur geworden sein.
Gleich nach Starowoits Entlassung betonte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow, dass diese Entscheidung nicht auf einen "Vertrauensverlust" zurückzuführen sei. Trotzdem brachten mehrere Politologen die Nachricht mit den Ermittlungen in der Region Kursk in Verbindung.
Ist ein Selbstmord plausibel?
Den Suizid soll Starowoit mit einer Ehrenwaffe begangen haben, die er 2023 erhielt. Zunächst hieß es, der Politiker habe sich in seinem eigenen Auto erschossen. Doch später tauchte im Internet ein Video auf, das zeigt, wie Starowoits Leiche auf einem Rasen in einiger Entfernung vom Auto auf eine Trage gelegt wird.
Auch zum Todesdatum gibt es widersprüchliche Angaben. Mehrere Medien hatten berichtet, die Leiche sei am 5. Juli entdeckt worden. Dies widerspricht jedoch einer Pressemitteilung des Verkehrsministeriums vom 6. Juli, laut der Starowoit an dem Tag an einer Besprechung wegen eines leckgeschlagenen Tankers im Hafen Ust-Luga nahe Sankt Petersburg teilnahm.
Der Politologe Michail Winogradow meint, dass all dies "von Chaos und leichter Panik in den Regierungsstrukturen" zeuge. Er weist auch darauf hin, dass der Nachruf auf Starowoit nur auf der Website des Verkehrsministeriums erschienen sei, und das auch erst nach der Bekanntgabe der Ernennung eines neuen Ministers. "Die Tradition der Beileidsbekundung ist ein wichtiges Signal an die derzeitigen Beamten und Loyalisten im Allgemeinen", schreibt Winogradow auf seinem Telegram-Kanal. Das gelte auch für die Mitarbeiter des Verkehrsministeriums: "Morgens kamen die Leute zur Arbeit in eine veränderte Realität, nachmittags standen sie unter Schock und abends wurden sie gebeten, so zu tun, als sei nichts Wichtiges oder Interessantes passiert."
"Selbsterhaltungstrieb der Eliten"
Der kremlfreundliche Politikwissenschaftler Sergej Markow spricht in seinem Telegram-Kanal von einem "Schock für die russischen Eliten" und äußert Zweifel an einem Selbstmord. Mit dieser Version, vermutet der Politologe, versuchten diejenigen den Mord zu vertuschen, "gegen die er nach seiner Verhaftung hätte aussagen können".
Politologe Galjamow hält einen Selbstmord für möglich, schließt aber nicht aus, dass auch Verschwörungstheorien ihre Anhänger finden könnten: "Die meisten Menschen, die von diesem Fall erfahren, glauben, dass hochrangige korrupte Beamte auf diese Weise einen Zeugen und Komplizen ihrer Verbrechen beseitigen wollten." Galjamow zufolge könnte der Fall das Ansehen der Staatsmacht beschädigen - vor allem in den Augen der Bürokraten selbst. Die Oligarchen Rotenberg, meint er, hätten sich für Starowoit einsetzen und ihn von der Liste der Angeklagten streichen lassen können. "Sie konnten oder wollten das nicht tun", sagt Galjamow und fügt hinzu, dass Starowoit selbst hätte wissen müssen, dass die Justiz in Russland aufgrund des Verfalls staatlicher Institutionen nicht funktioniere.
Die Politologin Jekaterina Schulman glaubt, Starowoits mysteriöser Tod könnte einen Selbsterhaltungstrieb unter den Eliten des Landes wecken, die in dem Vorfall ein Warnsignal sehen könnten. "Wie können wir an der Macht bleiben, ohne getötet zu werden und unsere Familien zu ruinieren?", könnten sich die Eliten nun fragen, meint Schulman. Sie hofft, dass sich in Russland nicht "der harmloseste Zar", sondern "verbindliche Regeln für alle" in Form von Gesetzen durchsetzen werden.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk