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Politik

Todesstrafe: Wann gibt Minsk nach?

Roman Goncharenko
11. April 2017

Immer wieder appellieren Menschenrechtler und die Europäische Union an Weißrussland, die Todesstrafe abzuschaffen. Bisher bleibt Präsident Lukaschenko strikt beim Nein. Doch Bewegung scheint möglich.

Weißrussland Minsk Gefängnis Wolodarka
Bild: RIA Novosti

Die letzte Adresse im Leben von Alexej Michalenja dürfte Wolodarskogo-Straße 2 in Minsk heißen. Es ist die berüchtigte Haftanstalt Nummer Eins, im Volksmund kurz "Wolodarka" oder "die weißrussische Bastille" genannt. Der Gebäudekomplex mit einem schlossähnlichen Hauptbau aus dem 19. Jahrhundert hinter hohen weißen Mauern ist der Ort in dem osteuropäischen Land, wo Todeskandidaten auf ihre Exekution warten. Der 32-jährige, mehrfach vorbestrafte Michalenja wurde Mitte März von einem weißrussischen Gericht wegen Mordes an einem älteren Geschwisterpaar zum Tode verurteilt. Es war das erste solche Urteil in diesem Jahr. Weißrussland ist das einzige Land in Europa, in dem die Todesstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt wird.

Es ist fast ein Ritual geworden: Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die Europäische Union oder der Europarat appellieren seit Jahren an Minsk, die Todesstrafe abzuschaffen oder zumindest auszusetzen. "Die Todesstrafe ist eine inakzeptable Ablehnung der Menschenwürde", hieß es zuletzt in einer Erklärung der EU-Vertretung in Minsk anlässlich des Urteils gegen Michalenja. Außerdem sei sie kein Faktor, der Kriminalität eindämme.

Lukaschenko: Das Volk will es so   

Die Führung der ehemaligen Sowjetrepublik hält trotz solcher Appelle an der Todesstrafe fest. "Ich bin nicht blutrünstig", sagte Präsident Alexander Lukaschenko, der im Westen den Ruf eines autoritären Herrschers hat. Das Volk wolle es so. In einem Referendum sprachen sich 1996 nach offiziellen Angaben rund 80 Prozent der Weißrussen gegen die Abschaffung der Todesstrafe aus. Zuverlässige aktuelle Zahlen gibt es nicht. Nach Schätzungen liegen Befürworter und Gegner etwa gleichauf.

Weißrusslands Präsident Lukaschenko verteidigt das Recht auf die Vollstreckung von Hinrichtungen in seinem LandBild: Belarusian Telegraph Agency/M. Gucheck

Lukaschenko wirft seinen ausländischen Kritikern "doppelte Standards" vor. Der Westen solle bei sich anfangen und zum Beispiel die Todesstrafe in allen US-Bundesstaaten abschaffen.

Die Todesstrafe durch Erschießen ist in Weißrussland für besonders schwere Taten vorgesehen. Ausgenommen sind Minderjährige, Frauen und Täter über 65 Jahren. Nach Schätzungen von Amnesty International wurden seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion (1991) rund 400 Menschen hingerichtet. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der vollstreckten Urteile allerdings stark zurückgegangen. 2016 gab es vier bestätigte Fälle. Meistens geht es dabei um mehrfache und brutale Morde.

Ungewissheit der Angehörigen

Internationales Aufsehen erregten im März 2012 die Hinrichtungen von Dmitrij Konowalow und Wladislaw Kowaljow. Die jungen Männer, beide Mitte 20, wurden wegen eines Terroranschlags auf die U-Bahn in Minsk im Jahr zuvor verurteilt und hingerichtet. Bei der Explosion starben 15 Menschen. Die Mutter von Wladislaw Kowaljow sagte in einem DW-Interview (2013), sie glaube nicht an die Schuld ihres Sohnes.

Ljubow Kowalajowa weiß nicht einmal, wo ihr Sohn nach seiner Hinrichtung begraben wurdeBild: Tatjana Ivanova

"Ein solches Verbrechen kann ein Amateur-Einzelgänger nicht begehen", sagt Ljubow Kowalajowa. "Es war ein ganzes System am Werk und man hat aus den beiden Jungs Sündenböcke gemacht." Seitdem engagiert sie sich zusammen mit Menschenrechtlern gegen die Todesstrafe in ihrer Heimat. Einen Appell im Internet haben mehr als 100.000 Menschen unterzeichnet.

Besonders empört sind Hinterbliebene wie Kowaljowa wegen der Ungewissheit. Der Staat teilt weder das Todesdatum, noch den Ort der Beisetzung mit: "Das ist eine monströse Regel im Bezug auf die Angehörigen." Sie erleichtere der Obrigkeit, etwas zu verbergen.

Europa erhöht Druck

Seitdem sich das Verhältnis zwischen der EU und Weißrussland vor einigen Jahren entspannt und Brüssel Sanktionen gegen Minsk aufgehoben hat, erhöhen europäische Organisationen den Druck auf Lukaschenko. "Wir erwarten - und ich spreche auch im Namen unserer EU-Partner -, dass Weißrussland ein Moratorium für die Todesstrafe einführt", sagte Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, während seines Besuchs in Minsk Mitte März: "Das wäre ein wichtiges Signal, um endlich eine engere Zusammenarbeit mit dem Europarat zu ermöglichen."

Weißrussland ist das einzige europäische Land, das wegen der Todesstrafe nicht im Europarat ist. Vertreter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates bemühen sich immer wieder um neue Impulse. So reiste im März Sonderberichterstatter Andrea Rigoni nach Minsk.

Eine Anhörung zur Todesstrafe im Land will das weißrussische Parlament Anfang 2018 durchführenBild: picture-alliance/dpa

Trotz Ablehnung durch den Präsidenten scheint es auf der weißrussischen Seite etwas Bewegung zu geben. 2018 wollen die Parlamentsabgeordneten eine Anhörung zum Thema abhalten. "Man muss die Gesellschaft vorbereiten, ihre Meinung hören und dann eine Entscheidung treffen", sagte Wladimir Andrejtschenko, Vorsitzender der Repräsentantenkammer im weißrussischen Parlament, beim Treffen mit Rigoni. Weißrussland sei zu einem Dialog mit dem Europarat in allen Fragen bereit, inklusive der Todesstrafe.

Die Europäische Union ihrerseits versucht es auch mit Zuckerbrot. Eine Aussetzung der Todesstrafe könne sich positiv auf Visa-Erleichterungen für Weißrussland auswirken, sagte ein westeuropäischer Außenminister bei seinem Besuch in Minsk im März. Wenige Tage nach diesem Besuch wurde das Todesurteil gegen Alexej Michalenja bekannt.

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