Tony Martin allein der Schnellste
10. Juli 2013Eigentlich schien dieser Sieg gar nicht möglich. Eigentlich. Nach seinem schweren Sturz auf der ersten Etappe fuhr Tony Martin quasi von Kopf bis Fuß bandagiert zehn Tage quer durch Frankreich, litt in den Bergen, klagte über offene Wunden und kam nach der Etappe nicht mal allein aus seinen Rennklamotten. Ein Foto vom nackten Tony Martin kursierte auf Twitter, das deutlich machte, wie sich der 28-Jährige jeden Tag quälen musste: Vom Po bis zur Schulter fehlte beinahe die Hälfte der Haut auf Martins geschundenem Körper. "Ich hatte große Schmerzen", bekannte Martin, den zusätzlich eine Lungenprellung bremste.
Sekundenpoker in der Bretagne
Doch ein Gedanke ließ ihn durchhalten: der Glaube an den Sieg beim Einzelzeitfahren auf der 11. Etappe. Die 33 flachen Kilometer von Avranches zum pittoresken Kloster Mont Saint-Michel lagen ihm, das wusste Martin, der sich trotz der Verletzungen vor der Etappe selbst zum Topfavoriten kürte. Auf der Strecke zeigte er seine ganze Klasse: in perfekter Aero-Position und mit großen Gang raste Martin kraftvoll dem Ziel entgegen, ließ sich auch vom böigen Gegenwind nicht bremsen. Seit dem Mittag stand seine Bestzeit von 36:29 Minuten bis zum letzten Fahrer: Chris Froome. Gebannt schaute Martin auf den Bildschirm vor ihm, seine Miene blieb regungslos. In ihm müssen die Gedanken aber gearbeitet haben. Denn Froome, der Topfavorit auf den Gesamtsieg, war bei beiden Zwischenzeiten schneller als Martin: erst eine Sekunde, dann zwei Sekunden.
Auf dem letzten windanfälligen Teilstück entlang der Küste verlor das britische Leichtgewicht aber etwas Zeit fuhr mit zwölf Sekunden Rückstand auf Martin über den Zielstrich. Es folgte der erlösende Jubel bei Tony Martin, der sich mit seinem Sieg selbst belohnte für seinen großen Durchhaltewillen. "Ich hatte schreckliche letzte halbe Stunde. Ich dachte nicht, dass es so knapp wird. Aber am Ende ist es nicht wichtig, wie eng die Entscheidung war, sondern, dass ich die Etappe gewonnen habe", fasste Martin treffend zusammen. Tagesdritter wurde überraschend der Belgier Thomas de Gendt mit 1:01 Min. Rückstand auf Martin.
Darf man Froome schon gratulieren?
Während Chris Froome durch eine hervorragende Leistung auf dem Zeitfahrrad seinen Vorsprung im Gesamtklassement vergrößerte, zeigte Mitfavorit Alberto Contador eine enttäuschende Vorstellung: Auf Konkurrent Froome büßte der Spanier 2:03 Minuten ein, der 2009 noch Spezialisten wie Fabian Cancellara in dieser Disziplin in die Schranken gewiesen hatte. Ohnehin stellt sich beim Blick auf das Gesamtklassement die Frage, wer Chris Froome überhaupt noch gefährlich werden kann: Alejandro Valverde aus Spanien ist Zweiter mit 3:25 Min. Rückstand, der Dritte Bauke Mollema aus den Niederlanden liegt 3:37 Min. zurück, gefolgt von Alberto Contador, der bereits 3:54 Rückstand hat. Es scheint, als sei das Rennen um den Toursieg schon vor der Halbzeit der Großen Schleife gelaufen.
Ein unangenehme Begegnung hatte Sprinter Mark Cavendish vor seinem Start zum Einzelzeitfahren: Der britische Profi wurde von einem Zuschauer mit Urin bespritzt. Der Zwischenfall ist zurückzuführen auf den Zusammenstoß von Cavendish mit dem Niederländer Tom Veelers im Finale des zehnten Teilstücks am Dienstag. Einige Zuschauer gaben Cavendish die Schuld an dem Vorfall, bei dem Veelers schwer zu Fall gekommen war. "Sie haben ihn erst beschimpft, und dann hat irgendein Idiot einen Becher mit Urin nach ihm geworfen", sagte Cavendishs Teamchef Patrick Lefevere.