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Todesursache Irrtum

Daniel Scheschkewitz14. Januar 2003

Der Tod ist endgültig, das Urteil nicht. Wenn US-Richter jemanden töten lassen, irren sie oft. Doch bis das herauskommt, ist es meist zu spät. Die Kritik wächst. In Illinois wurden darum alle Todeskandidaten begnadigt.

In immer mehr US-Staaten soll der elektrische Stuhl leer bleibenBild: AP

Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt begnadigte der Gouverneur des US-Bundesstaates Illinois, George Ryan, am Wochenende (11./12.01.2003) alle Häftlinge, die in seinem Staat zum Tode verurteilt worden waren. Die meisten der mehr als 160 Todesstrafen wurden in lebenslange Haftstrafen umgewandelt, vier Inhaftierte kamen aufgrund des Gnadenerlasses frei. Kaum ein anderer US-Bundesstaat gesteht seinem Gouverneur ein so umfassendes Gnadenprivileg zu. Aber auch in anderen Staaten und auf Bundesebene wird zunehmend über die Todesstrafe diskutiert –immerhin 38 der 50 US-Staaten können sie verhängen.

Vom Verfechter zum Kritiker

Mit seiner Kritik am System der "death penalty" steht Ryan also nicht alleine da. Dabei sei er zuerst ein glühender Befürworter der Todesstrafe gewesen, gab der Gouverneur zu. Doch mittlerweile betrachtet er sich als bekehrt: "Nach meinen Erfahrungen in den letzten drei Jahren glaube ich, dass es viele Mängel gibt, die dringend behoben werden müssten und viele Möglichkeiten, das System zu reformieren."

Ryan hatte schon im Jahr 2000 für Aufsehen gesorgt, als er ein Moratorium über Exekutionen in Illinois verhängte – die Strafen wurden nicht vollstreckt. Damals hatte sich herausgestellt, dass 13 Angeklagte zu Unrecht verurteilt worden waren. In den vergangenen Monaten prüfte er außerdem Gnadengesuche von mehr als 140 zum Tode verurteilten Häftlingen.

Mängel-Liste

In jüngster Zeit häufen sich in den Vereinigten Staaten Fälle, in denen mit Hilfe von DNS-Analysen Justizirrtümer aufgedeckt wurden. Insgesamt wurden 90 Todesurteile im Jahr 2002 ganz aufgehoben oder in Haftstrafen umgewandelt. Untersuchungen belegen, dass die Zahl der zum Tode verurteilten Schwarzen überdurchschnittlich hoch ist. Auch Mimi Wesson, Kriminologin an der Colorado State University und Herausgeberin mehrerer Studien über die Todesstrafe, weist auf grobe Ungerechtigkeiten hin: "Geständnisse, die aufgrund von brutalen Verhören der Polizei gemacht werden, unfähige Verteidiger, skrupellose Staatsanwälte - all dies ist Teil des Justizapparates." Doch die Abschaffung der Todesstrafe würde daran wenig ändern, glaubt sie.

Illinois ist nicht der einzige US-Staat, in dem die Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt wird. Auch in anderen Bundesstaaten, wie zum Beispiel in Maryland, gilt ein solches Moratorium. Dies führte dazu, dass die Heckenschützen, die im vergangenen Herbst den Großraum Washington terrorisierten, nach ihrer Verhaftung im benachbarten Bundesstaat Virginia und nicht in Maryland angeklagt wurden. Denn in Virginia werden nach Texas die meisten Todesurteile vollstreckt, und viele Amerikaner wollten die "Snipers" tot sehen.

Die Meinung ändert sich – aber langsam

Allerdings hat Wesson festgestellt, dass in der Bevölkerung ein Umdenken einsetzt. Zwar seien etwa 70 Prozent der US-Amerikaner für die Todesstrafe. "Aber darunter gibt es immer mehr Menschen, die ihre Duchführungspraxis kritisieren und sagen, dass das System korrigiert werden müsse."

Doch auch wenn nur eine Minderheit in den USA die Todesstrafe generell in Frage stellt, gibt es doch immer wieder Versuche, das System zu reformieren. Im US-Kongress wurde ein Gesetz zum Schutz von Unschuldigen vor der Todesstrafe ausgearbeitet. Bislang jedoch ist es über eine Beratung in Ausschüssen nicht hinausgekommen.

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