Toni Kroos, Weltstar und Passmaschine
12. Oktober 2020Es gibt Dinge, die lassen sich einfach nicht wiederholen. Dazu gehört das letzte große Jubiläum von Toni Kroos als Nationalspieler: Als er zum 50. Mal ins Trikot mit dem Bundesadler schlüpfte, stand die deutsche Mannschaft im Halbfinale der Weltmeisterschaft 2014 gegen Gastgeber Brasilien. Der unvergessliche 7:1-Triumph der späteren Weltmeister war auch eine Kroos-Gala: Zwei Tore gegen die Brasilianer - das 3:0 in der 24. und das 4:0 in der 26. Minute - erzielte er selbst, zwei weitere Treffer bereitete er vor. Das 100. Länderspiel des Mittelfeldstars hingegen kann unspektakulärer kaum sein: In der Nations-League-Partie an diesem Dienstag gegen die Schweiz (Anpfiff 20.45 Uhr MESZ) wird sich Kroos als 15. deutscher Fußballer in die Riege derer mit einer dreistelligen Anzahl von Länderspielen einreihen.
Auch wenn es nur eine statistische Randnotiz ist, hätte man sich für Kroos einen etwas würdigeren Rahmen gewünscht als ein Spiel in einem sportlichen fragwürdigen Wettbewerb - und das auch noch Corona-bedingt vor fast wie leeren Rängen. Denn neben Nationaltorwart Manuel Neuer ist der 30-Jährige der einzige Weltstar im aktuellen DFB-Kader, "einer der größten Dirigenten, die der deutsche Fußball je hatte", wie es Ex-Nationalspieler Matthias Sammer im Kinofilm "Kroos" formulierte. "Was er an Konstanz und Klasse zeigt, ist einmalig," ergänzte Bundestrainer Joachim Löw vor Kroos' Jubiläumsspiel in Köln.
Von Klinsmann ausgemustert
Schon im Juniorenalter galt Toni Kroos als Fußball-Rohdiamant, der nur geschliffen werden musste. Vom Greifswalder SC in seiner ostdeutschen Geburtsstadt über Hansa Rostock führte Kroos' Weg schon 2006 im Alter von 16 Jahren zum deutschen Rekordmeister Bayern München. Der damalige Trainer Ottmar Hitzfeld holte ihn dann ein Jahr später in den Profikader. Mit 17 Jahren, acht Monaten und 22 Tagen wurde Kroos der jüngste Bayern-Bundesligaspieler der Geschichte, als er im Spiel gegen Energie Cottbus eingewechselt wurde. Die steile Karriere erhielt aber einen Knick, als dann Jürgen Klinsmann Trainer der Münchener wurde. "Mir wurde sehr oft gesagt, wie toll ich bin und wie richtig ich alles mache, aber ich habe nicht gespielt", erinnerte sich Kroos später an diese Phase beim Rekordmeister.
Die Bayern liehen ihn 2009 an den Liga-Konkurrenten Bayer Leverkusen aus. Unter dessen damaligen Trainer Jupp Heynckes avancierte Kroos zum Stammspieler und gab im März 2010 beim Testspiel gegen Argentinien auch sein Debüt im Nationaldress. In jenem Jahr kehrte Kroos zu den Bayern zurück und erkämpfte sich einen Stammplatz. Unter seinem Förderer Heynckes gewann der Mittelfeldspieler 2013 mit den Münchenern das Triple – auch wenn er wegen einer Muskelverletzung in der entscheidenden Saisonphase fehlte.
Immer über 90 Prozent
Als frischgebackener Weltmeister wechselte Kroos 2014 für eine Ablöse von rund 30 Millionen Euro zu Real Madrid. Und auch dort wurde er zum Leistungsträger. Die Passquote des 1,82 Meter großen Spielmachers ist legendär: So gut wie immer liegt sie über 90 Prozent, der Spitzenwert sogar bei 99 Prozent, 2017 im Champions-League-Spiel gegen Tottenham. Dreimal in Serie, von 2016 bis 2018, gewannen Kroos und Real die europäische Königsklasse.
2018 wurde Kroos zu Deutschlands "Fußballer des Jahres" gewählt und erklärte, dass er seine Karriere im Nationalteam trotz des WM-Desasters in Russland fortsetzen werde. Im vergangenen Jahr verlängerte Kroos in Madrid. Möglicherweise ist dies schon sein Fußball-"Rentenvertrag". "Die Idee ist erstmal, relativ bis zum Ende zu bleiben", sagte Kroos, nachdem er bei Real unterschrieben hatte. Angeblich verdient er bei den "Königlichen" 21 Millionen Euro im Jahr. Sollte die kolportierte Summe stimmen, wäre er der bestbezahlte deutsche Fußballprofi.
Stiftung für schwerkranke Kinder
Im Gegensatz zu manchen Fußballer-Kollegen drängt sich der 30-Jährige in der Öffentlichkeit nicht permanent in den Vordergrund. Seine Zurückhaltung wurde ihm von Kritikern zuweilen als Phlegma ausgelegt, doch dass Kroos durchaus Humor hat und auch über sich selbst lachen kann, beweist er seit vergangenem Mai mit dem Podcast "Einfach mal Luppen" (Lupfen). Darin albert er mit seinem jüngeren Bruder Felix, der beim Zweitligisten Eintracht Braunschweig unter Vertrag steht, auch einfach mal herum.
Sonst schirmt Toni Kroos sein Privatleben weitgehend ab. 2015 feierte er im Stillen die Hochzeit mit seiner langjährigen Freundin Jessica Farber. Das Paar hat zwei Söhne und eine Tochter. Vor fünf Jahren rief der Fußballer die Toni-Kroos-Stiftung ins Leben, die schwerkranke und behinderte Kinder sowie deren Familien unterstützt.
"Nicht schlecht gelaufen"
Dass er nun gegen die Schweiz sein 100. Länderspiel bestreitet, sei "schon was Besonderes", sagte Kroos der "Bild"-Zeitung, "weil es ja auch ein Zeichen ist, dass es nicht ganz so schlecht gelaufen ist, wenn man so oft dabei war." Ansonsten hängt er das Jubiläum nicht zu hoch. Er werde sich nicht lange damit aufhalten, sagte Kroos: "Denn im Kopf ist die Europameisterschaft. Und hundert Länderspiele hin oder her, es geht darum, weiter erfolgreich zu sein." Als schönstes Länderspiel bezeichnete der Mittelfeldstar übrigens nicht das 50. mit dem Kantersieg gegen Brasilien, sondern Nummer 51: Das gewonnene WM-Finale 2014 in Rio de Janeiro gegen Argentinien.