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Traditionsgemäß

Tamas Szabo22. April 2002

- Nach vier Jahren wurde in Ungarn wieder eine Regierung abgewählt

Köln, 22.4.2002, Köln, DW-radio

Ungarn hat ein neues Parlament gewählt. Zwar konnte die größte Regierungspartei Fidesz-MPP (Bund Junger Demokraten - MD) nach einem grandiosen Endspurt die zweite Runde für sich entscheiden, für einen Wahlsieg reichte es jedoch nicht aus. Die bisher oppositionellen Sozialisten (MSZP) gewannen 178 der 386 Sitze im Parlament, der Bund Freier Demokraten erreichte 20 Mandate. Die Partei von Premier Viktor Orbáns Fidesz-MPP im Bündnis mit dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF) kam auf 188 Mandate. Damit steht fest: Es kommt zum Regierungswechsel in Ungarn.

Das wichtigste Ergebnis der Parlamentswahlen in Ungarn: Die Wähler haben die demokratische Prüfung bestanden. Mit der überraschend hohen Wahlbeteiligung von 71 Prozent in der ersten und 73,4 Prozent in der zweiten Runde sorgten die von ihrer Eigenwilligkeit bekannten Ungarn für einen im Vorfeld unerwarteten Regierungswechsel. Dies ist schon Tradition in Ungarn: Bisher führten alle vier demokratischen Wahlen zur Ablösung der jeweiligen Regierungskoalition.

Präsident Ferenc Mádl wird nun wohl die Sozialisten mit der Bildung der Regierung beauftragen. Der 59-Jährige Finanzexperte Péter Medgyessy wird der künftige Ministerpräsident des Landes sein.

Zugegeben: Diesen Luxus haben sich die Wähler ohne weiteres erlauben können. Bei den Wahlen 2002 ging es nicht um eine Richtungsentscheidung. Programmatisch liegen die führenden Parteien dicht nebeneinander. Sowohl die MSZP als auch die Fidesz-MPP erweisen sich als engagierte Verfechter der ungarischen Westintegration, beide kämpfen für den schnellstmöglichen Beitritt in die EU. Beide garantieren Ungarns Verlässlichkeit als NATO-Partner.

Auch wirtschaftspolitisch findet man mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Beide Parteien hissen die Flagge der sozialen Marktwirtschaft und versprechen ein kräftiges Wachstum. Sie wissen auch, für eine allzu eigenständige Wirtschaftspolitik besteht kaum Spielraum: Während die Fidesz-MPP die bürgerlichen Schichten fördert und ködert, betont die MSZP, man müsse den Armen unter die Arme greifen.

Entscheidend wurde deshalb das "gewisse Etwas". Und das liegt vor allem im weltanschaulichen und mentalen Bereich. Zwar konnte sich die nationalkonservative Orbán-Regierung ein gutes Zeugnis ausstellen – und die Wirtschaftsdaten gaben ihr Recht -, doch der anmaßende Stil des 39-jährigen Regierungschefs, die arrogante Machtpolitik der Fidesz-MPP, die Selbstaufreibung des Koalitionspartners - der Kleinlandwirte -, die Korruptionsgerüchte und der Flirt mit der rechtspopulistischen Wahrheits- und Lebenspartei (MIÉP) kosteten Wählerstimmen. Nach der Niederlage in der ersten Runde startete zwar Orbán eine Großoffensive - die Regierung erhöhte rückwirkend die Renten und mobilisierte Hunderttausende zu Massenveranstaltungen – und konnte den zweiten Wahlgang für sich entscheiden. Doch es reichte nicht aus, das Ruder umzureißen.

Die MSZP, die für sich sozialdemokratische Werte reklamiert, warb mit Berechenbarkeit in der Wirtschaftspolitik, mit Steuerreform und Transparenz bei öffentlichen Ausgaben um die Gunst der Stimmberechtigten. Sie erwies sich als eher zurückhaltend und konnte entscheidende Fehler während der Wahlkampagne vermeiden. So schaffte sie es, viele unentschlossene Wähler auf ihre Seite zu ziehen.

Das spektakuläre Scheitern der antiwestlichen MIÉP ersparte Ungarn eine außenpolitische Blamage. Eine Beteiligung der rechtsextremistischen Kräfte an der Regierung oder ein von der MIÉP toleriertes Minderheitskabinett hätte die Beziehungen sowohl mit den NATO-Partnern als auch mit den Nachbarländern verschlechtert und die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union merklich gestört. Auch die EU kann aufatmen: Nichts wäre peinlicher, als eine Südflanke aus Gleichgesinnten in Italien, Österreich und Ungarn.

Die neue ungarische Regierung und die EU können jetzt beruhigt die Beitrittsverhandlungen eventuell schon bis Dezember 2002 zu Ende führen, um dann 2004 ein neues Kapitel aufschlagen zu können – sowohl für Ungarn als auch für die EU. Doch gerade die Verhandlungen mit Brüssel können für die MSZP eine Falle bedeuten. Die Sozialisten warfen nämlich wiederholt der Orbán-Regierung Verrat vor mit dem Motto, sie habe die Interessen des Landes nicht hart genug gegenüber der EU vertreten. So wird die MSZP-SZDSZ-Regierung bald beweisen können, dass sie es besser kann.

Eines ist sicher: Die kritischen ungarischen Wähler werden auch die Arbeit der neuen Koalition mit Argusaugen beobachten. Bei Missfallen droht als Abstrafung die Abwahl in vier Jahren – traditionsgemäß. (fp)