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Politik

Tränen und Freude bei den Chibok-Mädchen

Adrian Kriesch
21. Mai 2017

Vor zwei Wochen sind 82 von der Terrorgruppe Boko Haram aus Chibok entführte Mädchen wieder freigelassen worden. Nun durften sie das erste Mal ihre Eltern treffen. Adrian Kriesch berichtet aus Nigerias Hauptstadt Abuja.

Nigeria Abuja -  Endlich vereint: Rebecca Ntakai und Ntakai Keki mit ihrer Tochter Hauwa
Endlich vereint: Rebecca Ntakai und Ntakai Keki mit ihrer TochterBild: DW/A. Kriesch

Wiedersehensfeier Chibok-Mädchen

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Sie sind erschöpft und müde. Und sie warten geduldig darauf, dass es endlich weitergeht. Stundenlang saßen die Eltern der 82 freigelassenen Mädchen in unbequemen Minibussen, um von Chibok im Nord-Osten Nigerias in die Hauptstadt Abuja zu kommen. Auch die Nacht haben sie im Bus verbracht. Jetzt machen sie eine Pause in einem Freizeitzentrum.

Rebecca Ntakai ist die gute Laune nicht vergangen. Während die Eltern neben ihr mit der Müdigkeit kämpfen, reißt sie Witze und kann nicht aufhören zu lächeln. "Ich bin einfach nur dankbar und kann es nicht erwarten, meine Tochter Hauwa endlich wieder in die Arme zu nehmen", sagt die Mutter. Dann geht es endlich los. Die Eltern stellen sich in einer langen Reihe auf. Ihre Namen werden aufgerufen. Mit neuen Bussen sollen sie in ein Krankenhaus des Geheimdienstes gebracht werden, wo ihre Töchter medizinisch versorgt werden.

Verfolgungsjagd nach der Entführung

Auch Hauwas Vater Ntakai Keki wartet geduldig in der Schlange. Er wird den Tag nicht vergessen, an dem seine Tochter verschleppt wurde. "Als ich gehört habe, dass sie entführt werden, habe ich mich mit meinem jüngeren Bruder aufs Motorrad gesetzt und sie verfolgt", sagt Keki. Unterwegs fanden sie immer wieder Kleidungsstücke. Die Mädchen hatten sie fallen gelassen, damit man ihnen folgen konnte. Doch irgendwann verloren die Männer die Spur und mussten aufgeben. "Die Regierung und die Soldaten haben uns nicht unterstützt, obwohl wir unterwegs immer wieder an Militärstützpunkten vorbeigefahren sind."

Die frühere Regierung von Goodluck Jonathan wurde scharf dafür kritisiert, dass sie viel zu spät reagierte. Erst drei Monate nach der Entführung empfing der Präsident die Angehörigen und versprach, sie würden ihre Kinder in spätestens drei Wochen wiedersehen. Doch danach sei nichts mehr passiert, beklagen die Eltern. Keine neuen Informationen, keine Hinweise auf mögliche Fortschritte.

Täglich fragten Hauwas elf Geschwister ihren Vater: Wie geht es ihr? Bekommt sie genug essen? Wo schläft sie? Auf einer Matratze? Auf dem Fußboden? "Ich habe dann versucht sie zu beruhigen und ihnen gesagt, dass alles okay ist und sie eines Tages zurückkehren wird", sagt Ntakai Keki.

Tränen, Freude, Gebete

Dann steigt Ntakai Keki mit seiner Frau endlich in den Bus. Wenige Minuten später kommen sie am schwer bewachten Geheimdienstgelände an. Doch im Inneren des Geländes herrscht Feststimmung. Bunte Zelte sind aufgebaut, Essen und Getränke werden serviert, laute Musik kommt aus Lautsprechern. Dann öffnen sich die Bustüren und 83 überwältigte Mädchen treffen auf ihre Eltern. Nach drei Jahren und zwei Monaten. Tränen fließen, es wird gelacht, getanzt, gebetet.

Feststimmung beim Wiedersehen Bild: Reuters/A. Sotunde

Rebecca schnappt sich ihre Tochter und hebt sie auf ihren Rücken. So wie sie es früher machte, als Hauwa noch ein Kind war. Hauwa kann kaum aufhören zu weinen. Ihr Vater drückt sie an seine Brust und kämpft selbst mit den Tränen. Vergebens.

Keine heiklen Fragen zur Vergangenheit

Hauwa trägt ein buntes traditionelles Gewand, sieht auf den ersten Blick gesund aus. Aber niemand weiß, was sie durchgemacht hat. Journalisten dürfen zum Schutz der Mädchen nicht mit ihnen sprechen. Auch Ntakai will ihr keine heiklen Fragen stellen. Nicht jetzt. Nicht hier.

Die Regierung lässt sich kaum darüber aus, wie sie sich um die Mädchen kümmert – und gerät dafür zunehmend in die Kritik. Klar ist nur: die Freigelassenen bleiben in der Hauptstadt, in Obhut der Regierung. Hier bekommen sie medizinische und psychologische Unterstützung, und sie sollen wieder zur Schule gehen.

Nigerias Präsident Muhammadu Buhari und die freigelassenen Chibok-Mädchen Anfang Mai in AbujaBild: Reuters/Presidential Office/B. Omoboriowo

Im Oktober 2016 waren bereits 23 Mädchen freigelassen worden. Einige Eltern beklagten gegenüber der DW, dass sie ihre Kinder seitdem nur ein einziges Mal sehen durften und keinen Zugang zu ihnen haben. Die Regierung kündigte an, die Mädchen würden Chibok zeitnah besuchen dürfen.

"Die Regierung hat einige Sicherheitsproblematiken angesprochen", sagt der Analyst Jibo Ibrahim vom Zentrum für Demokratie und Entwicklung. "Beispielsweise wurden die meisten Mädchen mit Boko Haram-Kämpfern verheiratet und die Sicherheitsdienste haben Sorgen, dass einige konvertiert seien." Es sei trotzdem nicht akzeptabel, sie so lange von Familie, Freunden und Verwandten fernzuhalten. "Dafür sehe ich keine Rechtfertigung und die Gründe der Regierung reichen dafür nicht aus", so Ibrahim. 

Rebecca Ntakai kurz nach der Ankunft in AbujaBild: DW/A. Kriesch

Dass Hauwa vorest nicht mit ihren Eltern zurück nach Chibok kommen kann, daran wollen die Eltern vorerst nicht denken. "Ich bin so glücklich und dankbar zu Gott", sagt der Vater und drückt der Tochter sein altes Mobiltelefon in die Hand, damit sie auch mit ihren Geschwistern telefonieren kann. Mutter Rebecca zeigt ihr Familienfotos. In drei Jahren sind einige neue Familienmitglieder dazugekommen. "Ich bin so dankbar", sagt sie immer wieder. Und sie kann nicht aufhören zu lächeln.

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