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"Ein Militärputsch ist per se nichts Gutes"

Andrea Kasiske17. Juli 2016

Der türkische Komponist Tolga Yayalar hat die Nacht des Putschversuchs in seinem Heimatland in Istanbul miterlebt. Für die Kunst- und Pressefreiheit befürchtet er Schlimmes.

Türkischer Musiker und Komponist Tolga Yayalar
Bild: Privat

Deutsche Welle: Wie geht es Ihnen, wie haben Sie die Putsch-Nacht verbracht?

Tolga Yayalar: Ich habe fast gar nicht geschlafen, meine Familie auch nicht. Die ganze Nacht das Dröhnen der Kampf-Jets, Explosionen, Gewehrschüsse. Wissen Sie, das ist das Militär, und man weiß nicht, wer das steuert, das kann total aus dem Ruder laufen, wir hatten wirklich Angst.

Haben Sie mit so etwas gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Das kam total überraschend. 2013 nach den Ereignissen rund um den Gezipark, da hatten alle erwartet, dass das Militär einschreitet, aber jetzt nicht.

Am Anfang dachte ich - und das denken viele immer noch - das Ganze ist von Erdogan inszeniert. Aber nach so vielen Toten…das glaube ich jetzt nicht mehr.

Natürlich, Erdogan kontrolliert die Medien. Das Militär hatte versucht, den Fernsehsender zu besetzen, das hat nicht geklappt und Erdogan konnte seine Anhänger mobilisieren, auf die Straße zu gehen. Wer weiß, was sonst passiert wäre.

Tolga Yayalar beim DW-Interview 2014Bild: DW/Matthias Müller

Wem, glauben Sie, "nützt" der Putschversuch?

Ein Militärputsch ist per se nichts Gutes, nie, aber ich fürchte, jetzt wird es richtig zur Sache gehen. Es wird eine Hexenjagd geben. Das heißt Erdogan wird noch stärker durchgreifen und mit den Verhaftungen, die jetzt folgen, sich zusätzlich unbequeme Oppositioneller ins Gefängnis stecken. Er ist jemand, der nach immer mehr Macht strebt.

Er polarisiert das Land zunehmend, und das ist nicht gut. In der Nacht haben wir ständig Gebete von den Moscheen gehört, dann waren seine Anhänger massenhaft auf der Straße, die religiöse Basis wird stärker, und das ist schon erschreckend..

Glauben Sie, dass es einen Bürgerkrieg geben wird?

Also, ich habe das lange für ausgeschlossen gehalten. Bürgerkrieg, den gibt es in Syrien, das ist weit weg, dachte ich. Aber erstens ist das nicht weit weg und wenn Erdogan weiter polarisiert, dann weiß ich nicht, wo das enden wird. Ein Bürgerkrieg ist nicht mehr völlig unvorstellbar, obwohl ich hoffe, dass es nicht dazu kommt.

Erwarten Sie, dass es zu noch mehr Zensur kommen wird?

Erdogan kontrolliert sowieso die meisten Medien, ich habe letztens einen Artikel dazu gelesen, das hat mich schockiert. Den Printmedien traut eh keiner mehr. Gestern waren Twitter und Instagram zeitweise blockiert. Klar, wir rechnen damit, dass das zunimmt.

Sie haben die sogenannte Gezi-Revolte, wo vor allem junge Leute mehr Rechte und Freiheiten gefordert haben und die von der Regierung brutal niedergeschlagen wurde, in einer ihrer Orchesterkompositionen verarbeitet. Würden Sie das heute auch wieder machen?

Ja, absolut. Ich glaube immer noch an die Freiheit der Kunst. Und hoffe immer noch, dass die nicht völlig ausgehöhlt wird. Natürlich würde ich ein solches Musikstück wieder komponieren.

Auch zur Armenienfrage?

Ja, klar. Da sollte viel mehr drüber gesprochen werden hier. Aber das ist halt immer noch schwierig.

Denken Sie manchmal daran, die Türkei zu verlassen?

Ja, die Frage steht ständig im Raum, auch bei meinen Studenten. Ich meine, ich liebe das Land, die Menschen sind voller Energie, es ist großartig. Bis 2009 ging es auch bergauf, dann haben die Wähler Erdogan und seiner Politik eine Art Freibrief gegeben. Es gab auch eine lange stabile Phase mit den Kurden. Aber Erdogan wollte nicht vom Frieden profitieren, er sucht den Konflikt.

Im Moment sehe ich keine richtige Zukunft für mich, aber noch weniger für unsere Kinder. Die sind sechs und acht Jahre, wir versuchen, sie so wenig wie möglich mit Politik zu belasten. Aber natürlich haben sie heute Nacht alles mitbekommen.

Nach den ganzen Anschlägen, hat sich das Leben eh schon ziemlich verändert. Wir gehen mit der Familie nicht mehr an öffentliche Plätze, an Orte, wo viele Leute sind, auch nicht ins Shoppingcenter.

Ich war acht Jahre alt, als das Militär 1980 geputscht hat. Die waren drei Jahre an der Macht, das war furchtbar. Ich möchte das nicht noch einmal erleben und unsere Kinder sollten das auch nicht.

Tolga Yayalar ist ein türkischer Komponist. Er lebt und arbeitet in Istanbul und war 2014 als Gast beim Beethovenfest Bonn. Dort hat er sein zeitgenössisches Stück "Tableaux Vivants d'une Résistance" präsentiert, für das er sich von den Gezi-Protesten hat inspirieren lassen.

Das Interview führte Andrea Kasiske