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Die Tour hofft auf mehr Spannung

Joscha Weber Brüssel
5. Juli 2019

Zum Start der Tour de France 2019 in Brüssel sprechen alle über die Chancen, die das verletzungsbedingte Fehlen von Chris Froome bietet. Doch so einfach dürfte die Dominanz seines Teams Ineos nicht zu brechen sein.

Radsport | Tour de France 2018 - 19. Etappe Lourdes - Laruns
Bild: picture-alliance/Augenklick/Roth

Die Gassen der Brüsseler Innenstadt sind verführerisch. Es duftet nach kross frittierten Pommes und vor der kleinen Friterie unweit des zentralen Grand Place hat sich bereits eine Schlange gebildet. Es ist Abendzeit und wie immer mischen sich hier Touristenscharen mit Studenten und Anzugträgern aus dem EU-Viertel. Diesem Duft kann kaum jemand wiederstehen. Gleich daneben locken süße Sünden beim Feinbäcker: Törtchen, Pralinen, Flan Pâtissier und Macarons schmücken die gut beleuchteten Auslagen. Und an diesen Verlockungen müssen sie vorbei, die Fahrer der Tour de France. Auf dem Weg zur Teampräsentation auf dem zentralen Platz Brüssels durchqueren sie Menschenmengen und die süß-herzhaften Gerüche der Stadt, die das Essen liebt. Was für eine Gemeinheit. Denn zur Vorbereitung auf die Tour gehört für die Fahrer längst auch eine strenge Diät. Kein Gramm Fett zu viel soll die Berge hochgeschleppt werden, nur so ist man heute konkurrenzfähig, insbesondere am Berg. Manche Profis essen ihre Nudeln daher ohne Soße, andere wiegen ihr Essen vorher penibel ab, und die meisten haben seit längerem keine Süßigkeiten mehr angerührt.

Der Verzicht gehört zur Tour de France. Das war schon immer so. Während Frankreich den Sommer genießt, müssen die "Helden der Landstraße", wie sie seit der Erstauflage der Tour de France 1903 genannt werden, schuften. Der Radsport, der aus dem Arbeitermilieu hervorging, definierte sich nie über Genuss und Schönheit, sondern über Leidensfähigkeit und Ausdauer. Und dies sind auch zur 106. Auflage die Grundvoraussetzungen zum Sieg.

Die Rebellion der Verfolger

Wer wird sich dieses Mal am besten quälen können? Diese Frage elektrisiert zum Start das Peloton und die Fans. Denn das Fehlen von Chris Froome, der beim Critérium du Dauphiné schwer stürzte und lange ausfällt, eröffnet Möglichkeiten und beflügelt die Fantasie. "Ich denke, das wird eine sehr offene Tour. In Abwesenheit von Chris Froome werden einige Fahrer mutiger sein und attackieren", sagt Vincenzo Nibali im Gespräch mit der DW. Der Italiener war 2014 der letzte, der die Dominanz des Sky-Teams (das jetzt Ineos heißt) durchbrechen konnte und gewann - weil besagter Froome nach einem Sturz aufgeben musste. Damals verlief die Tour unvorhersehbarer, das Rennen wirkte weniger kontrolliert. Ist ein ähnliches Szenario auch 2019 denkbar?

Die Meinungen dazu gehen auseinander. Einerseits fehlen mit Froome und Tom Dumoulin zwei der derzeit stärksten Rundfahrtspezialisten, und der sparsame Umgang der Tour-Organisation mit Zeitfahrkilometern wird das Spitzenfeld enger zusammenrücken lassen. Andererseits tritt das starke britische Ineos-Team erneut mit zwei Siegkandidaten an - und könnte die eigene Ära durchaus fortsetzen. Vorjahressieger Geraint Thomas aus Wales und der erst 22-jährige Kolumbianer Egan Bernal stehen bei fast allen Buchmachern ganz weit oben auf dem Zettel. "Wer auf wen wettet, bedeutet mir nichts", sagt Geraint Thomas, der ebenfalls einen schweren Sturz in der Vorbereitung hatte, aber ohne Knochenbrüche davonkam. "Ich hatte Glück und fühle mich gut. Mein Sturz hat keine bleibenden Schäden hinterlassen."

Angesprochen auf die Frage, wie das mit der Doppelspitze mit dem jungen Ausnahmetalent Bernal funktionieren werde, sagt der elf Jahre ältere Brite: "Egan Bernal ist ein ehrlicher und korrekter Typ. So lange wir miteinander sprechen und ehrlich zueinander sind, wie es Chris Froome und ich letztes Jahr waren, ist es ein großer Vorteil, zwei Fahrer fürs Finale zu haben."

Generationswechsel bei den Sprintern

Dylan Groenewegen (Mitte) könnte die Sprints prägenBild: Getty Images/AFP/P. Lopez

Kein Wunder also, dass die anderen Kandidaten auf das Podium in Paris die Favoritenrolle dem Ineos-Duo zuschieben. So sieht der Däne Jakob Fuglsang, der mit seiner starken Astana-Mannschaft viele Rennen der Saison dominierte, das 40 Millionen Euro schwere Ineos-Ensemble in der Verantwortung, das Rennen zu machen. Doch in die Respektsbekundungen mischt sich auch etwas Aufmüpfigkeit. Sein Team wolle Ineos herausfordern, dessen Stärke testen und "ein offenes Rennen zu schaffen. Wir verfolgen einen aggressiveren Ansatz", verspricht Fuglsang. Auch das spanische Movistar-Team mit seiner Dreier-Spitze aus Nairo Quintana (Kolumbien), Alejandro Valverde und Mikel Landa (beide Spanien) wird nach Lücken in der Ineos-Mauer suchen, die britischen Yates-Zwillinge Adam und Simon ebenfalls, und Frankreich hofft wieder einmal auf die Kletterer Thibaut Pinot und Romain Bardet, die der Druck der hohen Erwartungen aber zu bremsen scheint. Und dann ist da noch ein junger Deutscher: Emanuel Buchmann, der sich im DW-Interview kämpferisch gibt und es im Gesamtklassement als erster Deutscher seit Andreas Klöden im Jahr 2006 auf das Podium schaffen könnte.

Bevor die Favoriten auf den Gesamtsieg erstmals auf der sechsten Etappe in den Vogesen in Erscheinung treten, gehört die Bühne aber den Sprintern. Traditionell startet die Tour auf flachem Terrain, und das ist auch in Brüssel nicht anders. Auffällig ist, dass die Namen der Favoriten auf die ersten Tagessiege neu sind. Die deutsche Riege ist nach Jahren der Dominanz nicht mehr an vorderster Front: Marcel Kittel macht derzeit eine Karrierepause, John Degenkolb wurde nicht von seinem Team nominiert, und der inzwischen 37-jährige André Greipel fährt seiner Form früherer Tage hinterher. Das gilt auch für Topstar Peter Sagan, dem nach einem Formtief noch die Leichtigkeit fehlt.

Stattdessen muss man den gedrungenen Australier Caleb Ewan beachten, der im Sprint so tief über dem Lenker liegt, dass man Angst hat, er könnte vorne überkippen. Oder den Niederländer Dylan Groenewegen, ein bulliger und ziemlich unerschrockener Vertreter seines Faches, der die lange Durststrecke der Niederländer, die seit 1989 auf ein Gelbes Trikot warten, beenden soll. Dazu kommen der italienische Tour-Debütant Elia Viviani mit seinem starken Deceuninck-Team, der erfahrene Norweger Alexander Kristoff und der vielseitige Australier Michael Matthews. Angesichts des Fragezeichens hinter Sagans Form scheint auch der Kampf um das Grüne Trikot offener als in den Vorjahren.

Kaum jemand spricht über Doping

Setzt Ineos seine Dominanz bei der Tour de France fort? Mit Thomas (Mitte) und Bernal stehen zwei Siegkandidaten paratBild: picture-alliance/PRO SHOTS/G. Deswijzen

Doping ist zum Start in den Gassen von Brüssel kein Thema, ohnehin sind die Belgier seit jeher radsportbegeistert, können Skandale schneller abhaken als beispielweise die deutsche Öffentlichkeit und huldigen ehrfürchtig ihren Radhelden. Insbesondere natürlich der belgischen Ikone Eddy Merckx, der bei seinem Gang zu einem mobilen TV-Studio bejubelt wird und dem der Tour-Start gewidmet ist.

Vor 50 Jahren gewann er erstmals die Tour, vier weitere Siege folgten, allerdings auch zwei positive Dopingtests. Alles lange her, wenn man die belgischen Fans fragt. Dass der im Vorjahr wegen seiner Salbutamol-Affäre ausgepfiffene Chris Froome dieses Mal fehlt, lässt die Tour de France unbeschwerter und offener beginnen als in den Vorjahren. Den Veranstaltern dürfte das gefallen.

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