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Tony Martin: "Der WM-Sieg ist machbar"

12. April 2019

Nach eher enttäuschenden Jahren bei Katusha-Alpecin wagt Tony Martin mit fast 34 Jahren beim Team Jumbo-Visma einen Neuanfang. Und der führt ihn zurück zu seinen Wurzeln, erklärt der Radprofi Im DW-Interview.

Baskenland-Rundfahrt 2019 - 1. Etappe Zeitfahren Zumarraga - Tony Martin
Findet Tony Martin in seiner Spezialdisziplin Zeitfahren zu alter Stärke zurück?Bild: picture-alliance/Augenklick/Roth

DW: Tony Martin, Sie werden in diesem Monat 34 Jahre alt. Wie viele Jahre Profiradsport gibt Ihnen ihr Körper noch?

Ich glaube, mein Körper ist schon noch für ein paar Jahre bereit. Physisch sehe ich jetzt nicht das Problem, ich denke eher, dass der mentale Faktor irgendwann eine Rolle spielen wird. Ich habe jetzt auch eine kleine Familie. Die Tage weg von zuhause tun da natürlich auch weh, gerade wenn man ein kleines Kind hat und das Heranwachsen nicht miterleben kann. Insofern plane ich jetzt erstmal nicht zu langfristig, ich habe einen Zweijahresvertrag. Die Tendenz geht erstmal dahin, dass ich noch ein paar Jahre mehr fahre, aber so richtig ernsthaft kann ich das erst entscheiden, wenn nochmal ein bis anderthalb Jahre vergangen sind.

Was war für Sie ausschlaggebend, noch einmal das Team zu wechseln?

Ich wollte nochmal einen Wechsel. Die letzten drei Jahre liefen leider nicht so wie erwartet oder wie erhofft. Das hatte sicherlich mehrere Gründe. Mein altes Team Katusha-Alpecin und ich haben nicht so ganz zusammen gefunden, und deswegen war der Wechsel für mich ein Muss. Das Team Jumbo-Visma vertritt eine Philosophie, mit der ich zu 100 Prozent übereinstimme. Ich bin wirklich sehr, sehr motiviert. Wie mich das Team unterstützt und pusht, ist wirklich grandios.

Fühlten Sie sich bei dem Team Katusha-Alpicin nicht richtig unterstützt?

Ich möchte mich nicht groß dazu äußern. Wir haben sicherlich verschiedene Philosophien vertreten, die nicht zusammen gepasst haben, und insofern war der Wechsel für mich von Nöten. Aber ich denke auch, dass der Wechsel auf beiderseitigen Willen zurückzuführen ist. 

Mit dem neuen Team scheinen sie auch eine neue, alte Saisonplanung zu verfolgen: Die Frühjahrsklassiker stehen nicht in Ihrem Programm, dafür Rundfahrten mit Einzelzeitfahren.

Genau, ich möchte mich wieder auf alte Stärken konzentrieren und zu alten Strategien zurückfinden. Die kleineren Rundfahrten mit Zeitfahren bieten mir immer reichlich Chancen, da komme ich sportlich her. Das Team will mich in eine alte, gewohnte Atmosphäre zurückbringen, die funktioniert hat.

Die Zeit bei Katusha-Alpecin war geprägt von Rückschlägen und Enttäuschungen für Tony MartinBild: picture-alliance/Belga/Y. Sunada

Das Frühjahr und insbesondere die Klassiker werden von einem Team dominiert, für das Sie schon gefahren sind: Deceuninck-Quickstep. Auch am Sonntag bei Paris-Roubaix sind sie die Favoriten. Was macht diese Mannschaft besser als andere?

Es ist wohl einfach die mentale Stärke, die das Team hat. Die haben ein ganz anderes Selbstbewusstsein als andere Teams. Die Fahrer wissen, wenn sie am Start sind, dann sind sie die Leitwölfe. Sie sind es, die angreifen, die das Tempo bestimmen. Und jedes Jahr werden dort auch neue Talente gefördert. Alles in allem hat Deceuninck-Quickstep eine Atmosphäre geschaffen, die ganz schwer für andere Teams zu imitieren ist. Die einzige Schwäche, die sie haben, ist vielleicht, dass sie zu viele Häuptlinge in der Mannschaft haben, die ihre Chance suchen. Aber sie sind nur schwer zu schlagen.

Werfen wir den Blick etwas voraus: Die Tour de France ist wie immer der Saisonhöhepunkt. Mit welchem Ziel gehen Sie dort an den Start?

Ich werde vor allem als Helfer antreten. Am zweiten Tag gibt es ein Mannschafts-Zeitfahren sein, das für die Kapitäne sehr entscheidend sein wird. An diesem Tag habe ich eine Hauptrolle [Tony Martin fährt für seinen Teamkapitän und Mitfavoriten Primož Roglič - Anm. d. Red.]. Für mich selbst könnte das Einzelzeitfahren [auf der 13. Etappe in Pau] interessant sein. Davor werde ich auch schauen, dass ich etwas Kräfte sparen kann.

In ihrer Spezialdisziplin Zeitfahren haben Sie die dominante Stellung früherer Jahre verloren. Wie könnte ihr Weg zurück aussehen?

Der Weg zurück ist auf jeden Fall mein Ziel. Und ich denke, dass ich mit meinem neuen Team den richtigen Partner habe, der mir die besten Rahmenbedingungen bietet. Ich spüre, dass das Potenzial noch da ist. Wenn alles stimmt am Tag der Weltmeisterschaft und mir die Strecke auch wieder etwas mehr entgegenkommt, dann ist auch der Sieg auf jeden Fall im machbaren Bereich. 

Nach Jahren des medialen Abseits scheint Deutschland die Tour de France und den Radsport wiederentdeckt zu haben. Sponsoren sind zurück, das Fernsehen überträgt wieder häufiger. Wie erleben Sie diese Entwicklung?

Man kann wirklich sagen, dass ich alle Phasen der Begeisterung und auch der Ablehnung des Radsports mitgemacht habe. 2008, als der Radsport in Deutschland am Boden war und alle Radprofis ohne jede Differenzierung als Dopingsünder verschrien waren, hat es absolut keinen Spaß gemacht, in Deutschland Radrennen zu fahren. Ich glaube, dass wir durch ganz viel Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit wiedererlangt haben, natürlich auch durch viele schöne Erfolge der deutschen Fahrer. Die Begeisterung beim Tour-Start in Düsseldorf 2017 war wirklich grandios. Das war für mich eine der schönsten Belohnungen.

Tony Martin, Jahrgang 1985, ist seit 2008 Radprofi und gilt mit vier WM-Titeln (2011, 2012, 2013 und 2016) als einer der besten Zeitfahrer seiner Generation. In den vergangenen Jahren zogen andere in seiner Spezialdisziplin an ihm vorbei, was den Wahlschweizer zum Wechsel zum aufstrebenden niederländischen Jumbo-Visma-Team bewog, für das auch Tour-de-France-Favorit Primož Roglič fährt. Aktuell ist der gebürtige Cottbusser bei der Baskenland-Rundfahrt unterwegs, wo er als 58. im Zeitfahren jedoch nicht überzeugen konnte. Martin, der schon vier Etappen bei der Tour de France gewann, ist ausgebildeter Polizeimeister, derzeit aber als aktiver Profisportler freigestellt.

Das Interview führte Joscha Weber.

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