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Todesfalle Rotes Meer: Warum so viele Migranten ertrinken

5. August 2025

In der Meerenge Bab al-Mandab zwischen Dschibuti und Jemen sind erneut 76 Menschen bei der gefährlichen Überfahrt ertrunken. Warum sich trotzdem immer mehr Menschen aus Ostafrika Richtung Golfstaaten auf den Weg machen.

Jemenitische Fischerboote in der Meerenge Bab al-Mandab
"Tor der Tränen": das Bab al-Mandab, hier an der jemenitischen SeiteBild: Karim Sahib/AFP/Getty Images

Sie wollten eine bessere Zukunft und bezahlten dafür mit ihrem Leben: Mehr als 90 Menschen sind bei dem Versuch ertrunken, die Meerenge zwischen Dschibuti und dem Jemen zu überqueren. Zudem meldet die Migrationsagentur der Vereinten Nationen (IOM) den Tod von sieben Migranten, nachdem der Motor ihres Bootes im Roten Meer ausgefallen war. Statt 24 Stunden habe die Fahrt eine Woche gedauert, die Migranten seien an Hunger und Durst gestorben. Bei allen Opfern handelt es sich überwiegend um Äthiopier.

Trotz aller Gefahren bei der Fahrt durch das sogenannte Bab al-Mandab ("Tor der Tränen"), der Verbindung zwischen dem Roten Meer mit dem Golf von Aden, sind die Zahlen auf der sogenannten Östlichen Route in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2023 machten sich rund 395.000 Menschen auf den Weg, heißt es in einem Report der IOM. Vergangenes Jahr waren es bereits 446.000. Das bedeutet einen Anstieg um 13 Prozent.

Der Großteil der Migranten stammt aus Äthiopien. Von dort brachen im Zeitraum 2023/24 rund 234.000 Personen auf. An zweiter Stelle stehen Menschen aus Somalia. Die allermeisten von ihnen - über 90 Prozent - fliehen dem IOM-Report zufolge vor wirtschaftlicher Not, eine erheblich kleinere Gruppe hingegen vor bewaffneten Konflikten und Verfolgung. Noch eine andere Gruppe, sagt Nathalie Peutz, Anthropologin an der New York University Abu Dhabi, setze sich aus Jemeniten zusammen, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen seien und nun daran dächten, wieder in ihre alte Heimat zurückzukehren.

Tödliche Risiken

Der Jemen, auf dessen Territorium die Migranten nach erfolgreicher Durchquerung des Bab al-Mandab ankommen, gilt den meisten Migranten bloß als Zwischenetappe. Von dort machen sie sich weiter auf den Weg in die reichen Golfstaaten, insbesondere nach Saudi-Arabien, wo sie auf Arbeit hoffen. Doch im Zeitraum 2023/24 ist die Zahl der Ankünfte dort um über ein Drittel zurückgegangen, weil die Behörden die Boote bereits vor der Küste abfangen. Wer es dennoch bis auf das jemenitische Territorium schafft, sieht sich größten Gefahren ausgesetzt. "Im gesamten Jahr 2024 sahen sich Migranten im Jemen schwerwiegenden Schutzproblemen gegenüber, darunter Gefangenschaft, Erpressung und Misshandlung durch Schleuser", heißt es in dem IOM-Bericht. Auch an der Grenze zwischen dem Jemen und Saudi-Arabien droht ihnen Gefahr: In der Vergangenheit erschossen saudische Grenzschützer hunderte, wenn nicht tausende irreguläre Migranten und Flüchtlinge.

Auf dem Weg zwischen Europa und Asien passieren zahlreiche große Handelsschiffe die Meerenge zwischen Afrika und AsienBild: Solomon Muchie/DW

Doch als riskantester Teil der "Östlichen Route" gilt immer noch die Fahrt über das Meer. "Es handelt sich um eine sehr stark befahrene Route, auf der riesige Tanker und andere große Schiffe unterwegs sind", sagt der in London ansässige Analyst Martin Plaut im DW-Interview. Die Meerenge gehört zu einem der global bedeutendsten maritimen Handelswege, der Route von Asien durch das Bab al-Mandab und weiter über den Suez-Kanal bis ins Mittelmeer. Von dort steuern die Schiffe die großen europäischen Häfen an.

Schmuggler werfen Passagiere ins offene Meer

Doch der Schiffsverkehr stellt nur eine Gefahr unter mehreren anderen dar. Die Meerenge ist zudem starken Gezeiten und Winden und deshalb hohem Wellengang ausgesetzt. "Auch das macht die Passage höchst riskant ", sagt Plaut. Hinzu kämen zahlreich kleine Riffe und Inseln. "Wenn man die Route nicht sehr gut kennt, kann man sehr schnell in Seenot geraten."

Hinzu komme, dass die Migranten in einfache Fischerboote gesetzt würden, sagt Nathalie Peutz. Sie hat die Migrationsbewegungen umfassend erforscht. "Dort sitzen sie so dicht gedrängt, dass die Boote bei stärkerem Seegang sinken können. Oftmals zwingen die Schmuggler dann einzelne Personen, über Bord zu springen, oder sie werfen sie über Bord, damit das Boot mit weniger Insassen seine Reise fortsetzen kann."

Unterlassene Hilfeleistung aus Angst vor Piraten

Die Lage wird auch dadurch verschärft, dass es anders als im Mittelmeer keine staatliche Seenotrettung gibt. Kentert ein Schiff am Bab al-Mandab, sind die Insassen auf zivile Hilfe und damit insbesondere auf Handelsschiffe angewiesen. Doch nach zahlreichen Fällen von Piraterie, überwiegend durch Somalier, sind die Kapitäne sehr misstrauisch geworden. "Sie fragen sich natürlich, wer da auf dem Boot ist", sagt Plaut. "Denn die Piraten haben sich oftmals getarnt. Sie gaben vor, völlig harmlose, etwa in Seenot geratene Fischer zu sein. Kaum an Bord, zückten sie ihre Waffen und brachten das Schiff unter ihre Kontrolle." Entsprechend zögerten die Kapitäne inzwischen, tatsächlich - oder eben auch vermeintlich - in Seenot geratenen Personen zur Hilfe zu eilen.

Das von Huthi-Rebellen im November 2023 gekaperte Frachtschiff Galayi LeaderBild: ANSARULLAH MEDIA CENTRE/AFP

Natürlich sei auch die US-Navy in der Region präsent, sagt Nathalie Peutz. "Deren Schiffe versuchen die Piraterie zu unterbinden und die Angriffe auf Öltanker zu unterbinden. Aber niemand schützt die Routen der Migranten." 

Zahlreiche Gründe

Dafür, dass die Menschen sich trotz dieser Risiken auf die gefährliche irreguläre Reise machten, gebe es eine Reihe von Gründen, sagt Peutz im DW-Interview. Viele von ihnen hätten keine Ausweispapiere oder Dokumente. "Einen Ausweis zu beantragen ist teuer und zeitaufwendig. Das wollen sich viele Migranten ersparen." Außerdem seien sie häufig jung und spontan. "Oft sind Freunde bereits aufgebrochen, denen sie folgen wollen. Um ihre Familien nicht zu beunruhigen, verschweigen sie vielleicht ihr Vorhaben und bereiten ihre Reise nicht genügend vor." 

Zudem kennen die irregulär nach Saudi-Arabien gekommenen Migranten auch die Schwierigkeiten, die mit einem regulären Aufenthalt verbunden sind. "Wenn diese regulär eintreffenden Migranten von einem lokalen Sponsor unterstützt werden, sind sie an einen Vertrag gebunden", so Peutz. "Es ist bekannt, dass einige dieser Sponsoren die Pässe ihrer Angestellten einbehalten. Das macht es für die Angestellten schwierig, missbräuchliche Arbeitsplätze zu verlassen. Das gilt insbesondere für weibliche Hausangestellte. Die Migration außerhalb des regulären Systems bietet ihnen eine größere Auswahl an Beschäftigungsmöglichkeiten."

Mitarbeit: Eshete Bekele
Dieser Artikel erschien am Abend des 5. August und wurde tags darauf nach dem neuen Bootsunglück im Roten Meer aktualisiert.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika