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GesellschaftDeutschland

Neonazi löst Streit über Selbstbestimmungs-Gesetz aus

Elizabeth Schumacher
2. September 2025

Ein verurteilter Rechtsextremist lässt sich als Transfrau registrieren und verlangt, in ein Frauengefängnis zu kommen. Konservative fordern eine Änderung des deutschen Selbstbestimmungsgesetzes.

Rechtsextremistin Marla-Svenja Liebich: Porträt einer Person mit großem Sonnenhut und Sonnenbrille mit goldenen Ohrringen, Lippenstift und Schnäuzer in einem Oberteil mit Leopardenmuster. Am Hals sind Ansätze einer Tätowierung zu erkennen
Liebich ist seit Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene Ostdeutschlands aktivBild: Sebastian Willnow/dpa/picture alliance

"Trans-Faschismus" und "Parasiten der Gesellschaft" als Bezeichnung für queere Menschen - solche Begriffe verwendete die Rechtsextremistin, die sich heute Marla Svenja Liebich nennt, jahrzehntelang als Sven Liebich. Er war unter anderem einer der Anführer des mittlerweile verbotenen Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour" ("Blut und Ehre").

Im Jahr 2023 wurde Liebich wegen Volksverhetzung und Billigung eines Angriffskriegs für schuldig befunden. Nachdem Liebich alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, wurde er im vergangenen Jahr zu 18 Monaten Haft verurteilt.

Halle 2020: Liebich, damals noch mit dem Vornamen Sven, stand seit Jahren mehrfach vor Gericht und als Rechtsextremist im Bericht des VerfassungsschutzesBild: Steffen Schellhorn/IMAGO

Nur wenige Wochen nach der Einführung eines neuen Gesetzes zur Geschlechtsidentität, dem Selbstbestimmungsgesetz, (November 2024) ließ sich Liebich rechtlich als Frau mit dem Vornamen Marla Svenja registrieren.

Ende August ordnete ein Richter im ostdeutschen Bundesland Sachsen an, dass Liebich ihre Strafe antreten muss. Die Staatsanwaltschaft wies darauf hin, dass sie zwei Wochen Zeit habe, sich zu stellen, sonst riskiere sie eine weitere Haftstrafe. Als Ort wurde die Justizvollzugsanstalt (JVA) Chemnitz, eine Haftanstalt für Frauen, festgelegt. Liebich trat die Haft aber nicht an, sondern tauchte unter. Nach ihr wird jetzt mit einem Haftbefehl gefahndet.

Sowohl progressive Aktivisten als auch die konservativ geführte Regierung Deutschlands verdächtigen Liebich, ein neues Gesetz ausgenutzt zu haben, um durch die Unterbringung in einem Frauengefängnis bessere Haftbedingungen zu erhalten.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt von der Christlich-Sozialen Union (CSU) hat beschlossen, das neue Selbstbestimmungsgesetz zu überarbeiten. Dem Magazin "Stern" sagte er, dass der Fall Liebich einen negativen Präzedenzfall für den Missbrauch durch Extremisten darstellen könnte, die die Regierung verspotten wollten. Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion aus der Christlich-Demokratischen Union (CDU) von Bundeskanzler Friedrich Merz und der CSU, hat erklärt, dass es in Deutschland zu einfach sei, sein Geschlecht gesetzlich ändern zu lassen.

Queer-Aktivistin: Gesetz war längst überfällig

Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es Erwachsenen, ihr rechtliches Geschlecht durch eine Erklärung bei ihrem örtlichen Standesamt zu ändern. Es ersetzt das veraltete "Transsexuellen-Gesetz" aus dem Jahr 1980. Es war von Transpersonen seit langem kritisiert worden, weil es aus ihrer Sicht demütigende Beratungsgespräche, Untersuchungen und Gutachten vorschrieb.

Das Selbstbestimmungsgesetz war Teil einer Initiative der alten Bundesregierung, einer Koalition aus den Sozialdemokraten (SPD), den Grünen und den neoliberalen Freien Demokraten (FDP). Das Gesetz wurde von der Transgender-Community und ihren Unterstützern als Meilenstein gefeiert. "Es war längst überfällig", betont Theresa Richarz, Rechtsexpertin des "LSVD⁺ - Verband Queere Vielfalt", in einem Interview mit der DW.

Leider sei der Fall Liebich genutzt worden, den hasserfüllten Diskurs weiter anzuheizen, der die Debatte um den Gesetzentwurf im Bundestag geprägt habe. "Das Selbstbestimmungsgesetz soll die Menschenrechte von Trans- und nicht-binären Personen stärken und ihre Grundrechte schützen." Die Juristin kritisiert: "Stattdessen wird durch diesen Einzelfall geschlechtliche Selbstbestimmung lächerlich gemacht beziehungsweise zur Gefahr erklärt. Das gefährdet die Demokratie."

Grüne Abgeordnete nennt konservative Forderung populistisch

Für Richarz und andere Aktivisten nutzt das Mitte-Rechts-Bündnis CDU/CSU einen Einzelfall aus, um hart erkämpfte Freiheiten zurückzudrängen. Nyke Slawik, queerpolitische Sprecherin der Grünen, sagte dem Magazin Spiegel: "Wegen einer Person, die das Selbstbestimmungsgesetz eventuell missbräuchlich in Anspruch genommen hat, nun die Grundrechte von trans-, inter- und nicht-binären Personen pauschal beschneiden zu wollen, wäre populistisch und entsetzlich zugleich."

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Könnte Liebich angesichts ihrer gut dokumentierten Geschichte hasserfüllter Äußerungen eine Gefahr für Mithäftlinge darstellen? Die JVA Chemnitz teilte der DW vor dem Untertauchen von Liebich mit, dass jede neue Insassin bei ihrer Aufnahme von einem Arzt und einem Berater untersucht werde. Diese könnten empfehlen, dass eine Person in eine andere Haftanstalt verlegt oder nicht in der allgemeinen Häftlingsgruppe untergebracht werden sollte. Zur Inhaftierung ist es durch das Verschwinden Liebichs bisher nicht gekommen.

Für Richarz bedeutet die Verletzlichkeit von Transgender-Personen im Gefängnis, dass die Geschlechtsidentität einer Person von größter Bedeutung ist, selbst wenn eine Person die Regeln auszunutzen scheint.

Allgemein gebe es keinen Geschlechtseintrag, der nur Vorteile bringe, argumentiert Richarz. Gerade für Personen, die sich als Frau eintragen lassen, gelte oft das Gegenteil: "Diskriminierung und Hass sind allgegenwärtig." Richarz verweist auf Frauenfeindlichkeit, Femizide und Benachteiligungen, denen gleichgeschlechtliche Paare ausgesetzt sind.

Der Einzelfall einer bekannten Neonazi-Person sollte nicht dazu führen, in Zeiten des Rechtsrucks die Rechte einer ohnehin schon gefährdeten Minderheit infrage zu stellen, fordert sie. Nach Regierungsangaben haben sich Hassverbrechen gegen queere und geschlechtsdiverse Menschen zwischen 2010 und 2023 fast verzehnfacht.

Dieser Artikel erschien zunächst auf Englisch. Er wurde ins Deutsche adaptiert und nach dem Untertauchen Liebichs aktualisiert.

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