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Tod in Russland: Reporterin Roschtschyna beerdigt

Lilia Rzheutska | Anja Sokolow
7. August 2025

Die ukrainische Journalistin Viktoria Roschtschyna recherchierte in den besetzten Gebieten der Ostukraine und kam nicht mehr zurück. Sie kam in russischer Gefangenschaft ums Leben. Nun wurde ihr Leichnam beigesetzt.

Porträt der ukrainischen Journalistin Viktoria Roschtschyna auf einer Trauerkundgebung in Kyjiw (11.10.2024)
Die ukrainische Journalistin Viktoria Roschtschyna Bild: Anatolii Stepanov/AFP

Der Krieg war ihr Thema: Die ukrainische Journalistin Viktoria, kurz Vika, Roschtschyna begab sich seit Beginn von Russlands Invasion der Ukraine immer wieder selbst in Gefahr, um über Menschen in den besetzten Gebieten ihrer Heimat zu berichten. Ihren Mut bezahlte die 27-Jährige mit dem Leben: Vor zwei Jahren geriet Roschtschyna in russische Gefangenschaft, aus der sie nicht mehr zurückkam.

15 Monate saß sie im Gefängnis in der südrussischen Stadt Taganrog. Während ihrer Verlegung nach Moskau im vergangenen Herbst starb die Journalistin. Am 8. August wurde Roschtschyna auf dem bekannten Bajkowe-Friedhof in der ukrainischen Hauptstadt beerdigt.

Als "unbekannte männliche" Leiche übergeben

Ihr Tod wurde bereits am 10. Oktober 2024 bekannt. Roschtschyna, die während einer Reise in die russisch besetzten Gebiete der Ukraine verschwand, hatte vergeblich auf ihre Freilassung gewartet. Andrij Jussow vom ukrainischen Militärgeheimdienst sagte dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Sender Suspilne, Roschtschyna sei für einen Gefangenenaustausch eingeplant gewesen. Doch dazu kam es zu ihren Lebzeiten nicht mehr.

Russland übergab der Ukraine die Leiche der Journalistin erst am 14. Februar - zusammen mit den Leichen von 756 gefallenen Soldaten. Viktoria Roschtschyna war als letzte Person mit der Nummer 757 sowie dem Vermerk "nicht identifizierte männliche Person" versehen.

Laut dem ukrainischen Webportal "Graty" wurde der Vater der Journalistin in einem Brief des russischen Verteidigungsministeriums informiert, dass seine Tochter am 19. September 2024 gestorben sei.

Investigative Journalisten des internationalen Viktoriia Project gingen der Sache nach. Das Projekt wurde vom Journalistennetzwerk "Forbidden Stories" unter Beteiligung führender Medien weltweit initiiert, darunter die ukrainische Webzeitung "Ukrajinska Prawda".

Nach Angaben des Rechercheteams hatten nach der Überführung ukrainische Pathologen festgestellt, dass es sich bei der Leiche mit der Nummer 757 um eine Frau handelte. Und die von Ermittlern der Generalstaatsanwaltschaft durchgeführte Untersuchung ergab eine 99-prozentige Übereinstimmung mit der DNA der Journalistin Viktoria Roschtschyna.

"Aufgrund des Zustands der Leiche und ihrer Mumifizierung konnte die Todesursache bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung jedoch nicht festgestellt werden", sagte im April Jurij Bjelousow, Leiter der Kriegsabteilung der Generalstaatsanwaltschaft.

Ihm zufolge wurden an der Leiche viele Spuren von Folter und Misshandlung gefunden, darunter Abschürfungen und Blutungen an verschiedenen Körperteilen sowie eine gebrochene Rippe.

Spuren von Folter

Experten fanden auch mögliche Anzeichen dafür, dass Roschtschyna mit Elektroschocks traktiert wurde. "Die Verletzungen wurden ihr zu Lebzeiten zugefügt. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass sie gefoltert wurde", stellte Bjelousow damals fest.

Das für den Todesfall zuständige ukrainische Ermittlungsteam bestätigte dem Viktoriia-Project, dass an Roschtschynas Leiche zu erkennen war, dass bereits in Russland eine Autopsie vorgenommen worden sei. Die Journalisten des Projekts erfuhren außerdem, dass einige innere Organe fehlten: das Gehirn, die Augäpfel und ein Teil der Luftröhre.

Das Viktoriia-Project Projekts bat auch internationale Experten um eine Einschätzung. Ein angefragter Pathologe sagte, dass das Fehlen dieser Organe möglicherweise verschleiern solle, dass Roschtschyna durch Strangulation oder Ersticken starb.

Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine hat ein Strafverfahren zum Verschwinden von Viktoria Roschtschyna eingeleitet. Die Ermittlungsbehörde führt den Fall als "Kriegsverbrechen in Verbindung mit vorsätzlichem Mord".

Gefangen in der "Hölle auf Erden"

Viktoria Roschtschyna war bereits zuvor einmal in Gefangenschaft geraten: Im März 2022 wurde sie vom russischen Sicherheitsdienst in der südukrainischen Hafenstadt Berdjansk festgenommen und anschließend inhaftiert. Der Vorwurf lautete damals: Spionage. Zehn Tage später wurde die junge Reporterin jedoch im Austausch gegen russische Soldaten wieder freigelassen. Roschtschyna kehrte nach Saporischschja zurück.

Trauer-Kundgebung für Viktoria Roschtschyna in Kyjiw im Oktober 2024Bild: Igor Burdyga/DW

Vor zwei Jahren verschwand sie dann erneut während einer Reise in die besetzten Gebiete, von der sie nie wieder zurückkehren sollte. Ihre Familie verlor am 3. August den Kontakt zu ihr und fast ein Jahr lang galt Roschtschyna als verschollen. Erst im Mai 2024 bestätigte Russland offiziell ihre Festnahme und ihren Aufenthalt in der Russischen Föderation. Bis dahin war nichts über Roschtschynas Schicksal bekannt.

Das Untersuchungsgefängnis, in dem die Journalistin zuletzt festgehalten wurde, sei ein brutaler Ort. So beschreibt Tetjana Katritschenko von der Medieninitiative für Menschenrechte den Knast von Taganrog.

"Es wird als Hölle auf Erden bezeichnet. In Taganrog werden insbesondere Verteidiger des umkämpften Stahlwerks Asowstal in Mariupol festgehalten. Die Freigelassenen berichten von schrecklichen Folterungen", so Katrichenko auf ihrem Social-Media-Kanal. Roschtschyna sei in Taganrog mindestens von Mai bis September 2024 in einer Einzelzelle festgehalten worden.

"Sie stand fest zu ihren Überzeugungen"

Unter Kollegen sorgte ihr Tod für Bestürzung und viel Anteilnahme. Laut Tetjana Kosak, Chefredakteurin des Online-Portals "Graty", war Viktoria Roschtschyna "mutig" und "stand fest zu ihren Überzeugungen".

Sie sei eine talentierte Journalistin gewesen, die noch eine große berufliche Zukunft vor sich gehabt habe. "Doch im Krieg gingen bei ihr alle Sicherungen durch, weswegen sie in Gefangenschaft geriet", so Kosak.

"Vika war eine der schwierigsten Journalistinnen, mit denen ich je gearbeitet habe", schrieb Jewhen Buderazkyj, stellvertretender Chefredakteur der Online-Zeitung "Ukrajinska Prawda". Manchmal sei Roschtschyna unerträglich. Jede Korrektur habe sie persönlich genommen: "Aber egal, was passierte, Vika blieb sich als Journalistin treu. Man konnte sie nicht aufhalten, wenn sie sich etwas vorgenommen hatte", so Buderazkyj: "Russland hat sie getötet, egal, was man jetzt dort sagt."

Kein Lebenszeichen in 15 Monaten Haft

Nach Angaben der internationalen Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) befinden sich aktuell insgesamt 29 ukrainische Medienschaffende in russischer Gefangenschaft. "Wir sind zutiefst schockiert über Viktoria Roschtschynas Tod und trauern mit ihren Angehörigen", ließ ROG-Geschäftsführerin Anja Osterhaus verlauten, als Roschtschynas Tod bekannt wurde.

"Während der gesamten 15 Monate, in denen die Journalistin in Haft saß, haben sich die russischen Behörden nicht zu Gründen oder Vorwürfen geäußert. Trotz wiederholter Versuche von Reporter ohne Grenzen und Roschtschynas Angehörigen gab es kein Lebenszeichen", so Osterhaus.

Roschtschyna stand noch ganz am Anfang ihrer Karriere. Sie war gerade einmal sechs Jahre als Journalistin tätig. Zu ihren Auftraggebern gehörten die "Ukrajinska Prawda" und die Nachrichtenseiten "Nowosti Donbassa" und "Censor.net". Außerdem arbeitete sie für die Sender Radio Free Europe und Hromadske.

Sie galt als kritische und entschlossene Journalistin. Im Jahr 2022 verlieh ihr die International Women's Media Foundation den "Courage in Journalism Award" für ihre Berichterstattung über die russische Invasion in der Ukraine seit 2022.

Staatliche Auszeichnung für Victoria Roschtschyna

Im Mai richtete das ukrainische Parlament eine Bitte an den Präsidenten: Wolodymyr Selenskyj solle Viktoria Roschtschyna posthum den Titel "Heldin der Ukraine" verleihen. 246 Abgeordnete stimmten dafür.

"Alle entsprechenden Untersuchungen laufen. Sobald sie abgeschlossen sind, wird der Präsident Viktoria Roschtschyna eine staatliche Auszeichnung verleihen. Die entsprechende Entscheidung ist bereits gefallen", bestätigte das Präsidialamt.

Selenskyj zeichnete Roschtschyna posthum mit dem Orden der Freiheit aus. Diese Auszeichnung wird für bürgerschaftlichen Mut und Patriotismus verliehen, sowie für den "selbstlosen Einsatz zur Verteidigung der Souveränität und Unabhängigkeit des ukrainischen Staates sowie der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten des Menschen".