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Kunst

Tong Kunniao: Die Fragilität des Gleichgewichts

Sabine Peschel
19. September 2020

Der chinesische Künstler Tong Kunniao sieht sich selbst als Freigeist am Rande der Gesellschaft. Jetzt stellt er seine skurrilen Skulpturen in Berlin aus.

Hua International I Just Stay in the Cold ITong Kunniao
Spielerisches Boxen mit dem "Mop-Boxer" Bild: Hua International/Lukas Preuss

Ein Gespinst aus Federn, Netzen, Stangen und bunten Plastikelementen dreht sich um eine vogelkopfartig zugespitzte Achse, breitet sich wie auf Flügeln schwankend aus und hält doch das Gleichgewicht. Mit einem Griff lässt sich das gefiederte Gebilde aus der Nut am oberen Ende eines schmalen Stabs nehmen und davontragen.

Die Skulpturen seiner Serie "Balance" kann Tong Kunniao wie im kindlichen Spiel abnehmen und wegtragenBild: XC·HuA Gallery

Balance und Freiheit: zwei Begriffe, die die Schlüssel zur Kunst von Tong Kunniao sind. Der in Peking lebende Künstler ist erst 30 Jahre alt, hatte aber bereits Einzelausstellungen in bedeutenden Galerien und Museen weltweit und war bei den wichtigsten Kunstmessen vertreten. Internationale Sammler kaufen seine absurd-komischen Bewegungsskulpturen. Nach Shanghai, Peking, Los Angeles und Basel sind seine Arbeiten jetzt in der Galerie Hua International in Berlin zu sehen.

Bleib abseits, bleib frei

"Just stay in the cold" - "Bleib in der Kälte, bleib abseits" - der lange zuvor gewählte Ausstellungstitel könnte nicht besser zur Zeit der Pandemie passen, meint Galeristin Hua Xiaochan. Natürlich hatte der Künstler zur Ausstellungseröffnung nach Berlin kommen wollen, denn Tong Kunniao stellt seine Objekte nicht nur aus, er performt mit ihnen. Die aktuellen Reisebestimmungen haben es letztlich verhindert. So musste er 'draußen' bleiben, "in der Kälte", aus der Ferne kommunizieren.

Tong hat an der Chinesischen Zentralakademie der Schönen Künste (CAFA) studiert und gehört inzwischen zu den gefragtesten Künstlern seiner Generation. Seine Kunst umfasst Skulpturen, Malerei, Performance, Fotografie und Poesie. Fragt man ihn selbst, betont er, er sei kein Künstler, sondern ein Vogel. Als solcher inszeniert er sich tatsächlich manchmal in seinen Performances, bei denen er mit seinen beweglichen Werken verschmilzt. Leicht, frei, beweglich.

Die Produkte unserer Wegwerfgesellschaft

Für seine Skulpturen trägt er Produkte der Wegwerfgesellschaft zusammen, sammelt Objekte auf Trödelmärkten, lässt sich von Freunden mit Aussortiertem beschenken oder bestellt schon mal die eine oder andere Kleinigkeit im allgegenwärtigen chinesischen Internet. In diesen gesammelten Materialien finden sich die Spuren und Geschichten von Menschen wieder, deren Leben in einem nicht enden wollenden Strom von Konsumgütern verläuft.

Wert, Gebrauch und Zerstörung werden zu unzuverlässigen Kategorien, unser Dasein zu einem ständigen Balanceakt. Tong hat sich mit Martin Heidegger und dessen Philosophie vom "Dasein" und der "Geworfenheit", also der Unausweichlichkeit des Daseins, beschäftigt und formuliert: "Im alltäglichen Leben sind wir damit beschäftigt, innerhalb des eigenen Selbst, der eigenen Gemeinschaft und mit den anderen ein Gleichgewicht zu finden."

In seinem weitläufigen Pekinger Atelier sammelt der Künstler Materialien für seine SkulpturenBild: XC·HuA Gallery

Spielerisch Balance halten

In seinen Kunstwerken sieht diese Balance spielerisch leicht aus, aber auch flüchtig und instabil. Sie reflektieren anschaulich und sinnlich die elementare Unsicherheit des Lebens in einer sich rasant verändernden Welt.

Die Ausstellung in der Berliner Galerie Hua International läuft noch bis zum 12. Dezember. Hua International ist auch im Pekinger Kunstviertel 798 vertreten.

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