Tote und Verletzte bei Protesten im Irak
3. November 2019Bei Zusammenstößen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei in Bagdad hat es erneut Todesopfer gegeben. Zwei Demonstranten seien am Wochenende getötet worden, teilten Rettungskräfte der Nachrichtenagentur AFP mit. Im Irak hat sich Anfang Oktober eine Protestbewegung gegen die Regierung formiert. Seitdem wurden mehr als 250 Menschen bei den Protesten getötet.
Tränengas gegen Demonstranten
Die Demonstranten versammelten sich erneut auf dem Tahrir-Platz. Auf angrenzenden Brücken, die über den Tigris in die stark gesicherte Grüne Zone mit ihren Regierungsgebäuden und ausländischen Botschaften führt, gingen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Regierungsgegner vor. Sie versuchten die Menge mit Tränengas zurückzudrängen, die Demonstranten zogen sich hinter Barrikaden zurück. Abgesehen von den zwei Todesopfern gab es nach Angaben von Rettungskräften Dutzende Verletzte.
Nach Angaben aus Sicherheitskreisen und von Rettungskräften wurden in den vergangenen Tagen mehrere Demonstranten durch Tränengas-Granaten der Sicherheitskräfte getötet. Diese seien deutlich gefährlicher als herkömmliche Tränengas-Granaten und können nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schädel durchschlagen.
Regierungskritiker besetzen bedeutenden Hafen
Bei Protesten um den Hafen in Umm Kasr sind am Samstag mindestens 120 Menschen verletzt worden. Die Sicherheitskräfte setzten auch dort Tränengas und scharfe Munition gegen die Demonstranten ein, die den Hafen im Süden des Landes seit Tagen blockieren, berichtete das unabhängige Irakische Hochkommissariat für Menschenrechte. Dutzende Schiffe wurden an der Entladung ihrer Waren gehindert. Umm Kasr ist Iraks wichtigster Zugang zum Meer.
Eine Parlamentskommission rief die Demonstranten auf, die Blockade des einzigen Tiefwasserhafens im Irak zu beenden. Die Häfen des Landes seien für die Wirtschaft von großer Bedeutung. Augenzeugen berichteten, dass die Sicherheitskräfte rund 1000 Demonstranten angegriffen hätten, die die Tore des Hafens blockieren. Die Sitzblockade nahe der südirakischen Stadt Basra ist Teil der Massenproteste gegen die Regierung.
Chaos auf den Straßen
Die Proteste haben das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gebracht. In Bagdad sowie in Städten im Süden des Landes blieben Schulen und Verwaltungen erstmals flächendeckend geschlossen, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Demonstranten legten außerdem mit Straßenblockaden den Verkehr lahm. Der Sonntag ist in dem mehrheitlich muslimischen Land der erste Tag der Arbeitswoche.
In Bagdad parkten junge Iraker Autos auf den Hauptverkehrsstraßen. Die Polizei beobachtete die Situation, griff aber nicht ein. In der Stadt Kut im Osten des Landes blockierten Demonstranten Straßen und Brücken. "Wir haben beschlossen, die Straßenverbindungen zu kappen, als Botschaft an die Regierung, dass wir weiter protestieren werden, bis die korrupten Menschen und Diebe vertrieben sind und das Regime fällt", sagte Tahseen Nasser, ein 25-jähriger Demonstrant.
Schüler nahmen an Sitzstreiks an ihren Schulen teil. Die Lehrergewerkschaft des Landes verlängerte den Streik, den sie vergangene Woche begonnen hatte. Auch die Ingenieur-, Ärzte- und Anwaltskammern unterstützen die Proteste.
Regierung kündigt Reformen an
Die Protestbewegung wendet sich mittlerweile gegen die gesamte politische und religiöse Führungselite und fordert den "Sturz des Regimes". Studenten, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen haben sich dem Protest angeschlossen.
Die von der Regierung angebotenen Reformen und Pläne für eine vorgezogene Parlamentswahl stellten die Demonstranten nicht zufrieden. "Wir haben seit 16 Jahren Wahlen und wir haben nichts bekommen", sagte der 30-jährige Demonstrant Haidar. Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi kündigte an, zurückzutreten, sobald ein Ersatz für ihn gefunden sei. Das neue Wahlgesetz soll dem Parlament kommende Woche vorgelegt werden. Doch die Demonstranten warnen davor, sich mit "Fake-Reformen" zufrieden zu geben.
"Den Irakern Gehör schenken"
US-Außenminister Mike Pompeo rief die irakische Regierung zum Dialog mit den Demonstranten auf. Sie solle "den legitimen Forderungen der Iraker Gehör schenken", erklärte Pompeo in Washington. Der Regierung von Ministerpräsident Abdel Mahdi warf Pompeo vor, ihrer Untersuchung zur Gewalt bei den Protesten mangele es an "ausreichender Glaubwürdigkeit". Die Iraker hätten ein Recht auf "echte Rechenschaft und Gerechtigkeit". Der US-Außenminister rief alle Seiten zum Gewaltverzicht auf.
pgr/qu (dpa, rtr, afp, ap)